Einer der ersten Gratulanten war Regierungschef Irakli Kobachidze. Georgien habe seit mehr als 20 Jahren keinen Präsidenten mehr gehabt, der sowohl patriotisch als auch psychologisch ausgeglichen gewesen sei. „In dieser Hinsicht wird Micheil Kawelaschwilis Präsidentschaft ein Wendepunkt für unser Land sein“, sagt Kobachidse. Externe Kräfte hätten das Amt des Präsidenten dazu genutzt, die Gesellschaft zu spalten und die verfassungsmäßige Ordnung künstlich zu schwächen. Der milliardenschwere Milliardär Bidzina Iwanischwili, Gründer der seit 2012 regierenden Partei Georgischer Traum (KO) und immer noch Strippenzieher in der georgischen Politik, verstieg sich zu der Aussage, Kawelaschwili sei die beste Verkörperung eines georgischen Mannes – durch sein Wesen und seinen Habitus.
Der „echte georgische“ Mann, der stramm auf KO-Kurs ist, treibt vielen Georgier*innen die Schamröte ins Gesicht. In den 80er Jahren machte Kawelaschwili Karriere als Fußballer. Er kickte in der georgischen Nationalmannschaft, danach für den englischen Verein Manchester City und wechselte dann in die Schweiz. 2015 wurde er von der Wahl zum Präsidenten des georgischen Fußballverbands ausgeschlossen, da er keinen Hochschulabschluss vorweisen konnte. Ein Jahr später wurde er für den KO ins Parlament gewählt.
2022 gründete er mit anderen abtrünnigen KO-Abgeordneten eine eigene Fraktion namens Volksmacht. Kawelaschwili, einer der Mitautor*innen des sogenannten Agentengesetzes nach russischem Vorbild, ist für seine verbalen Ausfälle im Parlament bekannt. Dem Westen wirft er vor, Georgien in den Ukrainekrieg hineinziehen zu wollen, und hetzt nach Kräften gegen die sogenannte LGBTQ+-Ideologie. Nach seiner Nominierung sagte er im Parlament, dass die „Radikalisierung und Polarisierung“ in Georgien vom Ausland aus befeuert werde.
Von Protesten begleitet
Kawelaschwilis Wahl war von Protesten begleitet. Bereits am Samstag gegen sieben Uhr Ortszeit hatten sich vor der Philharmonie in der Hauptstadt Tbilissi Demonstrant*innen mit georgischen und EU-Flaggen versammelt, um zu dem knapp zwei Kilometer entfernten Parlamentsgebäude auf dem Rustaveli-Boulevard zu ziehen. Dort wartete, wie auch auf dem Freiheitsplatz, bereits ein riesiges Polizeiaufgebot. Das Gelände war weiträumig abgesperrt. Einige der Protestierenden hatten ihre Universitätsdiplome mitgebracht. Andere hatten rote Karten und Fußbälle dabei, die sie sich zuspielten.
Währenddessen waren alle Abgeordneten der vier Oppositionsgruppierungen der Wahl ferngeblieben, wie überhaupt allen Sitzungen des Parlaments. Dies ist ihr Protest gegen die Parlamentswahl vom 26. Oktober, die der KO angeblich mit 54 Prozent der Stimmen gewonnen hat.
Nichtregierungsorganisationen hatten zahlreiche Unregelmäßigkeiten und Verstöße gegen die Wahlgesetze in Form von Wähler*innenbeeinflussung, Stimmenkauf sowie massivem Druck auf Wahlbeobachter*innen und Journalist*innen dokumentiert. Doch das änderte nichts. Der KO regiert durch.
Die Opposition erkennt das Wahlergebnis nicht an, genauso wenig, wie die scheidende pro-europäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili. Man sei Zeuge und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden, der modernen Form eines hybriden Krieges gegen das georgische Volk, hatte die 72-Jährige nach den Wahlen gesagt.
Der liberale Faschismus muss ein Ende haben
In den ersten Wochen nach dem 26. Oktober verfiel die Opposition zunächst in eine Art Schockstarre. Dies änderte sich abrupt, als Regierungschef Irakli Kobaschidze Ende November öffentlich erklärte, die Beitrittsgespräche mit der EU bis mindestens 2028 einfrieren zu wollen. Seit Dezember vergangenen Jahres war Georgien EU-Beitrittskandidat. Seit Kobachidzes Ankündigung gehen täglich zig Tausende auf die Straße und das nicht nur in Tbilissi. Das sich zunehmend autoritär gebärdende Regime schlägt brutal zurück, fast täglich kommt es zu Gewaltexzessen. Hunderte von Protestierenden wurden festgenommen, Teilnehmer*innen der Kundgebung hemmungslos zusammengeschlagen, auf einige von ihnen wird regelrecht Jagd gemacht.
Auch zahlreiche Journalist*innen sind von der Gewalt betroffen. Estland verkündete am Sonntag die Verhängung von Sanktionen gegen Georgiens Regierungschef Irakli Kobachidse sowie 13 weitere Amtsträger des Landes. Zuvor hatten bereits die EU und die Ukraine Sanktionen und Einreiseverbote gegen georgische Regierungsvertreter verhängt. Fest an der Seite der Protestierenden, die für eine Zukunft in Europa kämpfen, steht Surabischwili. Sie will den Orbeliani-Palast, Amtssitz des Staatsoberhauptes, nach der Amtseinführung ihres „Nachfolgers“ am 29. Dezember nicht verlassen.
Am Freitag hatte Surabischwili in den sozialen Medien einen Kommentar abgesetzt. Darin heißt es: „Vor einem Jahr hat Georgien den Kandidatenstatus erhalten. Am Samstag ‚wählt‘ ein Zentralkomitee wie das ‚Parlament‘ einen ‚einzigen‘ Kandidaten in einer Art Verhöhnung der Demokratie. Das wird Georgien niemals davon abhalten, seinen Weg fortzusetzen – nach Europa und in eine demokratische Zukunft!“
Am Samstagabend hatten sich weitere Demonstrant*innen vor dem Parlament eingefunden. Auch die Sicherheitskräfte, viele von ihnen mit Masken, hatten noch einmal nachgerüstet. Eigentlich war geplant, dort einen Weihnachtsbaum zu illuminieren. Doch der Bürgermeister von Tbilissi, Kakha Kaladze, ebenfalls ein überzeugter Parteigänger des KO, kündigte an, die Zeremonie werde verschoben. „Die festliche Veranstaltung wird stattfinden, wenn die radikale Opposition aufhört, Kinder zu bedrängen, und es diesen ermöglicht, sich an der Weihnachtsbaumbeleuchtung zu erfreuen“, sagte er. Der heutige Tag sei nur eine weitere Bestätigung dafür, dass der liberale Faschismus in Georgien ein Ende haben müsse.