Mullah-Regime kappt Internet: Digitale Stille über Teheran

Der Kontakt zu Einwohnern des Iran bricht plötzlich ab. Es ist der Abend des sechsten Kriegstages. Netzwerk­experten bestätigen, dass etwas Außergewöhnliches mit der Telekommunikations- und Internet­infrastruktur des Iran passiert ist. Diesmal ist nicht nur die Verbindung des globalen Internet mit dem nationalen Intranet des Iran unterbrochen – das Land wurde vollständig von der Außenwelt abgeschnitten.

Die taz versucht, Bürger in Teheran telefonisch zu erreichen, aber selbst das ist zunächst unmöglich. Für mehrere Stunden herrschen Anspannung und Verwirrung, weil alle Informationskanäle aus dem Iran unterbrochen sind.

Bei einem solchen Kommunikations-Blackout öffnet sich das einzige Fenster zu den Geschehnissen durch einen Experten aus dem Ausland: Amin Anvari, ein iranischer Netz-Aktivist, lebt in Toronto. Er erklärt: „Im Verlauf früherer Krisen hat der Iran das Internet ‚nationalisiert‘, wie die offizielle Terminologie lautet, sodass dort nur noch auf inländische Websites zugegriffen werden konnte. Diese Einschränkungen galten in der Regel für Mobilfunknetze, und während der Proteste gegen das Regime im November 2019 wurden sogar die Internetverbindungen in Privathaushalten vorübergehend eingeschränkt, oft über mehrere Stunden hinweg bis tief in die Nacht hinein.

Aber diesmal ist etwas Beispielloses passiert: Nicht nur Mobilfunk- und Internetdienste für Privathaushalte wurden weitgehend ‚nationalisiert‘, sondern sogar die Rechenzentren waren von der Abschaltung betroffen.“ Insbesondere während der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung von 2022 hat Amin Anvari dazu beigetragen, wirksame VPNs zu entwickeln und iranischen Bür­ge­r*in­nen so den Zugang zum freien Internet zu sichern.

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Über Umwege Nachrichten schicken

„Die Rechenzentren im Iran haben bisher immer den Internetzugang aufrechterhalten“, sagt er. „Iranische Websites waren aus dem Ausland zugänglich und umgekehrt. Selbst während der Internetabschaltungen fanden die Menschen daher oft Wege, die Beschränkungen zu umgehen. Eine gängige Methode war die Anmietung eines Servers in einem Rechenzentrum – da diese Rechenzentren noch über einen Internetzugang verfügten, konnten die Nut­ze­r*in­nen mithilfe spezieller Techniken Tunnel erstellen und sich wieder mit der Außenwelt verbinden.“

„Aber jetzt“, fährt er fort, „sind zum ersten Mal seit mehr als 24 Stunden alle Internetdienste – mobil und zu Hause – ‚nationalisiert‘. Und in vielen Gebieten funktionierte am ersten Tag nicht einmal das sogenannte ‚nationale Internet‘. Es war eine vollständige Abschaltung. Das bedeutet, dass sogar die Websites der iranischen Regierung nicht erreichbar waren.“ Amin betont, dass die Islamische Republik auch Telefonate, SMS und sogar Roaming-Dienste deaktiviert habe.

Während der Recherche zum Internet-Blackout in Teheran und der unheimlichen Stille, die über der Stadt liegt, trifft plötzlich eine Nachricht von Amir* aus Teheran über die verschlüsselte Messaging-App Signal ein. In einer Sprachnotiz sagt er: „Als gestern das Internet ausgefallen ist, habe ich nach Tagen endlich das Haus verlassen. Ein Freund nahm mich auf seinem Motorrad mit, und wir sind durch die ganze Stadt gefahren. Teheran wirkte wie verlassen und still. Es sah so aus, als sei ein großer Teil der Bevölkerung bereits geflohen – in vielen Häusern brannte kein Licht. Und diejenigen, die geblieben waren, trauten sich wegen der Sicherheitskräfte nicht aus ihren Häusern.“

Hoffen auf ein Ende des Mullah-Regimes

Amir ist 40 – alt genug, um immer wieder mit dem Repressionsapparat des Regimes in Konflikt geraten zu sein. Er hat an allen großen Protestbewegungen der letzten zwei Jahrzehnte teilgenommen und wurde während der Aufstände von 2019 und 2022 verhaftet.

„Es ist nicht so, dass es in Teheran überhaupt keine Lebensmittel oder Trinkwasser gibt“, sagt er. „Viele kleine Läden haben geschlossen, aber einige sind noch geöffnet. Vor manchen Geschäften stehen Kisten mit Wasserflaschen. Ich vermute, dass dies auf Wunsch der Sicherheitsbehörden geschieht, um den Eindruck zu erwecken, dass die Logistik und die Versorgung der Stadt normal funktionieren.“

Nach seinem Motorradausflug beschloss Amir, eine Verbindung zum Netz herzustellen. „Ich bin in mein Auto gestiegen und habe mir vorgenommen, dass ich so lange fahren werde, bis ich einen Ort finde, an dem das Internet wieder funktioniert. Ich dachte, vielleicht wäre nur Teheran abgeschnitten.“

Er fuhr vier Stunden lang und entfernte sich immer weiter von der Hauptstadt, bis er es schaffte, über einen VPN-Tunnel eine Verbindung zum weltweiten Internet herzustellen. Während ich mit Amir spreche, erreichen erste schwache Signale aus Teheran mein Telefon. Einige Nut­ze­r*in­nen fangen an, Nachrichten zu schicken. Einige feiern in ihren Instagram-Stories, dass sie endlich wieder eine Internetverbindung haben. Doch die überwiegende Mehrheit der Ein­woh­ne­r*in­nen der Stadt bleibt abgeschnitten – gefangen in digitaler Stille.

Zahra* gehört zu den wenigen, die es geschafft haben, online zu gehen. Sie schreibt via Instagram: „Ich habe Angst und bin zugleich voller Hoffnung. Das Donnern von Bomben und Flugabwehrgeschützen war in der Nacht in Teheran viel weniger intensiv. Gegen 4 Uhr morgens wurde ich durch eine Explosion geweckt, aber ich habe mir Watte in die Ohren gestopft, um nichts zu hören, damit ich etwas schlafen konnte. Ich habe die ganze Woche nicht richtig schlafen können. Aber ich hoffe, dass all das mit dem Sturz der Islamischen Republik und der Mullahs endet.“

Dann wendet sie sich an mich, eine Journalistin im Exil: „Mach dir keine Sorgen. Du wirst innerhalb einer Woche wieder im Iran sein. Wir werden unsere Städte und unser Land wieder aufbauen. Wir werden wieder in Freiheit leben.“

Aus dem Englischen Ulrich Gutmair

*Die Namen von Amir und Zahra wurden von der Redaktion geändert

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