Aktivistin über Anastasia-Bewegung: „Es handelt sich nicht um harmlose Öko-Spinner“

taz: Hanna Podig, die Plots der „Anastasia“-Bücher klingen wie krude Märchen. Wieso haben die Romane, die der russische Autor Wladimir Dusakow als „Wladimir Megre“ veröffentlichte, so eine Schlagkraft?

Hanna Poddig: Weil je­de:r sich daraus ziehen kann, was er oder sie braucht. Menschen mit rassistischen Tendenzen finden auf jeden Fall Legitimierung in den Büchern. Menschen, die mit verschiedenen Geschlechtern überfordert sind, finden in den Büchern den vermeintlich natürlichen Weg, wo es einen Mann und eine Frau gibt. Menschen, die antisemitisch sind, finden für sie passende Erzählungen in den Büchern. Ein zweiter Punkt ist, dass die Menschen hinter den Büchern sehr gute Arbeit beim Vermarkten geleistet haben. Außerdem hat der Autor einen ganzen Kult rund um das Buch und die Figur der Anastasia geschaffen.



Bild: Poddig

Im Interview: Hannah Poddig

geboren 1985, nimmt seit ihrer Schulzeit als Aktivistin an Besetzungen teil. Poddig ist außerdem Journalistin. 2009 erschien ihr erstes Buch „Radikal mutig. Meine Anleitung zum Anderssein“.

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taz: Wie ist die Anastasia-Bewegung in Deutschland organisiert?

Poddig: Tatsächlich ist es nicht so, dass es die eine Anlaufstelle gibt. Viele An­hän­ge­r:in­nen leugnen sogar die Existenz der Bewegung. Allerdings gibt es innerhalb der Anastasia-Szene Personen, die sich als Ansprechpersonen hervortun oder sich berufen fühlen, juristische Arbeit in dem Umfeld anzubieten. Es gibt auch einen, der einen Index, sozusagen ein Nachschlagewerk für die gesamte Anastasia-Buchreihe, geschrieben hat und als Experte für die Bücher gilt. Andere sind Experten für Permakultur, wieder andere für Grundstückskäufe oder Vereinsgründungen.

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Manche sind überzeugt, nichts mehr essen zu müssen, also nur von Luft leben zu können

Hannah Poddig, Autorin

taz: Welche Annahmen stehen hinter der Anastasia-Ideologie?Poddig: In den Annahmen finden sich esoterische, rassistische, antisemitische und im Prinzip alle Ismen wieder. Ein zentraler Begriff ist Freiheit. Wenn man sich an das hält, was Anastasia in den Büchern propagiert, erlangen, so das Versprechen, An­hän­ge­r:in­nen maximale Freiheit und Loslösung von allen Zwängen der Gesellschaft und des Kapitalismus. Das geht bei manchen sogar so weit, dass sie überzeugt sind, irgendwann nichts mehr essen zu müssen, also nur von Luft leben zu können. Ein Faktor, den im Übrigen viele esoterische oder antirationale Zusammenhänge nutzen, ist, dass Anastasia oder die Bewegung am Ende nie die Schuld treffen kann. Treffen die ganzen Versprechen nämlich nicht ein, ist das nicht die Schuld der Ideologie, sondern die einer einzelnen Person. Die hat sich dann nicht genug ins Zeug gelegt oder nicht fest genug daran geglaubt.

taz: Welche Gefahr geht von den Anastasia-Anhänger:innen aus?

Poddig: Kurzfristig bauen sie Wohn- und Landwirtschaftsprojekte auf, versuchen sich an Schulgründungen zu beteiligen, sind in Kleingartenvereinen, teils sogar in gewählten Ortsvertretungen. Erschreckend ist, über welchen Zeitraum sie agieren. Die Verbreitung der Ideologie ist über mehrere Generationen angelegt. Es gibt Beispiele aus völkischen Familien, in denen es für Kinder nicht unüblich war, den Geburtstag des Führers zu feiern. Allerdings sind die Sied­le­r:in­nen mit ihren Ansichten und Aktionen gar nicht so geheim, wie man meinen sollte. Das fängt bei den Produkten an, die sie verkaufen, und geht bis zu Workshops, die sie anbieten. Menschen, die sich nicht mit der Geschichte solcher rechten Gruppierungen auskennen, können das auf den ersten Blick gar nicht erkennen, dass problematische Motive dahinterstecken.

taz: Wissen Sie von Verbindungen zu anderen rassistischen oder extremen Gruppen?

Poddig: Menschen aus einem Anastasia-Projekt namens Weda-Elysia im Harz waren vor dem Verbot des Zusammenschlusses auf einem Treffen der Artgemeinschaft, eines völkischen Kampfverbands. Der wurde vor gut zwei Jahren verboten. Auf Flächen des Projekts „Goldenes Grabow“ in Brandenburg fand ein Sommerlager des rechten Jugendverbands Sturmvogel statt. Wieder andere Ak­teu­r:in­nen sind vernetzt mit Menschen aus dem Umfeld der Prinz-Reuß-Gruppe, die einen bewaffneten Umsturz plante und QAnon-Ideologie verbreitet. Das verdeutlicht, dass es sich nicht um harmlose Eso-Öko-Spinner handelt.

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