Israels Krieg in Gaza: Kaum eine Hilfe für die Palästinenser

Jerusalem taz | Zehn Stunden lang sollen jeden Tag in Gaza die Waffen schweigen. Doch nicht überall: In Al-Mawasi, einem zur „humanitären Zone“ erklärten Gebiet, in Teilen von Gaza-Stadt und von Deir al-Balah, wie es in einer Ankündigung der israelischen Armee heißt, und zwar zwischen 10 und 20 Uhr.

Diese sogenannte Gefechtspause soll die Verteilung von Hilfsgütern an die Bevölkerung Gazas erleichtern. In dieser Zeit sollen die Scharen hungernder Männer und Frauen, die seit Monaten die gefährlichen Wege zu den vier Verteilstellen in dem Küstenstreifen füllen, die Chance auf eine bessere Versorgung erhalten.

Dazu soll es demnach ab Sonntag sichere Routen für Hilfskonvois geben. Laut dem ägyptischen Sender Al Qahera News TV haben sich am Sonntag Lastkraftwagen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten zum ersten Mal seit Monaten vom Grenzübergang Rafah aus in Richtung Gaza bewegt. Die Nachrichtenagentur AFP hat die Fahrzeuge voll eingepackter Paletten gefilmt, wie sie einer nach dem anderen durch das Eingangstor im Schritttempo fahren. Unklar ist jedoch, ob sie tatsächlich die Verteilstellen erreicht haben.

Ferner hat Israel wieder begonnen, Mehl, Zucker und Konserven aus Flugzeugen abzuwerfen, nachdem diese Abwürfe letztes Jahr eingestellt wurden. Das Stromnetz für eine Entsalzungsanlage für Trinkwasser soll ebenfalls wieder in Betrieb gehen.

Hilfsorganisationen sind skeptisch

Ob dies ausreicht, um die drohende Hungersnot in Gaza zu lindern, ist fraglich. Laut dem Gesundheitsministerium sind bereits 127 Menschen verhungert, 85 davon Kinder. Bilder sind jüngst um die Welt gegangen von Müttern, die in dunklen Zelten ihre ausgezehrten Säuglinge in den Armen hielten, die Babys kaum mehr als Knochen und Haut.

Jedes fünfte Kind in Gaza-Stadt ist laut den Vereinten Nationen unterernährt. Ein Drittel der Bevölkerung ist dazu gezwungen, tagelang zu fasten. Nahrungsmittel werden zunehmend knapp und die Preise sind für die meisten unerschwinglich. Hunderte Dollar kostet derweil ein Sack Mehl.

Hilfsorganisationen blicken mit Skepsis auf die Wiederaufnahme der Abwürfe von Hilfslieferungen per Flugzeug. Sie betrachten diese als ineffizient, teuer und gefährlich. Mehrere Menschen sind wohl dabei gestorben, erschlagen von defekten Paletten und Fallschirmen, oder ertrunken beim Versuch, die im Mittelmeer gefallenen Lebensmittel zu fangen.

Israel hatte zunächst fast drei Monate lang jegliche Hilfslieferungen blockiert und dann mit US-Unterstützung ein neues Hilfssystem ins Leben gerufen, das de facto die Vereinten Nationen und andere etablierte NGOs außen vor ließ. Mehr als 1.000 Menschen sollen auf dem Weg zu den vier Verteilstellen der neu gegründeten Gaza Humanitarian Foundation und zu den Hilfskonvois ihr Leben verloren haben, oft anscheinend vom israelischen Militär erschossen.

Bericht widerspricht israelischer Darstellung

Die Stiftung wird von Israel und den USA unterstützt. Seit sie unter recht nebulösen Umständen gegründet wurde, steht sie im Mittelpunkt verschiedener Kontroversen. Sie und die israelische Regierung haben der Hamas mehrfach vorgeworfen, die Hilfslieferungen der Vereinten Nationen zu plündern. Die Hamas wiederum bestritt die Anschuldigungen stets, dennoch waren die Vorwürfe der Hauptgrund, weswegen die Stiftung ins Leben kam.

Ein investigativer Bericht der US-Zeitung New York Times kommt jetzt zu dem Schluss, dass es nicht zu Plünderungen durch die Hamas kam, zumindest nicht regelmäßig. In Wahrheit sei das Hilfssystem der UN damals ziemlich effektiv gewesen. Die Zeitung bezieht sich auf israelische Quellen, auch innerhalb des Militärs. Ein Sprecher des israelischen Militärs bezeichnete den Report daraufhin als „Fake News“.

Bereits am Donnerstag hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigt, im September einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen. Deutschland wollte sich nicht anschließen, am Freitag forderte Bundeskanzler Friedrich Merz jedoch zusammen mit den Staats- und Regierungschefs in Großbritannien und Frankreich ein Ende des Konflikts. Alle israelischen Geiseln sollten freikommen und die Hamas komplett entwaffnet werden. Sie forderten Israel auf, die Einschränkungen für Hilfslieferungen unverzüglich aufzuheben.

Vor einer Woche war zudem erneut ein Segelschiff mit Hilfsgütern von Sizilien aus in See gestochen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen der Freedom Flotilla wollten die Seeblockade durch Israel rund um Gaza brechen. Am späten Samstagabend wurden sie, so wie ihre Mit­strei­te­r*in­nen im Juni, von der israelischen Marine auf hoher See gekapert und an Land gebracht. Menschenrechtsorganisationen beklagen, noch keinen Zugang zu den Festgenommenen bekommen zu haben.

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