

Mitte 2024 hatte die Linke 52.127 Mitglieder und stand in Umfragen bundesweit bei etwa drei Prozent. Dann übernahmen Ines Schwerdtner und Jan van Aken als neue Vorsitzende. Neben anderen Faktoren verhalfen verbrauchernahe Themen wie Mieten und Preise sowie eine starke Mobilisierung gegen Rechts der Partei schließlich zu 8,8 Prozent der Stimmen. Heute hat sie nach eigenen Angaben 110.300 Mitglieder. 64 Linke sitzen im neu gewählten Bundestag, nach zuletzt nur 28.
Nur 13 Abgeordnete waren schon in der vorherigen Legislatur dabei. Die Linke hat die drei jüngsten Volksvertreter und mit 42,2 Jahren den jüngsten Altersschnitt aller Fraktionen. Viele neue, viele ohne Parlamentserfahrung, wie bindet man die zusammen? „Das ist eine große Herausforderung“, sagt der Chemnitzer Parteienforscher Benjamin Höhne.
Gefragt sind die bisher nur kommissarisch bestimmten Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann. Alles machbar, heißt es aus der Fraktion. Die Stimmung bei der Klausur in Potsdam sei nach dem Wahlerfolg im Bund und in Hamburg jedenfalls prächtig.
Differenzen bei Schuldenbremse, Ukraine und Nahost
Ganz ohne Rumpeln ging es in den ersten Wochen seit der Bundestagswahl aber nicht. Die Partei- und Fraktionsführung hatte sich im Streit über das Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur rasch festgelegt: nicht mehr in der alten Legislatur, lieber in der neuen Wahlperiode eine umfassende Reform der Schuldenbremse. Doch die Landesregierungen mit Beteiligung der Linken in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern hielten sich nicht daran. Im Bundesrat stimmten sie zu.
Das hätte sie sich anders gewünscht, sagte Reichinnek später. Aber sie könne auch verstehen, dass die Länder die ihnen zugedachten Mittel aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro dringend bräuchten.
Die Linken-Spitze kritisierte die Schuldenpläne auch inhaltlich: viel zu viel Geld für Rüstung. Aber die Linie zu Verteidigung und Ukraine-Hilfen ist intern noch Debattenstoff. Anders als Parteichef van Aken hat sich zum Beispiel sein Genosse Bodo Ramelow für Waffenhilfen an die Ukraine ausgesprochen.
Ein ähnlicher Konfliktherd ist für die Linke der Nahe Osten. Van Aken vermittelte zwar im Oktober eine Kompromissformel zum Gazakrieg. Aber radikale Israel-Kritik gibt es in der Partei weiter. Wo genau die vielen neuen Mitglieder und Abgeordneten in diesen Streitfragen stehen, ist unklar.
„Die Linke wird nicht umhinkommen, auf die veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen neue Antworten zu geben“, meint Parteienforscher Höhne. „Die neue Linke wäre gut beraten, die Gefahren anzuerkennen, die vom russischen Imperialismus ausgehen, und an der neuen Verteidigungspolitik Deutschlands und seiner Bündnispartner konstruktiv mitzuwirken.“
Staatstragend oder widerständig
Ohne die Linke haben Union, SPD und Grüne im Bundestag keine verfassungsändernde Mehrheit mehr, wenn alle weiter Abstand zur AfD halten. Die Union könnte sich gezwungen sehen, ihre Absage an Zusammenarbeit mit der Linken zu überprüfen. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warb kürzlich im Tagesspiegel für Gespräche mit der Linken. Reichinnek sagte dazu im Gespräch mit Anne Will: „Wir stehen auch für Gespräche mit der Union bereit, ganz klar.“
Wird die Linke also staatstragend, wird sie gar im Bund irgendwann mitregieren? „Eine staatstragende Rolle spielt die Linke bereits auf der Landesebene“, sagt Höhne. „Im Bund würde ich sie auch für möglich halten, wenn die Linke auf einen pragmatischen außen- und sicherheitspolitischen Kurs ginge.“ Der Politologe gibt diese Prognose ab: „Die Linke muss sich entscheiden, ob sie Politik exekutiv mitgestalten und dafür Kompromisse eingehen kann oder sich immer nur mit einer Oppositionsrolle zufriedengibt.“