Kopenhagens „Porno-Meerjungfrau“: Versteinerte Männerfantasien

G roße Frauen haben große Brüste. Die Faustregel der Physiognomie stammt von Peter Bech, er ist der Urheber einer umstrittenen Statue in Kopenhagen. Bechs Regel ist natürlich falsch – und dazu vielmehr eine Rechtfertigung dafür, dass seine Statue „Den Store Havfrue“ (Die große Meerjungfrau) augenscheinlich gemachte Brüste hat.

Denn neben der berühmten kleinen Meerjungfrau, „Den lille Havfrue“, eine Bronzefigur, die an der Kopenhagener Uferpromenade auf einem Findling sitzt, gibt es seit 2006 auch ein 6 Meter hohes Exemplar aus 14 Tonnen Granit – in Auftrag gegeben von dem Geschäftsmann Peter Bech.

2018 musste die Riesennixe aus dem Stadtzentrum weichen und zog etwa 15 Kilometer südöstlich der Hauptstadt zur Festung Dragør um. Der Grund dafür war derselbe, aus dem die dänische Palast- und Kulturbehörde aktuell fordert, die Statue auch dort zu entfernen: Sie gilt als hässlich und pornografisch.

Der Streit berdie Store Havfrue offenbart, worum es bei Debatten über den weiblichen Körper oft geht – nämlich um Männerfantasien. Denn die großbusige Meerjungfrauenstatue zeigt kaum mehr ein Fabelwesen, sondern entlarvt viel mehr, was die Figur eigentlich schon immer war: der plastische Ausdruck der feuchten Männerträume, das mystische Wasserwesen, das ihm einerseits Lust verspricht und ihn andererseits ins Verderben stürzen kann.

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Die Meerjungfrau bildet eine Brücke zwischen Mensch und Natur und verkörpert eine gefährlich erotische Verlockung

Tödliche Macht der Verführung

In der europäischen Folklore steht die Meerjungfrau für das Dunkle, das verführerisch Weibliche. Sie bildet eine Brücke zwischen Mensch und Natur und verkörpert eine gefährlich erotische Verlockung. Seefahrer wurden in alten Erzählungen vom Gesang der Jungfrauen zu Felsen gelockt, an denen ihre Schiffe zerschellten. So ist die Meerjungfrau eine männliche Projektionsfläche für die tödliche Macht der Verführung.

Auch für Hans Christian Andersen ist die kleine Meerjungfrau eine Projektion. In seinem berühmten Märchen verliebt sie sich in einen sterblichen Prinzen und tauscht ihre Stimme gegen menschliche Beine, um ihm näherzukommen und eine sterbliche Seele zu erhalten. Doch sie kann nicht sprechen, da ihre Zunge fehlt. Der Prinz verliebt sich in eine andere, und weil sie den Prinzen dann nicht töten möchte, opfert sie stattdessen ihr eigenes Leben, indem sie sich in einen Luftgeist verwandelt.

Eine verbreitete Deutung des Märchens ist, dass Andersen darin seine unerwiderte Liebe zu Edvard Collin, dem Sohn seines Förderers, verarbeitete. Wie die Meerjungfrau vom Prinzen, so blieb auch Andersen von Collin ungeliebt. Andersen begann das Märchen an dem Tag zu schreiben, an dem Collin heiratete. Die herausgeschnittene Zunge der Nixe könnte das stumme Leiden und die gesellschaftliche Sprachlosigkeit homosexueller Liebe im 19. Jahrhundert repräsentieren.

Male Gaze

Umso befremdlicher wirkt die Granitnixe: Eine dem „Male Gaze“, dem männlich objektivierenden Blick entsprungene Version eines im Märchen gerade mal 16-jährigen Mädchens: verführerisch lächelnd, Wespentaille, die ohnehin schon großen Brüste mit ihren Vorderarmen dem Betrachter noch entgegendrückend.

Laut Bech brauchte es die neue Meerjungfrau mit Silikonbrüsten vor allem, weil ihre kleine Schwester, die 1,25 Meter große Bronzefigur an der Promenade, für die Touristenmassen zu klein sei. Sie allein scheint nicht ausgereicht zu haben: Denn kleine Frauen haben nun mal kleine Brüste.

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