Negativity Bias im Journalismus: Ist es wirklich so schlimm?

Optimismus, so heißt es gern im Scherz, sei nur ein Mangel an Information. Mit Blick auf die Klimakrise erscheint das vielen geradezu unbestreitbar. Doch es gibt Menschen, bei denen ist es umgekehrt, sie sind gut informiert und optimistisch.

Einer von ihnen ist Angus Hervey. Der Journalist und Ökonom ist eine Art Fortschrittsinfluencer. Seit über zehn Jahren verschickt er seinen Newsletter Fix the News an mittlerweile rund 55.000 Abon­nen­t:in­nen in der ganzen Welt. So auch um 11.45 Uhr am Morgen des 6. November. In den USA hatten die Wahllokale da gerade geschlossen. Viele hatten in den Stunden zuvor Trump gewählt, weil sie ihm und seinen Helfern geglaubt hatten, dass Biden ihr Land ruiniert habe.

Am 6. November war in Herveys Newsletter zu lesen, dass der Anteil der Menschen ohne Krankenversicherung in den USA auf den Rekordniedrigstand von 7,7 Prozent gefallen und die Lebenserwartung auf den Höchstwert von 79,3 Jahren geklettert war. Der Wohnungsbau „boomt wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr“, schrieb Hervey. Inflation, Kriminalität und Fettleibigkeit nehmen ab, Löhne und Gehälter lagen „höher als je zuvor“, ebenso der Anteil der Erwerbstätigen. Die Produktivität übertreffe jene „aller anderen vergleichbaren Länder“, die CO2-Emissionen gehen zurück, die erneuerbaren Energien legen stark zu.

Schon vor Trump sah die Welt düster aus, seine Wiederwahl machte die Novemberdepression für viele perfekt. Gewählt wurde ein Verbrecher, den seine Vertrauten „Faschist“ nennen, der so viel Öl und Gas wie möglich fördern lassen will, der vielleicht nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa Putins Aggression überlässt. Trump verabscheut den Multilateralismus, den es angesichts der Menschheitskrisen wie Artensterben, Klimakrise und Atomkriegsgefahr so dringend braucht. Er könnte Rechtsextremen auf der ganzen Welt an die Macht verhelfen. Und interessiert sich da überhaupt noch jemand für’s Klima, für Gaza, den Sudan? Den wieder anschwellenden Hunger?

Dystopischer, so scheint es, geht es kaum. Ist es für Menschen bei halbwegs klarem Verstand und mit halbwegs intaktem moralischem Empfinden noch möglich, anders auf die Welt zu blicken?

Geschichten vom Fortschritt

Angus Herveys Newsletter soll zeigen, dass das möglich ist. Jede Woche sind darin Geschichten vom Fortschritt zu lesen, die für alle verblüffend sind, die ihre Informationen normalerweise aus gängigen Nachrichtenquellen beziehen. Wer an jenem für viele so düsteren Morgen in Herveys Newsletter weiterlas, erfuhr, dass die Zahl der jährlichen Toten durch Luftverschmutzung wegen der Schließung von Kohlekraftwerken seit 2016 um etwa 7 Prozent sank. Oder dass die CO2-Emissionen der EU 2023 um 8,3 Prozent fielen – und es 2024 offenbar ähnlich aussehen wird.

Zu lesen war von einer sich abzeichnenden „Revolution bei klimagerechten Nutzpflanzen und -tieren“, von „unglaublichen“ Fortschritten beim Kampf gegen Tuberkulose in Indien, dem erstmaligen Zugang zu elektrischen Haushaltsgeräten für Millionen dank Solarprojekten in Lateinamerika, oder einem Gerichtsurteil in Japan, das wohl die Einführung der Homo-Ehe bringen wird.

Hervey ist nicht der Einzige, der dem Zeitgeist den Blick auf solche Entwicklungen entgegensetzt. An der Universität Oxford hat der deutsche Ökonom Max Roser ein Portal namens „Our World in Data“ aufgebaut. Die Redaktion zeigt mit Grafiken, welche Probleme die Menschheit wirklich hat und wie sie beim Kampf gegen diese vorankommt.

Es gibt kaum Reporter, die versuchen, interessante Geschichten über etwas zu schreiben, das richtig läuft

Angus Harvey, Autor des Newsletters „Fix The News“

Rosers Kollegin Hannah Ritchie hat auf Grundlage dieser Daten gerade ein Buch namens „Hoffnung für Verzweifelte“ geschrieben, der Spiegel-Journalist Ullrich Fichtner veröffentlichte 2023 ein ähnliches Buch mit dem Titel „Geboren für die großen Chancen“. Während vielen die Zukunft heute bedrohlich, wenn nicht lebensfeindlich erscheint, oder sie gar den Kollaps erwarten, zeichnet Fichtner das Panorama einer sehr wohl lebenswerten Welt. Auch in einer wöchentlichen Kolumne legt er dar, warum er eine solche Zukunft für wahrscheinlich hält.

Halten Menschen wie Hervey, Roser, Ritchie und Fichtner es für möglich, dass der bisherige Fortschritt auch die Ballung all der neuen Krisen übersteht? Und worauf, glauben sie, dürfen wir für die Zukunft hoffen?

Den westlichen Bias überwinden

Es sei nicht ausgemacht, dass der bisherige Trend menschlichen Fortschritts insgesamt anhält, sagt dazu Angus Hervey bei einem Zoomgespräch aus seiner Wohnung in Sydney. Er trägt T-Shirt und kurze Hosen, in Australien ist Sommer. Zwischendurch kommen die Kinder ins Wohnzimmer gelaufen, er bringt sie wieder ins Bett.

Zumindest in einigen Teilbereichen hält Hervey die Entwicklung für stabil. Er sieht einen weiteren Anstieg des Lebensstandards weltweit, den weiteren Rückgang der Armut, „unglaubliche Fortschritte“ bei der globalen Gesundheit. Selbst in Bezug auf Menschenrechte ist er optimistisch: Was Frauenrechte, die Homo-Ehe oder die Abschaffung der Todesstrafe angehe etwa. „Das sind wichtige Nachrichten.“ Viele denken heute bei Frauen- und LGBTQI-Rechten vor allem an den Backlash in den USA. Doch mit Blick auf den gesamten Planeten zeigt sich darin vielleicht ein westlicher Bias.

Beim Artensterben hingegen sehe es schlechter aus, glaubt Hervey. Und trotz des möglichen Rückgangs bei den CO2-Emissionen werde es „dramatische Klimaauswirkungen“ geben. Für möglich hält er auch eine Verschärfung militärischer Konflikte – in Osteuropa, Taiwan, im Südchinesischen Meer. „Es ist eine Zeit großer Unsicherheit.“ Von einer „einzigen Geschichte des Fortschritts“ wolle er deshalb nicht sprechen – eher von „Elementen des Fortschritts während der kommenden, wahrscheinlich sehr turbulenten 20 oder 30 Jahre“. Es werde sich zeigen, ob es „die Geschichte des Zusammenbruchs oder der Erneuerung“ gewesen sein wird. Damit es die Geschichte der Erneuerung werden könne, brauche es „mehr Menschen, die darüber berichten“, sagt er.

Denn dass Medien Fehlentwicklungen so sehr betonen und Fortschritt ignorieren, sei eines der größten Probleme, sagt Hervey. Das Verhältnis liege bei „etwa 1.000 zu 1“. Studien hätten gezeigt, dass es heute sechsmal mehr negative Schlagzeilen als noch vor 20 Jahren gebe. Um 2010 herum hätten Social-Media-Plattformen den chronologischen Feed durch algorithmische Sortierung ersetzt. Was am häufigsten angeklickt wird, steht seither ganz oben. „Das war der Beginn einer Explosion von Negativität und Angst in den Medien“, sagt Hervey.

Es sei wie bei einem Kind, das ein Zeugnis mit guten und schlechten Noten nach Hause bringt. „Die Medien sind wie Eltern, die nur auf die Fünfen und Sechsen zeigen. Die Einsen und Zweien sind für die große Mehrheit der Menschen deshalb unsichtbar.“ Gewiss seien Medien dazu da, das Schlechte anzuleuchten, damit es korrigiert werden kann. Doch heute werde die Erfüllung dieser Aufgabe überlagert von einer „Neigung zu provozieren“, sagt er. „Es gibt kaum Reporter, die versuchen, interessante Geschichten über etwas zu schreiben, das richtig läuft.“ So was werde Jour­na­lis­t:in­nen gar nicht erst beigebracht.

Eine Frage der Perspektive

Gezeigt habe sich das etwa daran, wie sehr der Durchbruch beim Malaria-Impfstoff ignoriert wurde. „50 Jahre lang hat die Welt darauf gewartet“, sagt Hervey. Es sei eine sehr interessante Story über Forschung, Korruption, „geheime Absprachen in den Korridoren der Macht“. Guter Stoff für Reporter, glaubt Hervey. Doch nicht einmal die im Oktober 2024 vermeldete Ausrottung der Krankheit in Ägypten, 8.000 Jahre nach den ersten Aufzeichnungen über ihr Auftreten dort, sei von den Medien groß beachtet worden. Zeitweise starben wohl bis zu 70 Prozent der Bevölkerung Ägyptens an Malaria. Die Ausrottung sei „vielleicht eine der größten Geschichten, die es je gab“. Und doch habe es in den meisten großen Medien „fast nichts“ dazu gegeben. „Und wenn niemand auf solche Einsen hinweist, ist es unwahrscheinlicher, dass wir sie in Zukunft weiter bekommen.“

Beim Klima „warnten Wissenschaftler 30 Jahre lang, ohne dass etwas passiert ist“. Jetzt würden sie und Journalisten „immer weiter eskalieren, um zu versuchen, Aufmerksamkeit zu gewinnen“. Doch Studien zum Medienkonsum zeigten, dass „Schreien und beängstigende Schlagzeilen“ zwar Aufmerksamkeit erzeugen, Menschen aber nicht zum Handeln bewegen. Im Jahr 2024 könnten die weltweiten Kohlenstoffemissionen zum ersten Mal stagnieren. „Aber diese Geschichte wird nicht Seite an Seite mit der Geschichte der Klimazerstörung erzählt“, sagt Hervey. Nur wenige Journalisten schrieben darüber, „wie wir die Kurve drücken“. Progressiv denkende Menschen müssten lernen, „bessere Geschichten“ über ihr Projekt zu erzählen.

Schützt ihn selbst denn seine Arbeit davor, über all die Horrornachrichten zu verzweifeln? Nein, sagt Hervey. „Wenn ich die Berichte über die humanitäre Krise im Sudan lese, finde ich das absolut verheerend.“ Es gebe vieles, was falsch laufe. Er habe zum Beispiel immer geglaubt, dass die liberale Demokratie sich von selbst durchsetzt. Und so werde auch sein Weltbild „ständig erschüttert“, zuletzt bei der US-Wahl. „Aber gleichzeitig lese ich zum Beispiel, dass wir im letzten Jahr 150.000 Menschen vor Tuberkulose gerettet haben.“

Für jede erschütternde Geschichte gebe es eine, die „mindestens genauso kraftvoll“ sei. Die Herausforderung sei, diesen „im Kopf gleich viel Gewicht“ zu geben.

Viele, die die Welt ähnlich sehen wie Angus Hervey, verweisen auf das 2013 von Max Roser gegründete Portal „Our World in Data“ der Universität Oxford. Roser hat dort eine Professur für Globale Entwicklung, wurde vom UN-Generalsekretär António Guterres eingeladen und berät die UN in Statistikfragen. Bill Gates nannte Roser „einen seiner Lieblingsökonomen“.

Eine „Gute Nachrichten“-Seite betreibe er aber nicht. „Es trifft mich oft hart, was die Statistiken aussagen“, sagt Roser. „Dass 735 Millionen Menschen auf der Welt hungern, ist einfach elend zu sehen.“ Und doch sei es so, dass die Menschheit „gegen alle Erwartungen und gegen riesige Widerstände oft fundamentale, unglaubliche Verbesserungen erreicht“ habe.

Fatalismus und Climate Anxiety gehen heute teils so weit, dass junge Menschen über Suizid nachdenken. Er wolle es nicht abtun, dass manche die Zukunft für nicht lebenswert halten, sagt Roser dazu. Und doch sehe er darin einen „Perspektivverlust“. In der Vergangenheit, so sagt er, sei jedes zweite Kind gestorben, bevor es das Ende der Pubertät erreicht hat – und trotzdem fanden Menschen das Leben lebenswert.

Heute hungert einer von elf Menschen auf der Welt, 1960 war es einer von drei. Und es gab nicht einmal halb so viele Menschen. Das sei eine Perspektive, die ihm helfe, „nach vorn zu schauen, warum ich eine Familie haben möchte und warum ich versuche, meinen Beitrag zu leisten“, sagt Roser. Es lohne, eines nicht zu vergessen: „Die Menschen in der Vergangenheit waren in viel schlechteren Situationen als wir.“

Eine Voraussetzung für Fortschritt ist Multilateralismus

Viele seien früher „unglaublich pessimistisch“ gewesen. Der erste Satz von Paul Ehrlichs 1968 erschienenem Weltbestseller „Bevölkerungsbombe“ lautet: „The Battle to feed all of humanity is over“. „Da war einfach keine Hoffnung mehr“, sagt Roser. „Und das war die Standardmeinung.“ Ehrlich habe sogar erwartet, dass Großbritannien im Jahr 2000 „nicht mehr lebensfähig ist und nicht mehr existiert“. Der damalige Fatalismus war falsch, sagt Roser. „Das sollte uns eine Lehre sein für unsere eigene Zeit.“

Heute bewege sich „der Großteil der Menschheit in die richtige Richtung“, aber einige Kriegsgebiete und extrem arme Staaten wie DR Kongo, Madagaskar oder die Zentralafrikanische Republik machten diese Entwicklung nicht mit. Sie seien seit 1950 nicht wohlhabender, sondern noch ärmer geworden. „Um die mache ich mir wegen der Klimakrise am meisten Sorgen.“

Der Fortschritt, den Rosers Zahlen zeigen, hat Voraussetzungen. Unter anderem den Multilateralismus, den Politiker wie Trump abwickeln wollen. Wird das messbare Folgen haben?

Weniger Kooperation mache es „schwieriger für uns alle“, sagt Roser dazu. Aber es sei auch „nicht das Ende“. Er erinnert an die Pocken, „eine der elendsten Infektionskrankheiten der Menschheitsgeschichte“. In den letzten 100 Jahren vor ihrer Ausrottung 1978 tötete sie eine halbe Milliarde Menschen. Weit mehr Infizierte überlebten, aber blieben für ihr Leben vernarbt, ausgestoßen, teils erblindet.

Die Krankheit auszurotten habe nur durch globale Zusammenarbeit für eine Impfkampagne funktioniert. „Zum Höhepunkt des Kalten Krieges, in der sehr misslichen internationalen Lage der 60er und 70er, haben Ärzte und Leute in internationalen Organisationen zusammengearbeitet und so etwas Außergewöhnliches erreicht.“

Die Menschheit hat schon viel erreicht

Menschen würden heute paradoxerweise das Ausmaß globaler Probleme unterschätzen, aber gleichzeitig den Fortschritt im Kampf gegen diese Probleme nicht sehen, sagt Roser. Das habe auch mit der Gewichtung von Nachrichten zu tun. „Jeden Tag sterben 16.000 Kinder, in den Nachrichten findet das überhaupt keine Aufmerksamkeit.“ Stattdessen gab es etwa zur US-Wahl praktisch schon ein halbes Jahr vorher nonstop Berichterstattung. „Ich habe auch viel Zeit damit verbracht, mir über irgendwelche Details im US-Wahlsystem Gedanken zu machen“, sagt Roser. „Letztlich habe ich die Aufmerksamkeit damit oft aufs Falsche gelegt.“

Vielen tut das nicht gut. Psychologen würden ihm von ihren Patienten mit Depressionen schreiben. „Die sind überwältigt von der Nachrichtenlage und dem Gefühl, dass alles schiefgeht.“ Die Therapeuten „zeigen ihnen mit unseren Grafiken, dass eben nicht alles in die falsche Richtung geht. Das hätte ich nie für möglich gehalten.“

Spiegel-Reporter Ullrich Fichtner beschreibt heute schwerpunktmäßig den übersehenen Fortschritt. Er spricht von einem „Wahrnehmungsschock“, als er sich für eine optimistischere Weltsicht geöffnet habe. „Man macht so Bekanntschaft mit einem Weltbild, das Kopf steht, mit seinen eigenen Wissenslücken“, sagt Fichtner.

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Wenn er über Zuversicht spreche, würden die meisten denken, er hielte die Weltlage für gar nicht so schlimm. „Das ist nicht der Fall.“ Aber: Negative Momentaufnahmen ließen sich nicht einfach linear in die Zukunft verlängern. „Und historisch begründbar lässt sich hinzufügen, dass es unglaublich viele Überraschungen im Lauf der Menschheitsgeschichte gab, die alles auf den Kopf gestellt haben.“

Faszinierend sei, wie im Abstand von etwa 50 Jahren immer wieder sehr große Dinge geschahen: Elektrizität, Atomenergie, digitale Revolution. Heute sei die Menschheit „wahrscheinlich so gesund und lebenstüchtig wie noch nie – obwohl es immer mehr Menschen gibt.“

Widerstandsfrei verlaufe das keineswegs. Die Medizin sei „eine einzige Geschichte von Tabubrüchen“, sagt Fichtner. „Immer wieder sagen Leute: Um Gottes willen, bloß nicht!“ Sei es bei der Blutentnahme, der In-vitro-Fertilisation, der Nierentransplantation: „Immer stehen Leute an der Brücke über das Wasser und sagen: Geh nicht drüber, es wird schlimm enden, der Mensch überhebt sich.“ Heute seien die Reaktionen auf künstliche Intelligenz und andere Innovationen ähnlich. „Gestützt auf historische Erfahrung sollte man sagen: Vielleicht wird doch nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird.“

Das Gehirn fokussiert übermäßig auf das Negative

Was die Medizin vorangebracht hat, gibt dem Menschen auch in anderen Feldern Handlungsmacht – etwa beim Kampf gegen die Klimakrise. „Der Mensch ist offensichtlich in der Lage, Prozesse zumindest zu bremsen und einzuhegen, die ihn bedrohen. Das tut er immer wieder“, sagt Fichtner. In Frankreich etwa habe ein sehr vorbildliches Waldbrandmanagement die Zahl der Brände in den vergangenen 20 Jahren signifikant gesenkt. „Der Mensch hat eingegriffen, mit sehr guten Folgen für alle Beteiligten. Das geht in anderen Feldern ja auch. Dabei unterschätzen wir den Menschen und seine Möglichkeiten. Aber wir könnte bei der Anpassung wahrscheinlich schon weiter sein.“ Das liege auch daran, dass jene, die praktische Vorbereitung einfordern, schnell „als Verräter am Kampf gegen die Ursachen“ gelten.

Eine Erklärung dafür, warum Zuversicht den Menschen so schwer fällt, sei der „Negativity Bias“, sagt Fichtner: Archaische Überbleibsel evolutionärer Risikovermeidung, die das Gehirn übermäßig auf das Negative, das Gefährliche richten.

Doch er beobachte „unglaublich viele voneinander unabhängige Entwicklungen in dieselbe Richtung“. Neue Lehrstühle an Universitäten und Forschungsprojekte mit Bezug zum Klima entstehen, „weil es die jungen Studenten oder Wissenschaftler interessiert, weil sie Verantwortung übernehmen wollen“, sagt er. In der Wirtschaft sei es ähnlich. „In allen Branchen wollen Unternehmer dabei sein. Vielleicht sind sie selber Eltern und denken an die Zukunft, wollen sich korrekt verhalten. Die meisten Menschen wollen ja nicht zum Schlechten beitragen, sondern zum Gelingen.“

Die großen Erfolge der Vergangenheit waren auch möglich, weil Forschungsförderung und Wissenschaftsfreiheit, Grund- und Bürgerrechte günstige Bedingungen für sie boten. Nun kommen der Autoritarismus der Populisten, die Staatswesenzerstörung der Ultralibertären. Ruiniert das nicht die Grundlagen des Fortschritts?

„Als Donald Trump zum ersten Mal gewählt worden ist, habe ich Hunderte Berichte darüber gelesen, dass jetzt alles vorbei ist“, sagt Fichtner. Doch in der Regel hätten Populisten es in den vergangenen Jahrzehnten immer nur geschafft, Fortschritt zu verlangsamen und Dinge aufzuhalten. „Dass die es schaffen könnten, dass etwa der Verbrennungsmotor wiederkommt, ist Blödsinn. Kein Mensch will den, nicht mal die Industrie.“ Das Schlimmste an Leuten wie Trump, sagt Fichtner, sei „die wahnsinnige Zeitverschwendung“, die durch deren politischen Einfluss entstehe, „die aber an der Grundrichtung, die eingeschlagen ist, nichts mehr ändert“.

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