taz: Herr Jung, warum hat die Ausstellung mit 150 Weihnachtsfotos aus den Alben von Bremer*innen den Titel: „Früher war mehr Lametta“?
Hans-Jürgen Jung: Opa Hoppenstedt sagt diesen Satz in dem berühmten Weihnachts-Sketch von Loriot. Durch diesen Titel wollten wir eine ironische Distanz erzeugen.
taz: Und stimmt diese Aussage denn auch?
Jung: Ja, bei den älteren Fotos fällt auf, dass das Lametta nicht nur den Baum überdeckt, sondern auch die anderen weihnachtlichen Symbole aufgesogen hat.
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taz: Zum Beispiel die Weihnachtskrippe als ein christliches Symbol, das in den 150 Fotos der Ausstellung nur einmal auftaucht?
Jung: Weihnachten hat sich ja kulturell eher als ein Familienfest herausgebildet. Und da geht es mehr um den Tannenbaum als einen grünen Lebensbaum und um die Lichtmetaphorik.
taz: Wie haben sich denn die deutschen Weihnachtsbilder in den vergangenen 100 Jahren verändert?
Jung: Die älteren Fotos waren noch gestellt, weil sie auf großen Plattenkameras von einem professionellen Fotografen aufgenommen wurden. Da wurde dann oft die ganze Familie gezeigt.
taz: Und ab wann wurden Weihnachtsfotos dann familiäre Schnappschüsse ohne repräsentativen Anspruch?
Jung: Der Umschwung passierte in den 1930er-Jahren, als die kleineren Mittelformatkameras zur familiären Grundausstattung gehörten. Da sollte dann für die Familie dokumentiert werden, wie schön die Feier war.
taz: Was ist denn zum Beispiel auf den Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen?
Jung: Da merkt man, dass die nicht vorhandene Fülle und die Wehmut kaschiert wurden. Stattdessen machte man aus wenig möglichst viel. Das waren ja auch Fotos, die man den Soldaten an die Front geschickt hat. Da steht dann höchstens mal auf der Rückseite von einem Bild: „Das erste Weihnachten ohne Pappi“.
taz: Es fällt ja auch auf, dass die Geschenke unter den Weihnachtsbäumen sich verändert haben.
Jung: Ja, in den 1950er-Jahren wurden eher praktische Dinge und Kleidungsstücke verschenkt.
Foto: privat/Kulturkirche Bremen
taz: Auf einem Foto präsentiert ein Kind sogar stolz einen Regenschirm.
Jung: Genau, aber jede Generation entwickelt neue Rituale, und bei den Bildern aus den 1970er-Jahren wird dann zum Beispiel die neue Carrera-Bahn gezeigt.
Ab den 1970ern werden die Fotos lockerer und lebensfroher. Und das nicht nur, weil sie in Farbe sind
taz: Man kann man also auf diesen Bildern erkennen, wie sich die Gesellschaft verändert hat?
Jung: Genau. Man sieht zum Beispiel, wie nach 1968 die Konventionen weggebrochen sind. Ab den 1970ern werden die Fotos lockerer und lebensfroher. Und das nicht nur, weil sie in Farbe sind. Da hat dann jemand auch mal ein Schnapsglas in der Hand.
taz: Mir ist auch aufgefallen, dass in den jüngeren Fotos der Fokus immer mehr von den geschmückten Bäumen zu den Kindern gewandert ist.
Jung: In den Bildern wird ja auch die Fragmentierung der Familien dokumentiert. Früher fuhren die erwachsenen Kinder noch zum Heiligen Abend zu den Eltern. Aber spätestens in den 1980ern gab es einen Umbruch. Von da an wird meistens in der Kernfamilie gefeiert. Und dabei entstanden viele Bilder, in denen die Kinder zentral im Bild sind. Und die Eltern sind nur noch zu sehen, wenn die Kinder zu klein sind, um alleine zu sitzen oder zu stehen.
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Die Ausstellung „Früher war mehr Lametta zeigt 150 Fotos von 1896 bis 1996, die Bremer*innen zur Verfügung gestellt haben. Bis zum 23. 12. täglich 11 bis 17 Uhr in der Kulturkirche St. Stefani, Bremen
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taz: Solche Weihnachtsfotos sind ja auch nicht dazu gedacht, mal in einer Ausstellung gezeigt zu werden.
Jung: Nein, das sind intime Momente und die Fotos sind immer auch Teile der persönlichen Familiengeschichten. In der Ausstellung gibt es zum Beispiel auch zwei Fotos von mir selber als kleinem Kind. Und wenn ich die jetzt sehe, erinnere ich mich daran, wie die Strumpfhose aus Wolle, die ich da getragen hatte, gekratzt hat.






