Feministische Kulturszene München: Die Herzen wach halten

Die Kulturkürzungen für 2025 betreffen alle, im eh schon teuren München sorgen sie für große Verwerfungen. Zwar fallen die Streichungen in der bayerischen Landeshauptstadt insgesamt weniger drastisch aus wie befürchtet, dennoch stellen die Einsparungen die freie Szene vor große Schwierigkeiten.

Die rot-grüne Stadtratskoalition unter OB Dieter Reiter (SPD) hatte ursprünglich Sparmaßnahmen in Höhe von 243 Millionen Euro beschlossen, davon sollten etwa 17 Millionen auf den Kulturetat entfallen.

Nach einem offenen Brief Münchner Kulturschaffender und Institutionen hat die Stadt zwar keine Kehrtwende vollführt, aber immerhin angekündigt, dass sich die Summe auf 11 oder 12 Millionen Euro belaufen wird. Dennoch, auch diese Kürzungen schmerzen, fehlen damit doch Gelder, welche eigentlich einen demokratischeren Zugang zum Kulturbetrieb ermöglichen sollen.

Symbolpolitische Erschwerung

Die betrübliche Debatte erschüttert eine ohnehin verunsicherte Kulturszene nachhaltig. Man erinnere sich nur an das unsinnige, erst 2024 von der CSU durchgesetzte Genderverbot, welches gendergerechte Sprache in offiziellen Dokumenten und an Behörden im Freistaat verbietet. Dieser symbolpolitische Akt gegen Genderdiversität erschwert den Alltag und die Arbeit vieler ohnehin schon marginalisierter Personen.

Album und Konzert

Beißpony: „The Small and the Many“ (Rheinschallplatten).

Live: „Dressed in Sound“, ­Nähma­schinen-Klang-Performance, 23. 2. 2025, Kammerspiele München

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Aber es gibt sie, diejenigen, die gegen dumpfe Traditionshuberei und Selbstzufriedenheit aufbegehren. In München engagieren sich etwa Künstler_in­nen wie die Rapperin Kokonelle, die experimentelle Indieband beiß­pony und das interdisziplinäre Kollektiv queer:­raum gegen strukturelle Diskriminierung aller Art.

Sie fordern mehr Repräsentation und Wertschätzung marginalisierter Musiker_innen und Künstler_innen und schaffen neue feministische Netzwerke in der Stadt. Das Kollektiv queer:­raum hat sich 2022 gegründet und besteht aus mehr als 20 Kunstschaffenden. Gemeinsam organisieren sie regelmäßig Events und setzen sich für mehr Sichtbarkeit und Chancen für queere Künstler_innen in München ein.

Räumlicher Widerstand

Dort sind Künstler_innen und Performer_innen diverser Disziplinen vertreten. Im Gespräch mit der taz berichtet Sophie Boner von queer:raum: „Durch unsere Projekte gehen wir gezielt gegen konservative Politik und leisten durch queere Kulturräume Widerstand.“ Als Teil von Slutwalk München hat Sophie Boner mehrere Demonstrationen gegen das Genderverbot mitorganisiert. Und das Kollektiv queer:­raum lud mit der Veranstaltung „SPRACHE“ dazu ein, alternative Wege des gendergerechten Sprechens zu finden.

Bei der vom queer:­raum organisierten queer-migrantischen Veranstaltung in der Galerie Einwand trat die Rapperin Kharis Ikoko, bekannt als Kokonelle, auf. Die Münchnerin mit kongolesischen Wurzeln macht Musik und ist darüber hinaus aktivistisch und in der politischen Bildungsarbeit tätig. Räume schaffen ist auch für sie ein Stichwort. „Meine Projekte sollen besonders Schwarze Frauen empowern und ihnen Räume bieten, sich auszutauschen und zu erholen.“

Sowohl für ihre Musik als auch ihre aktivistische Tätigkeit bezieht Kokonelle Energie und Inspiration aus ihren Wurzeln. Zu ihren ersten musikalischen Erinnerungen zählen kongolesische Gospelsongs, die in ihrem Elternhaus gespielt wurden und deren Einfluss in Kokonelles mehrsprachigem Rap und R & B zu hören ist.

Klare Positionierung

Während Kokonelle und queer:­raum erst seit ein paar Jahren aktiv sind, gibt es die Münchner Band beißpony schon länger. Als experimentelles Popduo veröffentlichen Steffi Müller und Laura Theiss bereits seit 2006 Alben. Von Beginn an haben sie sich queer-feministisch positioniert.

„Es gab auch damals eine queer-feministische Community in München“, erinnert sich Steffi Müller im Gespräch mit der taz. „Das war zwar weniger intersektional als heute, aber mich hat diese Gemeinschaft damals sehr motiviert, Musik zu machen. Außerhalb davon war und ist die Kultur- und Musikszene oft patriarchal geprägt, und das Konservative ist noch volle Kanne da.“

Beißpony mal ohne Nähmaschine

Foto: Klaus Erika Dietl

Seitdem haben sich durch das Engagement von Künstler_innen wie Kokonelle, Mira Mann (früher bei der Band Candelilla) und Cosma Joy und Initiativen wie queer:­raum und das städtisch geförderte #sieINSPIRIERTmich mehr intersektionale und feministische Kulturräume gebildet. Vor wenigen Wochen fand das Musikfestival „Good Sister: Bad Sister“ statt, das die Vielfalt der lokalen Musikszene auf die Bühne brachte.

Akut gefährdet

Kleine Konzerträume wie der Club Import Export in Neuhausen und der Habibi Kiosk an den Münchner Kammerspielen zeigen, dass es auch in München eine vielfältige Szene gibt. Diese ist durch die geplanten Kulturkürzungen allerdings gefährdet. Selbst dem über Münchens Stadtgrenzen hinaus bekannten Musikfestival, die Alien Disko, das für sein vielfältiges und mutiges Programm bekannt ist, wurde Förderung gekürzt. Es musste durch Spenden und Konzerte von The Notwist querfinanziert werden. Es ist also kein Wunder, dass die Kürzungen allerorten Existenzängste verstärken.

Kokonelle, die auch in der Bildungsarbeit tätig ist, beobachtet: „Ich erlebe, dass viele Personen sagen, wie schwer es ihnen fällt, überhaupt weiterzumachen. Fördergelder können von heute auf morgen wegbrechen. Das führt auf Kosten der Planungssicherheit zu extremer Unsicherheit. Natürlich wirkt sich das auf die Arbeit und die Kreativität aus. Selbst wenn im Kulturreferat gewisse Offenheit herrscht, müssen sie jetzt Abstriche machen.“

Marginalisierte Personen bekommen das oft als Erste zu spüren, glaubt die Rapperin. Dabei ist Kultur ein wichtiges Mittel, um diskriminierende Gesellschaftsstrukturen kritisch zu hinterfragen und abzubauen. „Musik kann Menschen erreichen, die sich bisher überhaupt nicht mit bestimmten Thematiken auseinandergesetzt haben“, sagt Kokonelle.

Wenig Verlässliches

Nach Jahren der selbstständigen Arbeit als interdisziplinäre_r Künstler_in, berichtet Steffi Müller, dass es abgesehen von Geldern vor allem an transparenten und verlässlichen Strukturen für Fördermittel mangelt. Zu Beginn der Musikkarriere war Müller über viele Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung zu beziehen, nicht im Bilde.

Erst die Vernetzung mit anderen feministischen Bands und Kollektiven, ermöglichte den Zugang. Das sei heute immer noch so, kritisiert Steffi Müller. Gerade dem Nachwuchs könne mehr Transparenz helfen, einfachen Zugriff auf Förderangebote zu erlangen. „Es würde helfen, wenn es explizit feministische Förderaustauschprogramme gäbe, die Wissen niederschwellig weitergeben und dabei besonders Personen fördern, die aufgrund von Diskriminierung, weniger Zugang zu Fördermitteln haben.“

Innerhalb der feministischen Kreise in der Münchner Kulturszene findet bereits Vernetzung statt. Kokonelle, Steffi und das queer:­raum Team kennen sich teilweise untereinander und arbeiten zusammen. Kokonelle etwa tritt mit Rapperinnen und Sängerinnen wie Gündalein und Queen Lizzy auf.

Weckruf für alle

„Ich merke, dass sich ein Netzwerk aufbaut, in dem sich Personen und Gruppen untereinander solidarisieren und unterstützen. Es beruht auf dem Verständnis, dass wir alle Platz haben und uns unter Musiker_innen niemand etwas wegnehmen möchte,“ sagt die Sängerin. „Es gab schon immer Widerstand gegen diskriminierende Strukturen innerhalb der Musikszene. Die Kürzungen der Kulturgelder jetzt und das Genderverbot könnten zumindest ein Weckruf für Künstler_innen sein, die bisher nicht aktiv waren“, so Steffi Müller.

„Ich wünsche mir, dass Gelder für Projekte zur Verfügung gestellt werden und diese langfristig gefördert werden, sodass wir nicht jedes Jahr um die Existenz fürchten müssen“, sagt Sophie Boner von queer:raum. „Wir stehen erst am Anfang und brauchen mehr Räume, in denen Flinta* sich sicher fühlen – in der Musikindustrie und darüber hinaus“, wünscht sich Steffi von beißpony. Für Kokonelle steht fest: „Wir können diese Räume nur schaffen, wenn wir Musik und Kunst nicht losgelöst von politischen Entwicklungen und Diskriminierung betrachten, sondern als fundamental damit verwoben.“

Mit Blick auf die aktuelle politische Gesamtlage in Deutschland, in der rechte Stimmen an Macht gewinnen und Forderungen nach Grenzschließungen lauter werden, sei Unterstützung für Projekte, die Grenzen überschreiten, besonders wichtig, betont Steffi Müller. „Wir brauchen mehr Förderung von Kollaborationen, damit wir nicht um Gelder konkurrieren, und Austausch zwischen Szenen und über Landesgrenzen hinweg angeregt wird. Das hält die Köpfe und Herzen wach.“

Den Kürzungen und der Unterrepräsentation von queer-feministischen und BiPoC Künstler_innen im Mainstream zum Trotz erkämpfen Kokonelle, beißpony, und queer:­raum Räume in München. Kokonelle sagt: „Die Stadt hat viel zu bieten, aber es ist noch sehr versteckt. Das liegt nicht an den Musiker_innen und Künstler_innen, sondern an den existierenden Strukturen, die viele unsichtbar ­machen.“

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