Antiziganismus in der Polizei: Eine historische Kontinuität

Sinti und Roma in Deutschland sind von wiederkehrender antiziganistischer Diskriminierung durch die Polizei betroffen. Das geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) hervor. Für die Analyse werteten der Politikwissenschaftler Markus End und die MIA 215 Fälle aus, die zwischen 2022 und 2024 von Betroffenen gemeldet wurden. Die MIA fordert unter anderem eine behördeninterne Auseinandersetzung, eine Sensibilisierung für und Prävention von Antiziganismus sowie unabhängige Beschwerdestellen.

Demnach erlebten Sinti und Roma, insbesondere Männer, häufig institutionelle und individuelle Diskriminierung. Dabei seien sie sowohl von sogenanntem „Overpolicing“ als auch „Underpolicing“ betroffen. So seien Sinti und Roma unverhältnismäßigen Kontrollen und Maßnahmen ausgesetzt, während Antiziganismus von der Polizei selbst bagatellisiert und geleugnet werde.

Laut Bericht gibt es demnach Fälle, in denen die Polizei den Schutz und die angemessene Strafverfolgung von antiziganistischen Vorfällen verweigere. Außerdem gebe es eine niedrige Schwelle bei der Anwendung von Zwangsmitteln gegen Sinti und Roma, die in teils körperliche Angriffe und Gewalt münden.

Weil die Datenlage zu Antiziganismus bei der Polizei sehr dünn ist, soll die Auswertung des MIA Aufschluss über die komplexen Verschränkungen und Interaktionsverhältnisse von Ausgrenzungsmechanismen geben. Die Fälle beruhen auf Schilderungen von Betroffenen und Zeu­g*in­nen oder auf Ereignissen, welche Polizeimeldungen und Medienberichte öffentlich gemacht haben.

Lange Geschichte des Antiziganismus

Der Zentralrat der Sinti und Roma und die MIA definieren Antiziganismus als „spezielle Form des Rassismus, die sich gegen Roma, Sinti, Fahrende und andere Personen richtet, die von der Mehrheitsgesellschaft als ‚Zigeuner‘ stigmatisiert werden“.

Seit dem Kaiserreich erfasst die Polizei Angehörige der Minderheit in Sonderakten, allein aufgrund ihrer zugeschriebenen Zugehörigkeit. In der Erfassungspraxis im Nationalsozialismus war die kriminologische Kategorie „Z*******“ eine der Entscheidungsgrundlagen über die Deportation.

Auch das gegenwärtige Overpolicing von Sinti und Roma sei weiterhin auf die polizeiliche Sondererfassung zurückzuführen, so das MIA. So gebe es weiterhin Kategorien wie „Reisender Täter“ und auch in der Ermittlungskategorie „Clankriminalität“ würden sie modernisiert. Diese bleiben weiter bestehen, weil sie innerhalb der Polizei als professionelles Erfahrungswissen gelten würden, so die Organisation von BetterPolice.

Dialog, Aufarbeitung, Beschwerdestellen

Bereits 2021 erklärte die Unabhängige Kommission Antiziganismus: „Die deutsche Polizei muss historisch und bis in die Gegenwart als eine gesellschaftlich relevante Institution sowohl bei der Produktion antiziganistischer Ideologie als auch bei der Umsetzung antiziganistischer Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen betrachtet werden.“

Der Bericht bestätigt nun diese historische Kontinuität des Antiziganismus, in der die Polizei eine „zentrale gesellschaftliche Instanz des Antiziganismus“ darstelle, die systematisch Betroffene überwache, ausgrenze und diskriminiere. Der Bericht belege, dass „antiziganistische Diskriminierung in polizeilichen Strukturen kein historisches Relikt ist, sondern eine gegenwärtige Realität“, erklärt Guillermo Ruiz, Geschäftsführer von MIA.

BetterPolice fordert, dass die historisch-politische Aufarbeitung fester Ausbildungsbestandteil werden soll. Es brauche unabhängige Beschwerdeinstanzen, dauerhafte Dialogformate mit betroffenen Communities und eine Struktur, die diskriminierendes Verhalten konsequent sanktioniert.

  • informationsspiegel

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