Comeback von Skistar Lindsey Vonn: Zurück im Kampf am Limit

Vor ein paar Tagen hatte Lindsey Vonn wieder einmal etwas zu sagen. Sie saß mit weißer Kappe des Sponsors vor einer Kamera und erzählte von ihrem Weg zurück zur alpinen Skirennläuferin. „Es sei „bisher eine unglaubliche Reise“, so die 40-Jährige, aber „kein leichter Prozess“.

Die FIS-Rennen zuletzt in Copper Mountain, die sie neben der Wildcard benötigte, um überhaupt im Weltcup starten zu dürfen, waren ebenso Thema wie Beaver Creek. Dort will sie an diesem Wochenende bei der Abfahrt und beim Super-G der Frauen als Vorläuferin dabei sein. Sie redete über ihr skifahrerisches Niveau („Ich muss nur noch ein paar Dinge verbessern“) und davon, dass sie Schritt für Schritt vorgehe. „Langsam, aber sicher.“

Für jemanden wie Lindsey Vonn, die aus fast jedem Auftritt eine Show macht, war dieser Post auf Instagram erstaunlich sachlich und – auch das ist nicht unbedingt typisch für die Amerikanerin – fast schon zurückhaltend. Mit ihrer Ankündigung, fast sechs Jahre nach ihrem letzten Skirennen, bei dem sie in Åre noch einmal WM-Bronze in der Abfahrt gewonnen hatte, zurückzukehren, hatte sie im Herbst für das gesorgt, was sie am liebsten hat: Aufmerksamkeit, Wirbel um ihre Person.

Vielfach istvon einem künstlichen Kniegelenk bei Vonn die Rede, es ist aber ein Gelenk­flächen­ersatz

Weil sie im Gegensatz zum anderen Rückkehrer, Marcel Hirscher, im Herbst noch am Anfang ihres Weges stand, drehte sich erst einmal alles mehr um den Österreicher. Der ist mittlerweile aber schon wieder weg, nach einem Kreuzbandriss. Bühne frei also für Lindsey Vonn, für die Abfahrts-Olympiasiegerin von 2010, zweifache Weltmeisterin und viermalige Gesamtweltcup-Gewinnerin. Wenn sie so weit sei, sagte sie, werde sie an einem Welt­cup­rennen teilnehmen. Vielleicht schon am kommenden Wochenende in St. Moritz.

Vonns Rückkehr sorgt für Diskussionen. Anders als Hirscher hatte sie einst nicht ganz freiwillig aufgehört. Nach mehreren schweren Knieverletzungen musste sie einsehen, dass es keinen Sinn mehr hat. Damals, 2019 in Åre, haderte sie mit der Entscheidung, die nicht ihr Kopf traf, sondern ihr Körper. „Ein Leben ohne schnelles Skifahren“, ohne Skirennen, sagte sie damals. „das ist kein schöner Gedanke.“ Und weil das lädierte Knie Vonn auch hinterher, im täglichen Leben, Probleme bereitete, weitere Operationen keine Besserung brachten, entschied sie sich im vergangenen Frühjahr für einen in ihrem Alter radikalen Eingriff. Gemeinhin wird bei Vonn von einem künstlichen Kniegelenk, das sie sich habe einsetzen lassen, gesprochen, allerdings handelt es sich nur um einen Gelenkflächenersatz. „Das ist nicht mit einer normalen Knieprothese zu vergleichen“, sagt Ernst-Otto Münch.

„Nicht klug“

Der Orthopäde und Knie-Spezialist aus Garmisch-Partenkirchen war über 30 Jahren Mannschaftsarzt beim Deutschen Skiverband, hat mehr als 20.000 Knie operiert und ist noch immer gut vernetzt mit den derzeit führenden Kniespezialisten, weshalb er auch die Röntgenbilder von Vonns Knie nach der OP im April gesehen hat. Wenn der Knorpel im äußeren Gelenkabschnitt so kaputt ist, wie es bei der Amerikanerin der Fall gewesen war, dann, erklärt Münch, „erhält die verschlissene Fläche einen Überzug, so, wie wenn man einen Zahn überkront“.

Damit Ski zu fahren, auch Skirennen, hält Münch aus medizinischer Sicht nicht für gefährlich oder verantwortungslos. „Diese künstliche Komponente“ könne nicht brechen, im Gegensatz zu einer kompletten Prothese im Knie. „Aber bei übermäßiger Beanspruchung, besteht eine gewisse Gefahr, dass das Ganze locker wird.“ Für Münch spielt bei der Risikobewertung die fehlende Rennpraxis eine größere Rolle, vor allem in den schnellen Disziplinen. „Klug ist das mit Sicherheit nicht.“

Ehemalige Kollegen sehen das ähnlich. Die Doppel-Olympiasiegerin von Turin, Mi­chae­la Dorfmeister aus Österreich hält es sogar für „brandgefährlich“, dass Vonn wieder Skirennen fahren will. „Das ist Spitzensport und keine Spaßveranstaltung“, wurde sie in den Medien ihrer Heimat zitiert.

Viktoria Rebensburg, Riesenslalom-Olympiasiegerin von 2010 aus Kreuth am Tegernsee, hat zwar „größten Res­pekt“ vor Vonns Entscheidung. Aber: „Gerade im Speed-Bereich erfordert es enorm viel Überwindung und Mut, besonders wenn man eine längere Pause hinter sich hat und die hohen Geschwindigkeiten und Belastungen nicht mehr gewohnt ist“, sagte sie bei Eurosport. Und selbst Felix Neureuther, der vor der Saison ein Comeback von Vonn ins Spiel gebracht hatte, noch ehe sie es selbst verkündete, ist skeptisch. In Abfahrt und Super-G „geht es um ein bisschen mehr als rot, blau und da irgendwie technisch sauber durchzufahren“, sagte der mehrfache Medaillengewinner im Slalom. Bei fast allen aber schwingt auch ein bisschen Bewunderung mit.

Vielversprechende Testfahrten

Vonn hatte stets das Limit ausgereizt. Lange war das gut gegangen, aber nach der Rückkehr von ihrer ersten großen Verletzung 2013 bei der WM in Schladming schien ihr der Erfolg wichtiger zu sein, als die Gesundheit. Immer häufiger krachte sie in Fangzäune, weil sie die Grenzen überschritt. Es war die Phase, in der sie ahnte, dass ihr Körper bald streiken würde, aber sich vor dem fürchtete, was danach kommen wird. Sie machte damals öffentlich, dass sie an Depressionen leidet.

Ihr früherer Trainer Martin Hager hat in diesem Herbst ihre Leistungsüberprüfung betreut und festgestellt, dass ihre Tests „schon vielversprechend“ waren, wie er in einem Interview der Süddeutschen Zeitung verriet. Der Österreicher traut Vonn zu, wieder ganz vorne mitzumischen und bei den Olympischen Spielen 2026 eine Medaille zu holen – wenn sie gesund bleibt. Es komme ihr „eine unglaubliche Erfahrung“ in den Speed-Disziplinen zugute. „Was viele andere nicht haben, sind ihre genialen Gleitfähigkeiten. Und sie kennt alle wichtigen Strecken dieser Welt in- und auswendig“, sagte er. Aber Hager räumt auch ein, dass sie „noch ein bisschen“ brauchen werde. Sie müsse sich Zeit lassen, ist sein Rat. Auch wenn das bei ihr nicht so einfach sei. „Sie hat wenig Geduld.“

Skifahren war immer die große Leidenschaft von ­Lindsey Vonn, ihr Lebensinhalt. Wieder das Adrenalin zu spüren, wenn sie mit 100 Stundenkilometer die Pisten hinunterstürzt, ist die eine große Triebfeder. Die andere, vielleicht noch entscheidendere, ist die Rückkehr in die Öffentlichkeit. Lindsey Vonn braucht Aufmerksamkeit, Bestätigung – auch wenn sie selbst einmal wenig glaubhaft erklärte, dass sie gut darauf verzichten könne, der Star zu sein. Und das scheint sie in ihrem Privatleben, ihrem Leben nach der Skikarriere nicht oder nicht ausreichend bekommen zu haben.

Sie gehörte zu den vielen Leistungssportlern, die sich nicht oder nur ungenügend auf das Leben nach der Karriere vorbereitet haben – und deshalb erst einmal eine große Leere spüren, wenn die Routine weg ist, aber auch die Bewunderung und das Rampenlicht. Vonn versuchte dies aufzufangen, in dem sie ihr Privatleben ausführlich in den sozialen Medien breittrat. Die Beziehung mit dem Eishockeyspieler P. K. Subban, die Verlobung und dann die Trennung, zum Beispiel. Nicht immer war es geschmackvoll, was sie da veröffentlichte, manchmal auch sehr, sehr privat, wie Bilder ihrer an ALS leidenden Mutter, die im Sommer 2022 starb.

Nicht befriedigende Glamourauftritte

Gewiss, Vonn hatte und hat einige Werbepartner und immer wieder Glamourauftritte, aber das war offensichtlich zu wenig. Maria Höfl-Riesch, einst gute Freundin aber auch große Rivalin, fühlte sich da besser vorbereitet auf das Karriereende. Die dreimalige Olympiasiegerin hatte den Zeitpunkt ihres Abschieds bewusst gewählt, mit 29, nach Gold in Sotschi 2014 und dem Gewinn der kleinen Kristallkugel für die beste Abfahrerin der Saison. „Da ich zum Schluss noch mal so erfolgreich war, hatte ich viele Möglichkeiten. Direkt danach hatte ich genug zu tun. Ich hatte nicht die Zeit, in ein Loch zu fallen“, sagte sie vor Kurzem in einem Interview mit web.de.

Der Übergang, findet sie, ist ihr dank einiger Werbedeals und der Aufgabe als Fernsehexpertin ganz gut gelungen. Mittlerweile hat sie ihr Portfolio erweitert, baut „das Thema Keynotes und Vorträge“ aus, wie sie erzählte. Trotz der Trennung von Marcus Höfl nach 13 Ehejahren im August scheint sie gefestigt. „Natürlich musste ich mich daran gewöhnen, dass Erfolg nicht mehr so messbar war.“ Aber das zu lernen, gehöre dazu nach dem Karriereende, findet sie.

Vor einem guten Jahr verschwendete Lindsey Vonn noch keinen Gedanken daran, sich noch einmal den Rennanzug anzuziehen und die Rennski anzuschnallen. Nein, dazu sei sie schon zu lange raus. Außerdem: „Ich stehe im Leben“, sagte sie damals. Jetzt steht sie bald wieder am Start eines Skirennens. Weil das ihr Leben ist.

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