Lebenslange Haft für syrischen Arzt: Deutschland muss Syriens Justiz unterstützen

Ein internationales Tribunal bleibt Utopie. Aber es gibt Mittelwege zwischen einer illusorischen internationalen und überforderten nationalen Justiz

L ebenslang für den syrischen Arzt Alaa M., der im Dienst der Assad-Diktatur Menschen zu Tode folterte – das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom Montag reiht sich ein in eine Serie ähnlicher deutscher Urteile seit 2022.

Es ist das erste seit Assads Sturz, ein eindrucksvolles Zeugnis der Beharrlichkeit der deutschen Ermittler und ihrer syrischen Zeugen. Mit solchen Urteilen ist die Wahrheitsfindung für Syrien nicht beendet. Sie beginnt erst. Der Regimewechsel in Syrien ist gerade etwas über ein halbes Jahr her. Wie die Täter der Schreckens­herrschaft zur Rechenschaft zu ziehen sind, ist nach wie vor völlig unklar. Der Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen in Syrien steht noch ganz am Anfang.

Aufarbeitung übersteigt Kapazitäten jeder Justiz

Die Gesamtaufarbeitung der Ära Assad übersteigt die Kapazitäten jeder Justiz. Das syrische Menschenrechtsnetzwerk SNHR (Syrian Network for Human Rights), auf dessen Arbeit sich die bestehenden UN-Untersuchungen zu Syrien stützen, hat in einem Bericht vorgerechnet, worum es geht: 231.000 außergerichtliche Tötungen an Zivilisten, mindestens 157.000 Verschwundene, mindestens 15.395 Foltertote, der Einsatz von Chemiewaffen, Streubomben und Brandbomben. Immer noch werden Leichen aus Massengräbern geborgen.

An Initiativen mangelt es nicht. Syriens Regierung hat vor vier Wochen eine Behörde für „Transitio­nal Justice“ ins Leben gerufen. Eine neue UN-Agentur für Verschwundene in Syrien erstattete erst vergangene Woche erstmals Bericht. Doch das Grundproblem bleibt: Assad sitzt unter Putins Schutz in Moskau, manche seiner Schergen sind auf der Flucht, andere sind in Syrien untergetaucht und destabilisieren die neue Regierung, dessen Stabilität wiederum vom Stillhalten übergelaufener Verbrecher abhängt – eine schier unlösbare Konstellation.

Ein internationales Syrien-Tribunal, wie es manche fordern, dürfte eine Utopie bleiben. Aber es gibt Mittelwege zwischen einer illusorischen internationalen und einer überforderten nationalen Justiz. So könnten ausländische Gerichte ­relevante Urteile, Ermittlungsergebnisse und Zeugenaussagen der syrischen Justiz zur Verfügung stellen. Und warum sollten mit Syrien befasste deutsche Ermittler Spuren nicht in Syrien weiterverfolgen?

Das sind nicht nur Gedankenspiele. Wenn einmal Syrien Haftbefehle gegen flüchtige Täter im Ausland erlässt, wird eine juristische Zusammenarbeit zwingend, um dem „neuen Syrien“ unter die Arme zu greifen. Deutschland, das vor drei Jahren mit seinem ersten Syrien-Folterurteil in Koblenz weltweite Rechtsgeschichte schrieb, könnte jetzt auch hier Vorreiter spielen.

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