Antifaschistische Bildungsstätte: Geschichte schlägt Ideologie

Das Archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen liegt auf einem sanften Hügel, eingebettet in eine hübsche, aus ostdeutscher Perspektive etwas zersiedelt anmutende Landschaft. Die Menschen hier orientieren sich Richtung Bielefeld, das es gesichert gibt, man wechselt hier den Zug. Bei den Germanen ist die Sache komplizierter.

Trotzdem oder deswegen hat der Leiter des Museums, der Archäologe Karl Banghard, ein Buch über sie geschrieben. Es ist ein sehr gutes Buch, aber man muss das den Leuten, die einem skeptisch auf den Einband schauen, während man es in der Öffentlichkeit liest, erst erklären.

Der Einband zeigt einen grimmigen, bärtigen Mann mit Schwert beziehungsweise mit Lanze, und der Titel ist „Die wahre Geschichte der Germanen“. In einer Zeit, in der Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, eine ‚wahre Geschichte‘ zu erzählen, oft lächerlichen bis gefährlichen Unsinn verbreiten, tut es gut, dass man als Leser von Banghards Buch erst mal im Verdacht steht, eben das sich reinzuziehen: lächerlichen bis gefährlichen Unsinn.

Die catchy Aufmachung des Buches, im Innenteil durch farbige Reenactment-Fotos ergänzt, könnten auf den ersten Blick auch von einem Mittelaltermarkt stammen. Doch sie haben einen anderen Sinn. Banghard und sein Team in Oerlinghausen wollen wissen und wollen dieses Wissen zeigen. In seiner Formel heißt das: „Bilder gegen Bilder antreten lassen“.

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Das Buch

Karl Banghard: „Die wahre Geschichte der Germanen“. Ullstein Verlag, 2025, 22 €

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Während er in einem riesigen nachgebauten Hallenhaus auf dem Gelände des Museums steht, kommt er ins Schwärmen. Das mongolische Schilf auf dem Dach begeistert ihn. Es habe noch so harte Fröste erlebt und halte dennoch – man könne sich daran die Finger zerschneiden.

Wohnen, essen, sterben

Banghard erklärt, dass sie den Stützbaum im Haus leider falsch eingesetzt hätten, nämlich so, wie er gewachsen sei. Auf Ausgrabungen findet man die Dachstützen aber meist gegen die Fließrichtung des Saftes im Bast gesetzt, also mit der Krone nach unten. Nun fault er halt schneller, als er müsste.

Mehr als, wer diese Germanen nun waren, fasziniert Banghard die Frage, was diese Leute, die – von anderen, nicht von sich selbst – Germanen genannt wurden, nun eigentlich so konkret machten, wie sie wohnten, aßen, starben.

Die zweite Frage, die Banghard vielleicht noch drängender beschäftigt: Warum wollen so viele Leute mit erheblichem Aufwand unbedingt eine Traditionslinie von diesen Germanen zu sich selber ziehen? „So viele Leute“ ließe sich hier leicht vereinfacht durch „so viele Nazis“ ersetzen.

Banghard ist genauso detailversessener Archäologe mit handwerklichem Zugriff wie engagierter Aufklärer, er weiß über Holzbearbeitung ebenso Bescheid wie über Treffen der germanophilen rechtsextremen Szene, denen er regelmäßig Besuche abstattet. Man kenne ihn dort schon, sagt er in entspanntem badischem Singsang. Und auch das Abkleben von rechten Symbolen auf der Kleidung von Be­su­che­r:in­nen übernehme er gern persönlich.

Das Museum, das er leitet, ist eben tatsächlich im doppelten Sinn historisch, behandelt die vordeutsche Bronze-, Stein- und Eisenzeit genauso wie die „dunkelste“ Zeit deutscher Geschichte.

Mehr Bildungsstätte als Museum

Als außenpolitisches Prestigeobjekt im Olympiajahr 1936 auf dürftiger „germanischer“ Fundgrundlage aus dem Boden gestampft, wurde das Museum von verschiedenen Fraktionen im Chaosstaat der Nazis in Anspruch genommen – bis in den April 1945 hinein wurde es laut Besucherbuch insbesondere von SS-Besuchergruppen gut frequentiert. Nach dem Krieg wurde es von den Alliierten geschlossen und mit einer klaren Intention in der Bundesrepublik 1961 wieder eröffnet:

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Das Hakenkreuz auf der Truhe wurde durch eine Lebensrune ersetzt

„Als Platzhalter für das, worüber man nicht mehr schwärmen durfte: Den Nationalsozialismus“ wie es in der Broschüre des Museums „Nazis im Wolfspelz“ heißt.

Änderungen mussten dafür nur im Detail vorgenommen werden: Das Hakenkreuz auf einer Truhe etwa wurde durch eine „Lebensrune“ ersetzt. Und bei Banghard im Büro unterm Holzdach hängt eine idyllische Germanenszene in Öl, der man die Übermalungen nach 1945 aus der Mode gekommener Symbole auch noch ansieht.

Oerlinghausen ist also weniger ein Museum als eine Bildungsstätte. Hier geht es nicht darum – und ist bei der historischen Kontaminierung ohne Anleitung auch schwer vorstellbar –, von Hütte zu Hütte zu wandeln und sich Germanisches anzuschauen. So was, sagt Banghard, machten eh mehr die Gymnasiasten im Landesmuseum, zu ihnen käme man eher aus anderen Schultypen.

Ziel sei nicht das Bestätigen von Gewohntem, sondern das sinnliche Vermitteln von Fremdheit; nicht, oh schau mal, die Germanen hatten auch schon Feuer, sondern eher: Macht mal Feuer wie die Germanen und erlebt dann, wie mühsam das eigentlich war.

Wenn man es radikal ausdrücken will, geht es nicht um Geschichte als Sinnstiftung und Rechtfertigung für aktuelle politische Miesheiten und Verbrechen; sondern es geht um konkrete, wissenschaftlich saubere, valide Geschichten und Erfahrungsräume.

Gemeinschaftlicher Grundbesitz

Befriedigt das? Vielleicht nicht vollständig. Ein Freund, dem ich von meinem Ausflug erzähle, sagt vorab, da kommt bestimmt nur wieder raus, dass es die Germanen gar nicht gab, nur halt bei Cäsar und so (Ironie an).

Im Buch wird Banghard aber doch erstaunlich konkret. Er schreibt, wenn man bei den Germanen „mehr an eine spezifische Wirtschaftsweise denke und weniger an eine ethnische Definition“, werde vieles einfacher.

Dann springe einem auf der Grundlage der archäologischen Befunde – und wie viel hat sich da in den letzten Jahren allein getan! – „die nahezu manische Neigung zur Gleichheit ins Auge. Gemeinschaftlicher Grundbesitz, eine kooperative Weidenutzung und vielleicht auch die periodische Umverteilung von Flächen dürften hier alltäglich gewesen sein.“

Auf dieser Traditionslinie gehen wir doch gern in unsere Gegenwart, die sich mit absurder Energie dagegen wehrt, kooperativ zu handeln und wenigstens periodisch umzuverteilen, in eigentumsfanatischer römischer Rechtstradition.

Sage also niemand, die Germanen seien zu gar nichts gut. Denn wie es zum Schluss in „Die wahre Geschichte der Germanen“ heißt: Zu zeigen war, „dass eine Geschichte nicht nur für ein Volk, sondern für alle da ist“.

Die relevante Frage wäre dann wieder mal nicht, wer diese anderen waren, sondern: wer wir sein wollen.

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