Hohe Verteidigungsausgaben: SPD-Linke warnen vor Rüstungswettlauf

Die Liste der Unterzeichner ist lang. Aber es steht oft „früherer“ dahinter: Rolf Mützenich, früherer SPD-Fraktionschef. Norbert Walter-Borjans, früherer Parteichef, Hans Eichel, Ex-Finanzminister. Dennoch hat es das Manifest „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ in sich. Denn es bohrt an einer empfindlichen Stelle in der SPD und wurde nur gut zwei Wochen vor dem SPD-Bundesparteitag Ende Juni veröffentlicht.

Seine zentralen Forderungen liegen über Kreuz mit dem, was die SPD in der schwarz-roten Regierung forciert. Kritikpunkt Nummer eins: Anstatt aktiv eine „stabile Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa“ anzustreben, setze Deutschland vor allem auf eine „militärische Konfrontationsstrategie und Hunderte von Milliarden Euro für Aufrüstung“.

Der Gegenvorschlag lautet: Man müsse die „notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen“. Konkret schwebt den Genossen, darunter auch Ralf Stegner, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, vor, „vertrauensbildende Maßnahmen“ mit Russland zu entwickeln, zum Beispiel „Kooperationen im Katastrophenschutz oder der Cybersicherheit sowie die behutsame Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte“.

Die von Ex-Kanzler Olaf Scholz durchgewunkene Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland gelte es zurückzunehmen. Denn „die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen würde Deutschland zum Angriffsziel der ersten Stunde machen.“ Mützenich und Co streben stattdessen „eine defensive Ausstattung der Streitkräfte an, die schützt, ohne zusätzliche Sicherheitsrisiken zu schaffen“. Die Erhöhung des Verteidigungshaushalts Richtung 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei sicherheitspolitisch überflüssig.

Am „völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine“ sei auch der Westen nicht unbeteiligt gewesen. Auch er habe durch den Kosovokrieg, den Irakkrieg 2003 „und die Missachtung wichtiger Rüstungskontrollvereinbarungen zumeist durch die USA“ die Friedensordnung untergraben. Der Kernpunkt des Papiers: „Eine Politik der reinen Abschreckung ohne Rüstungskontrolle und der Hochrüstung würde Europa nicht sicherer machen.“

Die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein ist eine der wenigen Frauen und Jüngeren, die das, wie sie sagt, „idealistische Manifest“ unterschrieben haben. Eine Annäherung an Russland sieht die 39-Jährige darin keinesfalls. „Derzeit zwingt uns Putins Aggression dazu, mehr in Verteidigung zu investieren. Ich halte es aber für wichtig, jetzt schon über Alternativen zur Aufrüstung nachzudenken, für den Tag, an dem Putin nicht mehr im Kreml sitzt. Wir sollten das Ziel Abrüstung nicht aus den Augen verlieren.“

Das Manifest sei ein Beitrag zur Debatte, keine Gegenposition zu der von Parteichef Lars Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius. „Ich sehe keine Spaltung der SPD.“ Wallstein kritisierte das Ziel, langfristig 5 Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. „Wir müssen mehr in Verteidigung investieren, ich kenne aber keine konkrete Begründung, warum es 5 Prozent des BIP sein müssen.“

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Wir sollten das Ziel Abrüstung nicht aus den Augen verlieren

Maja Wallstein, SPD-Bundestagsabgeordnete

Sich mehr Diplomatie zu wünschen, sei „in der SPD keine Außenseiterposition“, sagt auch Urheber Rolf Mützenich. Es gebe zudem manche in der SPD, die fürchten, dass „die hohen Ausgaben für Militär und Rüstung zulasten von notwendigen Innovationen gehen“. Das Manifest sei „mit Sicherheit“ keine Kampfansage an Parteichef Lars Klingbeil. Und auch „kein taktischer Versuch“, Wähler des Bündnisses Sahra Wagenknecht wieder für die SPD zu gewinnen. Ob die Initiatoren das Manifest beim SPD-Parteitag einbringen werden, ließ Mützenich offen und verwies auf bereits vorliegende Anträge mit ähnlichem Inhalt.

Die entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sanae Abdi, ebenfalls Unterzeichnerin des Manifests, betont, dass die Tür der Sozialdemokratie zur Friedensbewegung offen bleiben müsse. Das 5-Prozent-Ziel werde auch in der SPD kontrovers diskutiert. Auf dem Bundesparteitag werde es „zwangsläufig zu einer Debatte darüber kommen“.

Er werde regelmäßig von SPD-Ortsvereinen eingeladen, sagt Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans. „Die offizielle SPD-Linie und das, was an der Basis zu hören ist, fällt oft auseinander.“ An der Basis gebe „es beide Haltungen. Umso wichtiger wäre es, die jeweils andere nicht pauschal zu verteufeln.“ Das Manifest fordere ja keineswegs „Putin mit blanker Brust zu begegnen, sondern Verteidigungsfähigkeit und Abrüstung zu verknüpfen“.

Die politische Konkurrenz ist auf den Barrikaden. Der Versuch, Russland Kooperationen anzubieten, sei „Wunschdenken, denn ein solcher Kurs führt leider gerade nicht dazu, dass ein skrupelloser Imperialist die Gewalt beendet“, so die Vizefraktionschefin der Grünen, Agnieszka Brugger. Dahinter stünden „vor allem die üblichen Verdächtigen“, die „bei der Postenvergabe in der SPD leer ausgegangen“ seien.

Kritik kommt aber auch aus der SPD selbst. Adis Ahmetovic, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, findet an dem Manifest nicht Gutes. Er habe das „inhaltlich in weiten Teilen fragwürdige Papier von 5 der 120 Mitglieder der Bundestagsfraktion sowie weiteren (ehemaligen) Funktionären zur Kenntnis genommen“, so Ahmetovic. Er gehört wie Mützenich zur Parlamentarischen Linken, doch seine Erklärung verströmt maximale Distanz: inhaltlich uninteressant, die unerhebliche Ansicht einer verschwindenden Minderheit.

Verteidigungsminister Boris Pistorius ließ auf Anfrage der taz mitteilen, er habe aus terminlichen Gründen keine Zeit sich zu dem Papier zu äußern.

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