Nach dem Anschlag in Magdeburg: Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken

Magdeburg taz | Der Eingang zum Weihnachtsmarkt ist abgesperrt. Ein paar Regentropfen fallen am Samstagmittag auf die rund hundert Menschen, die still am rot-weißen Polizeiband stehen. Manche legen Blumen ab, andere Kuscheltiere. Ein Seufzen ist zu hören, ansonsten ist es still.

Die Tat am Freitagabend dauerte laut Angaben der Polizei drei Minuten. Um kurz nach 19 Uhr sei der mutmaßliche Täter mit seinem Auto in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt in der Magdeburger Innenstadt gefahren. Laut der Stadt Magdeburg gibt es am Samstagnachmittag 5 Tote und 200 Verletzte, darunter 41 Schwerverletzte. Der Weihnachtsmarkt ist in diesem Jahr beendet, aus Respekt vor den Opfern.

International äußerten Po­li­ti­ke­r:in­nen Bestürzung über den Anschlag in Magdeburg. Mehrere Bundesländer, etwa Hamburg und Schleswig-Holstein, erhöhten die Polizeipräsenz auf Weihnachtsmärkten. Deutsche Spitzenpolitiker besuchten den Tatort in Magdeburg und versprachen, die Betroffenen zu unterstützen. Aber in der Stadt selbst ist neben Trauer auch Anspannung zu spüren. Rechtsextreme ordneten den Anschlag schon nach kurzer Zeit als mutmaßlich islamistisch ein und betonen die nichtdeutsche Herkunft des mutmaßlichen Täters. Rund um das Gedenken in Magdeburg sind Rechtsextreme präsent.

Vor dem Absperrband malt am Samstagmittag eine Frau mit ihrem Zeigefinger eine Kurve von den Straßenbahnschienen zu den Marktständen in der Luft: So sei der Täter hineingefahren. Ein junger Mann mit Mütze zieht ein Teelicht aus seinem Beutel und zündet es an. Er hat sich einen Button angesteckt, darauf ist das Logo der Neonazi-Partei Dritter Weg zu sehen.

Neonazis demonstrieren in Magdeburg

Der mutmaßliche Täter ist laut Behörden Taleb A., ein 50-Jähriger, der die saudi-arabische Staatsbürgerschaft hat und 2006 nach Deutschland kam. Er hatte demnach einen unbefristeten Aufenthaltstitel und arbeitete zuletzt als Psychiater in Bernburg, etwa 50 Kilometer von Magdeburg entfernt. Warum er den Anschlag begangen hat, ist bislang unklar. In Interviews und auf Social Media äußerte sich A. immer wieder feindlich über den Islam und lobte die Politik der AfD. Laut der Nachrichtenagentur Reuters hatten saudi-arabische Behörden die Sicherheitsbehörden in Deutschland in den Jahren 2023 und 2024 auf Posts des mutmaßlichen Täters hingewiesen.

Doch auch die deutschen Ermittlungsbehörden machten bislang noch keine abschließenden Angaben zu seinen Motiven. Der leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens sagte am Samstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in Magdeburg, dass „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen in Deutschland“ der Grund für die Tat gewesen sein könnte. Aber noch verhöre die Polizei den Tatverdächtigen.

Kurz nach dem Anschlag mobilisierten mehrere Neonazi-Parteien und -Vereine zu einer Kundgebung beim Magdeburger Hasselbach am Samstagabend. Die Polizei rechnet vorab mit rund 1.000 Teilnehmer:innen. Wie viele genau gekommen sind, lässt sich zum Redaktionsschluss noch nicht abschätzen. Aber um kurz nach 18 Uhr skandierten mehrere hundert Personen auf dem dunklen Hasselbachplatz: „Wir sind das Volk.“ Viele trugen rechte Szenekleidung, einige waren vermummt. Auf einem großen Banner stand „Remigration“. Behelmte Beamte hinderten die Neonazis zunächst daran, durch die Stadt zu marschieren.

Einen direkten Gegenprotest vor Ort aus der Zivilgesellschaft gab es nicht. Stattdessen versammelten sich mehr als tausend Menschen zur gleichen Zeit ein paar hundert Meter entfernt vor dem Magdeburger Dom zu einer Mahnwache. Pascal Begrich, Geschäftsführer des Vereins Miteinander in Sachsen-Anhalt, erklärte vorab dazu: „Wir wollen mit der Mahnwache Raum zum stillen Gedenken geben.“ Trotzdem stand die Instrumentalisierung des Anschlags durch Rechtsextreme dabei nicht im Mittelpunkt. Darauf hätten sich verschiedene zivilgesellschaftliche Bündnisse, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände geeinigt. „Bei uns sitzt der Schock und die Trauer tief“, sagte Begrich.

Mit Instrumentalisierung meine er, dass die Tat schon am Freitagabend genutzt worden sei, um migrationsfeindliche Politik zu bewerben. Auch als sich abzeichnete, dass der Täter selbst islamfeindlich eingestellt sei, habe sich das nicht geändert. „Die Akteure der rechten Szene behaupten, da habe sich Rassismus gegen Weiße Bahn gebrochen.“ In deren Weltbild gehöre der Täter nicht nach Deutschland. Er sei demnach durch Werte geprägt, die nicht zu der deutschen Kultur passten und einen Hass auf die westliche Gesellschaft förderten, erklärt Begrich.

Olaf Scholz bepöbelt

Zahlreiche AfD-Politiker:innen hatten direkt nach der Tat begonnen, die Tat als vermeintlich islamistisch einzuordnen. Auch in Magdeburg äußerten sich zwei schon Freitagabend zum Wort. „Die politisch Verantwortlichen sitzen in Berlin und in Magdeburg in der Regierung“, sagte Martin Reichardt, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt und Mitglied des Bundestags, in einem Video des AfD-nahen Deutschlandkuriers. Er stand noch am Freitagabend neben dem Weihnachtsmarkt, hinter ihm blinkte Blaulicht, Rettungskräfte waren im Einsatz. An seiner Seite stand Ronny Kumpf, Vorsitzender der AfD im Magdeburger Stadtrat, und ergänzte, die Sicherheitsmaßnahmen hätten offensichtlich nichts gebracht. „Es ist eine völlig falsche Migrationspolitik, die hier betrieben wurde“, sagte Kumpf.

Auf dem leeren Weihnachtsmarkt traten Tags darauf um kurz nach 12 Uhr Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) vor die Kameras. Die Lage sei „noch schrecklicher“ als am Abend zuerst angenommen. „Bisher hat sich das niemand vorstellen können“, sagte Haseloff zu dem Anschlag. Den Rettungskräften und der medizinischen Versorgung der Krankenhäuser im Umland sei es zu verdanken, dass bislang nicht noch mehr gestorben sind.

Scholz versicherte die Solidarität aller, die in Deutschland Verantwortung tragen. „Wir werden und wir müssen zusammenstehen.“ Es sei wichtig, solidarisch zusammenzustehen und „dass wir diejenigen nicht durchkommen lassen, die Hass sähen wollen“. Zunächst stehe an, die Tat aufzuklären, das Motiv des Täters zu verstehen, „um dann mit den strafrechtlichen und notwendigen anderen Konsequenzen darauf zu reagieren.“

Als der Bundeskanzler dann den Weihnachtsmarkt verließ, bepöbelten ihn einige Leute am Absperrband. Unter ihnen waren auch bekannte Mitglieder des AfD-Jugendverbands Junge Alternative, etwa Anna Leisten, die dem Bundesvorstand angehört.

Danach beruhigte sich die Situation vor dem leeren Weihnachtsmarkt wieder. Trotz der Kälte kamen und gingen Menschen, legten weiter Trauerkerzen, Blumen und Kuscheltiere ab. Als es dunkel wird, gehen in den Bäumen Lichterketten an und beleuchten die geschlossenen Stände.

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