
Darauf erst mal einen Schluck Bachblütentropfen: Die Grünen sprechen sich ab sofort dagegen aus, dass die gesetzlichen Krankenkassen homöopathische Behandlungen und Präparate bezahlen. „Die Solidargemeinschaft soll nicht für Therapien aufkommen, deren Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus wissenschaftlich nicht belegt ist“, heißt es in einem Antrag des Kreisverbands Berlin Tempelhof/Schöneberg, der auf dem Bundesparteitag am späten Freitagabend mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde – nachdem der Fernsehsender Phoenix die Live-Übertragung bereits eingestellt hatte.
Überraschend ist damit ein Streit entschieden, der die Grünen über Jahre beschäftigt hat. Und das gegen den Willen der Parteispitze: Sie wollte das Thema auf dem Parteitag, der an diesem Wochenende in Hannover stattfindet, überhaupt nicht auf die Tagesordnung bringen. Einen eigenen Antrag zum Thema hatte der Bundesvorstand nicht verfasst. Die Parteimitglieder durften vorab aber sechs Anträge der Basis bestimmen, die neben denen des Vorstands behandlet werden. Der zur Homöopathie landete auf dem zweiten Platz.
Als nächstes versuchte der Bundesvorstand mit einem weitreichenden Änderungsantrag, eine klare Positionierung zu verhindern. Er wollte es den Krankenkassen nicht kategorisch untersagen, homöopatische Mittel zu erstatten. Stattdessen sollten die Delegierten einen Kompromiss bestätigen, den der damalige Parteichef Robert Habeck schon 2020 vorgelegt hatte: Erstattung ja, aber nur innerhalb spezieller Wahltarife für Versicherte, die es so haben wollen.
Für diesen Antrag warb in Hannover die Bundesschatzmeisterin und frühere Frankfurter Gesundheitsdezernentin Manuela Rottmann. „Die Leute entscheiden für sich selbst“, sagte sie. Die Krankenkassen gäben jährlich 350 Milliarden Euro für die Gesundheitsversorgung aus, die Kosten für die Homöopathie lägen bei 25 Millionen Euro. „Ich weiß nicht, ob es das Wert ist, die Diskussion noch mal anzufangen“, sagte sie.
Abgeordnete hat genug
Das Argument der vergleichsweise geringen Ausgaben wollten die Antragsteller:innen aus Berlin aber nicht gelten lassen. Wirksames wie Verhütungsmittel oder Brillen würde schließlich nicht von den Krankenkassen bezahlt, kritisierte Nina Freund vom Kreisverband Tempelhof/Schöneberg. Der Kompromissantrag des Bundesvorstands sei nicht akzeptabel, weil er auch mehr Forschungsgelder für Homöopthie fodere. Es gehe aber um „Wissenschaft statt Wünschelrute“, sagte sie.
Auch die Leipziger Bundestagsabgeordnete Paula Piechota, die Ärztin ist, sprach sich vehement gegen die Kostenübernahme aus. Der bisherige Kompromiss der Partei dazu halte nicht, sagte sie. „Dahinter steht unser Verhältnis zur Wissenschaft, zur Sozialversicherung und was die Sozialversicherung bezahlen soll“, sagte sie. Die Homöopathie habe ihren Platz. Aber wenn die gesetzlichen Krankenkassen in finanziellen Nöten seien, müsse begründet werden, was sie zahlen – und zwar für „Dinge, die nachweislich wirken.“
„Seit 2019 führen wir diese Debatte und heute Abend können wie endlich abschließen“, sagte Piechotta dann unter großem Applaus. Sie selbst habe entsprechende Anträge auf Parteitagen in der Vergangenheit „verdammt oft wegverhandelt“ und zuletzt im Januar an einer Vertagung mitgewirkt. Das Thema sollte den Bundestagswahlkampf der Grünen nicht belasten. „Das ist das letzte Mal, dass ich das mache“, habe sie sich damals gesagt, denn sie habe „keine Kraft mehr, es Jahr um Jahr zu vertagen“.
Gegenrede hilft nicht
Zu den Gegner:innen des Antrags gegen die Kostenerstattung gehört Yatin Shah, Kreisrat aus Rhön-Grabfeld und ebenfalls Arzt. „Es werden rote Linien definiert, die es so überhaupt nicht gibt“, sagte er zum Vorwurf der fehlenden Nachweisbarkeit. Es gäbe Meta-Analysen zur Wirksamkeit der Homöopathie. „Wer es nicht möchte, wähle bitte eine Krankenkasse, die es nicht anbietet.“ Die Ablehnung der Kostenübernahme sei ein „verheerendes Signal nach draußen“. Wissenschaft und Homöopathie gingen „wunderbar zusammen“. „Warum wollen wir das ändern?“, fragte er.
Die deutliche Mehrheit der Delegierten sah es am Ende anders, lehnte erst den Kompromissvorschlag des Vorstands ab und nahm dann den Antrag aus Tempelhof/Schöneberg an.
In der Grünen-Wählerschaft, in der es traditionell viele Anhänger:innen der Homöopathie gibt, könnte die Entscheidung auch für Enttäuschung sorgen. Besonders brisant ist sie für Cem Özdemir und die Grünen in Baden-Württemberg, die in den kommenden Monaten ihren Landtagswahlkampf bestreiten: Ihr Bundesland ist eine Hochburg der Homöopathie.







