ADHS, Masking und Beziehung: Durch ADHS die perfekte Frau für dich

W er meine Freundin Alice zum ersten Mal sieht, verliebt sich meist sofort und unsterblich. Seit ich sie kenne, haben unzählige Männer sie für die Liebe ihres Lebens gehalten, – oft bereit, alles für sie zu opfern. Der Grund dafür ist ihre typische AD(H)S-Fähigkeit, zu erspüren, was ihr Gegenüber braucht und sich blitzartig in eine dafür maßgeschneiderte Version zu verwandeln.

Alice gibt Leuten das Gefühl, ihre unbemerkten Talente ebenso zu sehen, wie ihre sorgsam verborgenen Mängel – und sie trotzdem zu akzeptieren. Ohne es zu wollen, wird sie damit zum Spiegel Nerhegeb aus Harry Potters „Stein der Weisen“: Wer sich in ihr betrachtet, sieht die Erfüllung seiner geheimsten Träume. Und kommt nicht mehr von ihr los.

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Die echte Alice kennen nicht viele. Die Wut, die Verzweiflung, die schlechte Laune

Ironischerweise ist es genau das, was Menschen wie Alice selbst nicht bekommen haben: bedingungslose Akzeptanz und Wertschätzung dafür, wer sie wirklich ist. Stattdessen hat sie, wie viele Frauen mit AD(H)S, von Anfang an gelernt, sich zu verstellen, sich zu maskieren. Masking, das bedeutet, die eigene vermeintliche Unzulänglichkeit im Alltag mit aller Kraft zu überspielen, um in einer von neurotypischen Leuten gebauten Welt klarzukommen: überpünktlich zu Terminen kommen, super organisiert sein, nie „nein“ sagen, um die eigene Verlässlichkeit unter Beweis zu stellen.

Besonders von weiblich sozialisierten Menschen wird erwartet, dass sie sich für die gute Laune anderer (vor allem von Männern) zuständig fühlen. Zusammen mit der Fähigkeit, Bedürfnisse zu erspüren, werden wir zum Traum unserer Gegenüber – und zur fatalen Mischung für uns selbst. Denn nicht nur das Masking selbst, also das ständige Beobachten von fremden und eigenen Verhaltensweisen, macht uns fertig, sondern „auch der Umstand, dass man sein eigentliches Ich für minderwertiger hält“, sagt die Neuropsychologin Jacqueline Eldagsen-Gutowsky. Nur wenn ich mich maximal kontrolliere, bin ich liebenswert, so der fest eingebrannte Gedanke.

Rückzug zum Akku laden

Wenn wir dem Druck nicht mehr standhalten können, ziehen wir uns zurück, fühlen uns einsam und unverstanden, auch von uns selbst. Ist der Akku wieder aufgeladen, verschwenden wir unsere Energie erneut darauf, andere zu pleasen. Hinter der oft unbewussten Strategie steckt aber nicht nur Angst vor Zurückweisung, die viele AD(H)Sler begleitet, sondern auch der Versuch, andere genau davor zu bewahren und ihnen einen safe space zu schaffen, damit die Nachbarin, der Kollege, die Aldiverkäuferin sich öffnen kann.

Denn natürlich maskieren sich auch neurotypische Menschen. Aber das passiert dann oft „situativ, flexibel, reversibel und bewusst“, sagt Eldagsen-Gutowsky. „Sie greift weder in die Identitätsentwicklung ein, noch ist sie mit einem zu hohen Aufwand verbunden“.

Alice sagt: „Ich lege mein Herz vor die Leute. Wenn ich mit ihnen spreche, gibt es nur noch sie und mich. Ich gebe alles, was ich habe, ich kann nicht anders“. Häufig glauben Leute, ein Recht auf sie zu haben. Und Alice gibt sich dann eine Mitschuld an der Enttäuschung ihres Gegenübers – und zieht sich zurück.

Die echte Alice kennen nicht viele. Sie zeigt sie nur dem, der damit umgehen kann, dass sie keine perfekte Barbiepuppe ist, ihre Schatten akzeptiert: Die Wut, die Verzweiflung, die schlechte Laune. All das, was sich Bahn bricht, wenn wir abends loslassen können. Aber eben auch: Die Aufmerksamkeit, die Einfühlsamkeit, die Begeisterung. Und all das ist echt.

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