Gretchen Dutschke-Klotz lebt in einem Neubau in Berlin-Friedrichshain. Die Frauen hier wohnen in eigenen Apartments, aber gemeinschaftlich. Auf dem Klingelschild steht nur „Klotz“, die Person, die öffnet, spricht Deutsch mit US-amerikanischen Akzent.
taz: Grechen Dutschke-Klotz, nervt es Sie, wenn Sie vor allem als Rudi Dutschkes Ehefrau wahrgenommen werden?
Gretchen Dutschke-Klotz: Ich bin daran gewöhnt, aber ich mag es nicht.
taz: Sie sind zu höflich, um dann etwas zu sagen.
Dutschke-Klotz: Es sind meistens Journalisten, die mit mir über Rudi reden wollen. Dann muss ich entscheiden, ob ich Ja oder Nein sage, meistens sage ich zu. 1996 habe ich in Deutschland mein erstes Buch veröffentlicht und okay, das war ein Buch über unser gemeinsames Leben – aber trotzdem hat es mir vielleicht auch eine eigene Identität gegeben. Bis dahin hatten nur Männer über die 68er-Bewegung geschrieben. Ich wollte als Frau meine Meinung dazu sagen.
taz: Ihre Rolle in der 68er-Bewegung ist erstaunlich, wenn man Ihre Herkunft ansieht. Sie sind in einem Vorort von Chicago in einem evangelikalen Elternhaus aufgewachsen. Da ist man bestimmt nicht nur zu Weihnachten in die Kirche gegangen…
Dutschke-Klotz: Wir waren viel in der Kirche. Am Sonntag hatten wir Sunday School. Sonntagabends war wieder Gottesdienst. Mittwochs sind wir manchmal in Gebetstreffen gegangen. Und dann gab es verschiedene Feierlichkeiten, auch in der Kirche.
taz: Waren Sie gerne dort?
Dutschke-Klotz: Es war gemischt, würde ich sagen. Meine Großmutter hat lange Gebete gesprochen, mein Vater auch. Ich habe mich damals schon ein bisschen gewundert darüber – oder es vielleicht sogar bewundert –, dass die beiden so lange beten konnten. An der Straßenecke vor der Kirche war eine Apotheke, in der es Süßigkeiten gab. Mein Bruder hat seine Süßigkeiten immer gleich aufgegessen. Ich habe auf die Uhr geguckt und mir alle fünf Minuten erlaubt, ein Stück meiner Süßigkeiten zu essen, damit die Zeit im Gottesdienst rumging.
taz: Wurden Sie streng erzogen?
Dutschke-Klotz: Wir haben vor dem Essen gebetet, aber mehr nicht. Andererseits war es in Bezug auf andere Dinge streng, zum Beispiel, was Sexualität betrifft. Da war meine Mutter hoffnungslos überfordert. Sie hat immer kommentarlos Aufklärungsbücher auf den Tisch gestellt. Nur enthielten die keine Aufklärung, sondern es stand nur so etwas drin wie: Eine Christin darf nicht in die Nähe eines Mannes kommen.
taz: Sex vor der Ehe war also undenkbar?
Dutschke-Klotz: Ja, so war zumindest die Idee …
taz: Haben Sie rebelliert gegen diese Art Religiosität?
Dutschke-Klotz: In meiner Highschool waren viele der Jugendlichen jüdisch, die haben mich eingeladen in eine progressive Synagoge. Die haben dort gefeiert mit Tanzen und Singen. Das fand ich natürlich besser als unsere Kirche. Ich bin gläubig geblieben, aber ich hatte von Anfang an Probleme mit diesem Glauben. Man sollte Gott erfahren, spüren. Und ich habe wirklich versucht, Gott zu erfahren. Aber es gelang mir nicht. Deshalb dachte ich schon, als ich sechs Jahre alt war, dass vielleicht etas nicht in Ordnung ist mit mir.
taz: Wieso haben Sie sich entschieden, Theologie zu studieren?
Dutschke-Klotz: Mein Bezug zur Religion hat sich später verändert. Theologie habe ich erst studiert, als ich nach Deutschland kam. Ich wollte eigentlich nicht Theologie studieren, sondern Philosophie. Für Philosophie musste man Deutsch lernen und deshalb bin ich nach Deutschland gegangen.
Foto: Doro Zinn
taz: Warum sollten Sie Deutsch lernen? Um Nietzsche und die ganzen deutschen Philosophen im Original lesen zu können?
Dutschke-Klotz: Genau. Ich kam 1964 nach Deutschland und vier Monate später habe ich schon Rudi kennengelernt. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich vorhatte, Philosophie zu studieren. Er hat gesagt: Warum Philosophie? Die Philosophen sind in ihrem Elfenbeinturm, die machen gar nichts. Er meinte, die Theologieprofessoren würden mit den Studenten auf die Straße gehen, die seien präsent, die würden etwas tun. Warum studierst du nicht Theologie?
taz: Also ist Rudi schuld. Er kam ja auch aus einem christlichen Haus.
Dutschke-Klotz: Ja. Seine Familie war aber evangelisch, nicht evangelikal.
taz: Sind Sie heute noch gläubig?
Dutschke-Klotz: Nein.
taz: Wann hat das aufgehört?
Dutschke-Klotz: Rudi und ich haben uns einmal in den siebziger Jahren gegenseitig gefragt: Bist du noch gläubig? Dann haben wir beide gesagt: nicht mehr. Und damit war es gesagt.
taz: Weil Christentum und Sozialismus doch nicht zusammenpassen?
Dutschke-Klotz: Das nicht. Rudi hatte in der Kirche, in die er in der DDR ging, einen Pfarrer, der versuchte, Christentum und Sozialismus zu verbinden. Also er kannte das schon. Und er hatte viele Bücher über christlichen Sozialismus. Er hat Ernst Bloch gelesen, der auch versuchte, Christentum mit Sozialismus zu kombinieren. Diese Bücher hat Rudi mir gezeigt. Ich kannte sie vorher nicht. Und Helmut Gollwitzer, der Professor für evangelische Theologie an der Freien Universität in Berlin war, war immer dabei bei allen Demos. Er hat uns alle immer unterstützt, also die ganze Bewegung.
taz: Was hat Sie schließlich vom Glauben gebracht?
Dutschke-Klotz: Ich habe schon früh darüber nachgedacht, dass es viele verschiedene Religionen gibt. Irgendwann kam ich nicht mehr zurecht damit, dass ich an eine davon glauben soll und die anderen falsch sein sollen. Das kam mir falsch vor. Schon bei meinen jüdischen Freunden in der Highschool habe ich gedacht: Meine Religion sagt mir, die gehen in die Hölle. Aber ich glaube, die gehen nicht in die Hölle! Solche Dinge. Und irgendwann sagt man: Das kann alles nicht sein.
Im Interview: Gretchen Dutschke-Klotz
Die Aktivistin
Geboren 1942 in Oak Park, USA, kam sie 1964 nach Deutschland und lernte den Aktivisten Rudi Dutschke kennen, den sie 1966 heiratete. Ein Theologiestudium schloss sie mit einer Arbeit zu „revolutionären Bewegungen zur Zeit Christi“ ab.
Die Odyssee
Nach einem Attentat auf Rudi 1968 floh das Paar ins dänische Aarhus. Am 24. 12. 1979 starb Rudi an den Spätfolgen. 1985 ging Gretchen in die USA zurück, kam aber 2009 wieder nach Deutschland. Jüngst von ihr erschienen: „Auf stacheligen Wegen zur Befreiung“, Trafo Verlag.
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taz: Sie haben Mal vor einer „Verabsolutierung der Moral“ gewarnt, die zum Katechismus mutiert. Das machen sowohl Christ:innen als auch dogmatische Linke gerne.
Dutschke-Klotz: Es gibt Ähnlichkeiten zwischen dogmatischen Christen und dogmatischen Linken. Die Moral- oder Wertefrage finde ich aber trotzdem wichtig. Wenn man von christlichen Werten redet, wie Angela Merkel das oft getan hat, ist das ein Fehler. Denn die anderen Religionen haben ähnliche Werte. Trotzdem sollte man über Werte und Moral sprechen, denn sie entscheiden ganz wesentlich, ob man von Hass bestimmt wird und zurückfällt in den Macho-Chauvinismus – oder eben nicht.
taz: Die Moral hat in der Politik oft schlechte Karten. In den USA und Deutschland säen die Rechten Falschnachrichten und Lügen. Müssten die Linken vielleicht auch mehr lügen, um sich durchzusetzen?
Dutschke-Klotz: Rechte Gruppen wie die AfD kann man vielleicht verbieten, um gegen den Hass, den sie predigen, anzukämpfen. Aber man kann nicht lügen. Dann wird es doppelt schlimm. In den 50er Jahren wollten nur wenige Menschen in Deutschland die Demokratie haben. Das ist angestiegen auf über 80 Prozent im Jahr 2010. Jetzt geht’s wieder runter und da ist die Frage, was man dem entgegenstellen kann. Aber man darf nicht lügen! Dann hätten die Rechten recht, wenn sie sagen: Siehst du, sie lügt.
taz: Linke müssen also anständig bleiben?
Dutschke-Klotz: Die Rechten wollen Hass verbreiten, Hass lässt eine Gesellschaft zusammenbrechen. In der Linken gibt es auch welche, die Hass haben, auf die Rechten. Aber es gibt trotzdem andere Wertvorstellungen bei den Linken. Nicht Hass als Hauptsache, sondern ein besseres Leben für alle. Wie die Christen sagen: Liebe als Grundwert.
taz: Manche würden sagen, das ist genau das Problem: Die Linken sind heute zu lieb und zu harmlos …
Dutschke-Klotz: Na ja, die Letzte Generation hat Flugzeuge mit oranger Farbe besprüht und Straßen blockiert. Die waren ziemlich wild, die haben Sachen kaputt gemacht, sind radikal. Aber wie sehen die Menschen das? Die sehen das sehr negativ. Und deswegen nützt das nicht wirklich. Ich denke, besonders vor Weihnachten kann man echt mal gucken, was Jesus gesagt hat. Denn er hat wirklich sozialistische Sachen gesagt …(Sie schaut auf das Papier vor sich.) Selig sind die, die ihr Leid tragen. Selig sind die Sanftmütigen. Selig sind die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Selig sind die Barmherzigen. Selig sind, die reinen Herzens sind. Selig sind die Friedensstifter. Selig sind die, die um der Gerechtigkeit Willen verfolgt werden. Ja, selig seid ihr, wenn andere euch schmähen und verfolgen.
taz: Ist das die Bergpredigt?
Dutschke-Klotz: Ja.
taz: Das haben Sie rausgeschrieben?
Dutschke-Klotz: Ich habe sie rausgesucht für das Interview. Straßen- oder Flughafenblockaden finde ich nicht gut. Weil sie nicht die richtigen Leute treffen. Sie treffen normale Leute, die einfach reisen wollen. Vielleicht sogar kranke Leute, wenn ein Krankenwagen nicht durchkommt. Das ist nicht die richtige Antwort. Ich denke, was wir damals gemacht haben, war viel besser.
taz: Inwiefern waren die Aktionen der 68er besser?
Dutschke-Klotz: Die waren näher an den richtigen Problemen. Dieter Kunzelmann war ein schrecklicher Mann, aber seine Pudding-Bombe auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey, als der Berlin besucht hat, traf einfach den Richtigen. Oder als wir einen Weihnachtsbaum verbrannt haben mit Bildern von Walter Ulbricht und Lyndon Johnson. Da konnte man einen Zugang finden, da sah man, was Sinn der Sache war.
taz: Rechtsruck, Klima, soziale Gerechtigkeit – was ist für Sie im Moment die drängendste politische Frage?
Dutschke-Klotz: Man kann das nicht trennen. Also zu sagen, wir stellen erst mal die Umwelt zurück, um die Wirtschaft in Deutschland zu verbessern, das geht einfach nicht. Dann gehen wir alle zugrunde. Man kann es nicht machen wie CDU und AfD.
taz: Gehen Sie zur Wahl?
Dutschke-Klotz: Bis jetzt habe ich immer grün gewählt. Wahrscheinlich werde ich nächstes mal auch grün wählen, aber mit Bauchschmerzen. Weil die auch für Wirtschaftswachstum sind, obwohl das der Umwelt nicht guttut.
taz: Sahra Wagenknecht wirft den Grünen vor, ärmere Menschen zu vergessen.
Dutschke-Klotz: Aber wer sind die Vergessenen? Sind es die Obdachlosen, oder sind es die Leute, die schon eine Wohnung haben und vielleicht nicht so viel verdienen? Sind es die, die ein bisschen mehr verdienen, aber trotzdem nicht viel? Ich denke, wenn der Reichtum gleichmäßiger verteilt wäre, würde das dem Klima auch helfen. Die reicheren Leute müssen Geld abgeben und mit diesem Geld kann man einen sozialen Ausgleich schaffen und mehr für den Klimaschutz tun. Am Ende hätte Deutschland daraus sogar einen ökonomischen Vorteil.
taz: Früher haben radikalere Linke gegen den Staat opponiert, heute haben viele von ihnen das Gefühl, staatliche Institutionen verteidigen zu müssen. Wie sehen Sie das?
Dutschke-Klotz: Es gab immer einen Konflikt um den Staat. Zwischen Bewahrung, weil er bedroht wird von den Nazis – damals von den Altnazis, heute von den neuen Nazis – und der Möglichkeit, den Staat ganz anders zu machen. Diesen Konflikt kann man nie ganz lösen, man muss beide Seiten sehen. Rudi hat deshalb sehr früh die Idee des langen Marsches durch die Institutionen entwickelt.
taz: Was sehen Sie als größten Fehler der 68er?
Dutschke-Klotz: Der größte Fehler war, dass es „macho“ war, und das haben die Männer nicht mal bemerkt. Als die Frauen im September 1968 das erste Mal öffentlich und laut aufgestanden sind, haben die Männer nicht mal zugehört – die wollten nicht. Das hat sich geändert, denke ich.
taz: Wenn wir jetzt noch mal vom Politischen ins Private kommen: Hatten Sie letztendlich Sex vor der Ehe?
Dutschke-Klotz: Ja, doch. Rudi und ich haben überlegt, ob wir überhaupt heiraten wollen. Viele von den Leuten in unserer Gruppe haben nicht geheiratet.
taz: Damit waren Sie schon ziemlich Establishment, oder?
Dutschke-Klotz: Der Grund war hauptsächlich Geld. Man bekam, wenn man in Berlin war, 3.000 D-Mark Kredit und wir hatten nichts. Deshalb dachten wir: Okay, wir heiraten. Wenn man keine Kinder bekam, sollte man das Geld zurückbezahlen. Aber die haben es nie gefordert. Und wir haben dann ja auch Kinder bekommen.
taz: Haben Sie in einer Kommune gewohnt damals?
Dutschke-Klotz: Die Kommune war meine Idee, ich habe diese Diskussion überhaupt nach Deutschland gebracht. Wir wollten eigentlich ein Haus bauen, ich und meine Leute. Aber Dieter Kunzelmann kam aus München nach Berlin und hat die Idee der Kommune kaputt gemacht. Seine Art Kommune hat die Schlagzeilen beherrscht.
taz: Kunzelmanns Art der Kommune drehte sich vor allem um Sex. Wo haben Sie dann gewohnt?
Dutschke-Klotz: Wir sind ins Haus des Sozialistischen Studentenbunds gezogen. Nur kurz, von Ende 67 bis Anfang 68. Die Türen des Hauses waren immer offen. Als wir eines Tages die Treppe runtergingen, war alles mit Scheiße beschmiert. An der Wand stand „Tötet Rudi“. Da habe ich gesagt: Wir können nicht hier bleiben. Helmut Gollwitzer hat uns dann in seinem Haus wohnen lassen.
taz: Wie lange hat es gedauert, bis das erste Kind kam?
Dutschke-Klotz: Hosea ist 1968 im Januar geboren, im April war das Attentat.
taz: Ein Rechtsextremer schoss Rudi in den Kopf, der überlebte nur knapp und musste neu sprechen lernen. Sie sind erst nach Italien geflohen, dann nach England, dort wurde Rudi aber als zukünftige Gefahr für die „nationale Sicherheit“ ausgewiesen, 1969 ist ihr zweites Kind geboren, zu viert sind Sie schließlich nach Dänemark gezogen. Sie mussten sich allein um alles kümmern.
Dutschke-Klotz: Als es Rudi besser ging, hatte er Angst, was vorher nie der Fall gewesen war, aber er war gut mit den Kindern. Als es ihm wieder richtig gutging, fing er wieder mit der Politik an und war dann sehr viel weg.
taz: Und Sie?
Dutschke-Klotz: Auf jeden Fall war ich nicht ständig weg. Ich habe damals am Ernährungsinstitut der Universität Aarhus gearbeitet und manchmal Forschungsaufträge vom Weltkirchenrat angenommen. Ich sollte untersuchen, wie Religion und Ernährung in verschiedenen Ländern zusammenhängen. Einmal im Jahr bin ich für etwa sechs Wochen weggefahren, nach Italien, Israel, Mexiko, Indien. Dann musste Rudi auf die Kinder aufpassen.
taz: Wie gut hat das geklappt?
Dutschke-Klotz: In Israel gab es eine totale Konfrontation zwischen Arabern und Juden. Ich war in einem Hostel direkt an der Grenze und dort kam es zu Zusammenstößen, das war wirklich schlimm. Rudi hat davon in der Zeitung gelesen und beschlossen, dass ich bestimmt tot bin. Er hatte es sogar schon den Kindern beigebracht. Beim nächsten Mal sollte ich nach Mexiko gehen. Rudi sagte, er könne nicht beide Kinder nehmen, das wäre zu hart für ihn. Also habe ich meine Tochter mit nach Mexiko genommen. Das war auch nicht so einfach, weil ich ja forschen sollte. Als ich nach Indien geflogen bin, hat er wieder beide Kinder genommen.
taz: Wurden bei Dutschkes Erziehungsfragen ausdiskutiert?
Dutschke-Klotz: Wir haben schon ab und zu darüber gesprochen, etwa wenn es zu der Frage kam, ob man die Kinder schlagen dürfte oder nicht. Ich habe nein gesagt. Rudi meinte, unter bestimmten Umständen sollte man das machen. Er hat die Kinder einmal geschlagen. Sie sind mit einer Kerze in ein Zelt gekrochen. Rudi war außer sich, das Zelt hätte niederbrennen und sie hätten sterben können. Da hat er sie geschlagen. Aber das war das einzige Mal.
taz: Wer hat gekocht und wer abgewaschen?
Dutschke-Klotz: In der Frühzeit konnte Rudi gar nicht kochen. Dann habe ich gesagt, er muss, weil wir uns die Aufgaben teilen müssen. Und dann hat er es gelernt. Paniertes Fischfilet.
taz: Das waren fertige Fischstäbchen?
Dutschke-Klotz: Nein, er hat das selbst gemacht, er hat das alles gekauft dafür. Und das hat er gut gemacht. Aber er hat es jedes Mal gemacht, immer das Gleiche. Aber immerhin. Den Abwasch haben wir beide gemacht, bis die Politik wieder anfing, und er verreiste. Als er nach Hause kam, habe ich gesagt, dass er jetzt dran ist. Das hat ihn sauer gemacht.
taz: Am Weihnachtsabend 1979 ist Rudi an den Spätfolgen des Attentats gestorben, genau 45 Jahre ist das jetzt her. Wie ist Ihnen dieser Tag im Gedächtnis geblieben?
Dutschke-Klotz: Er musste am Nachmittag noch Schlagsahne kaufen. Als er zurückkam, hat er erzählt, dass ihm ein Mann den Weg blockiert hat. Mit einem Regenschirm. Der hat seine Hand mit dem Regenschirm Richtung Rudi bewegt. Ich dachte später manchmal, vielleicht hat der Gift auf ihn geschüttelt. Ich weiß es nicht. Die Behörden haben nach seinem Tod eine Untersuchung gemacht und kein Gift gefunden. Aber vielleicht war es etwas, das sie nicht untersucht haben, weil sie es noch nicht kannten damals.
taz: Die offizielle Version ist: Rudi hat in der Badewanne einen epileptischen Anfall erlitten und ist ertrunken.
Dutschke-Klotz: Er hatte seit mindestens fünf Jahren keinen Anfall mehr gehabt. Rudi und ich dachten, dass er keinen mehr bekommen würde. Aber dann war er plötzlich tot. Wie konnte das sein …
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
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taz: Haben Sie sich danach Vorwürfe gemacht?
Dutschke-Klotz: Nein, aber wenn jemand stirbt, von dem man denkt, er sei gesund, fragt man sich: warum? Wir waren alle in dem Haus, niemand hat es bemerkt. Ich dachte, ich höre ihn im Bad, alles okay.
taz: Sie haben ihn dann tot in der Badewanne gefunden, waren plötzlich allein mit zwei Kindern und schwanger mit dem dritten. Wie macht man in so einer Situation weiter?
Dutschke-Klotz: Freunde in Aarhus sagten, wir könnten bei ihnen wohnen. Dort habe ich praktisch die ganze Zeit nur geweint. Die haben aufgepasst, dass die Kinder ordentlich versorgt sind. Die Freundin kriegte auch ein Kind und hatte den Geburtstermin ein bisschen früher als ich und sie brauchten die Zimmer. Da dachte ich: Okay, ich muss jetzt aufhören zu weinen. Und das habe ich gemacht. Wir haben eine Wohnung gesucht und eine gefunden.
taz: Haben Ihnen die alten Genoss:innen geholfen?
Dutschke-Klotz: Wir haben von Rudolf Augstein Geld bekommen, glaube ich. Viele Leute haben Geld geschickt. Einige vielleicht 5 Mark, einige bis 100 oder so. Auf jeden Fall kam viel zusammen. Unser Freund Milan Horáček ist gleich nach Aarhus gekommen und hat uns in dem Jahr sehr viel geholfen. Am ersten Weihnachten nach Rudis Tod, das sehr schwer für mich war, hat Milan gesagt: Wir gehen Skilaufen, das ist etwas ganz anders, alle freuen sich und denken nicht daran.
taz: Er war der Einzige, der kam?
Dutschke-Klotz: Rudis Familie konnte ja nicht zu uns kommen aus der DDR, ich war nicht mal sicher, ob sie die Nachricht von seinem Tod bekommen hatten, weil die Stasi meine Briefe abfing. Dann haben Leute von der evangelischen Studentengemeinde Hannover uns eingeladen, dort zu wohnen und da habe ich Christa Ohnesorg getroffen, die Witwe von Benno Ohnesorg und mit ihr habe ich viel geredet: wir hast du das gemacht, als dein Mann gestorben ist? [Benno Ohnesorg war 1967 bei Protesten gegen den Schah-Besuch erschossen worden Anm.d.Red.]
taz: Wie präsent ist Ihnen Rudi denn heute?
(Dutschke-Klotz zeigt auf ein Porträt in Acrylfarben an der Wand.)
taz: Haben Sie das gemalt?
Dutschke-Klotz: Ich hab es gerade fertig gemacht. Ich denke schon noch an ihn, immer noch.
taz: Besonders an Weihnachten?
Dutschke-Klotz: Ja, aber Weihnachten ist für mich nicht mehr dadurch bestimmt.
taz: Sie sind 1985 in die USA zurückgegangen. Haben Sie sich dort wieder verliebt und Beziehungen geführt?
Dutschke-Klotz: Einige. Aber das waren nur Versuche. Da gab es einen, den ich über die Unitarische Kirche kennengelernt habe. Wie sich herausstellte, hatte Rudi von diesem Mann sogar schon gehört gehabt. Es war ein Amerikaner, der als IT-Experte in der DDR in einer Schweineschlachterei gearbeitet hatte. Rudi hatte einen Zeitungsartikel über den Mann aufgehoben, weil das so besonders war: ein Amerikaner in der DDR! Und mit diesem Mann war ich dann eine Zeit zusammen, aber es hat nicht funktioniert.
taz: Sie haben sich also nie wieder so richtig verliebt?
Dutschke-Klotz: Nein.
taz: Haben Sie es versucht, auch wegen der Kinder?
Dutschke-Klotz: Auf keinen Fall, das war nie der Grund. Ich glaube, das war besser alleine zu schaffen als zusammen mit einem Mann.
taz: Warum sind Sie letztendlich nach Deutschland zurückgegangen?
Dutschke-Klotz: Ich war von 90 bis 95 schon in Deutschland, um mein erstes Buch zu schreiben. Dann haben sie mich aus Deutschland rausgeschmissen, weil ich kein Einkommen hatte, und ich bin wieder in die USA gegangen. Das Buch hat sich sehr gut verkauft, ich habe sehr viel Geld verdient und konnte das in meine Rente einzahlen, deshalb bekomme ich heute eine Rente aus den USA. Irgendwann waren meine Verwandten in den USA alle gestorben, zwei meiner Kinder lebten in Dänemark, mein Sohn war nach Deutschland gegangen und sagte mir, dass er bald ein Kind bekommen würde. Deshalb bin ich 2009 wieder nach Deutschland.
taz: Hosea Che und Polly-Nicole leben in Dänemark, Marek hier in Berlin. Reden sie mit ihren Kindern viel über Politik?
Dutschke-Klotz: Ja, aber sie denken nicht so viel darüber nach, was in ferner Zukunft sein könnte. Sie wollen konkrete Lösungen. Meine Tochter ist zum Beispiel im Stadtparlament von Aarhus und tut was in Umweltfragen. Sie arbeitet hauptberuflich in einem Heim für Menschen mit Behinderungen und will auch die Situation für diese Menschen besser machen. Dass die sich mit dem öffentlichen Verkehr leichter bewegen können und so weiter. Mit direkten Problemen also.
taz: Wie eng ist denn der Kontakt zu Ihren Kindern und den Enkeln?
Dutschke-Klotz: Anfang November war Hosea in Berlin, Ende November Polly-Nicole. Heute waren mein Sohn Marek und seine Kinder da. An einem Adventssonntag koche ich immer Ente, die Knochen liegen da hinten noch. An Weihnachten gehe ich zu Marek und sonst auch circa einmal die Woche. Er kocht gerne und ich werde gerne bekocht.
taz: Sie haben sieben Enkel. Wie nennen die Sie, Oma?
Dutschke-Klotz: Nein. Ich bin Gretchen.
taz: Sie sind 82 Jahre alt – denken Sie manchmal über das Ende nach?
Dutschke-Klotz: Ich überlege schon, was ich meinen Kindern sagen soll, wo ich am liebsten begraben werden möchte. Wahrscheinlich ist es unmöglich, mit Rudi zusammen in das Ehrengrab auf dem Friedhof in Dahlem zu kommen. Ich habe es nie geklärt, die Frage ist nicht so angenehm.
taz: Denn Sie freuen sich am Leben?
Dutschke-Klotz: Ja! Letzte Woche habe ich eine Lesung mit dem neuen Buch gemacht. Gerade hat mich eine Gruppe Aktivisten in die Türkei eingeladen. Die wollen hören, wie wir es 1968 geschafft haben, das Land zu verändern. Das wird interessant.