
Auch dreieinhalb Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine ist es der Friedensbewegung nicht gelungen, kollektiv einen glaubwürdigen Umgang mit dem fürchterlichen Krieg in der Ukraine zu finden. Aber an diesem Freitag, dem Tag der Deutschen Einheit, wollen sie trotzdem versuchen, gemeinsam zu demonstrieren, in Berlin und Stuttgart. In Berlin soll Stegner erneut als einer der Redner:innen auftreten.
„Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für Frieden“, lautet das Motto der beiden parallelen Demonstrationen, zu denen zahlreiche Friedensorganisationen aufrufen. Mit dabei sind pazifistische Verbände wie die DFG-VK, Pax Christi oder der Internationale Versöhnungsbund ebenso wie der SPD-nahe Erhard-Eppler-Kreis und die Linkspartei. Hinzu kommen Parteien mit einem eher eigenwilligen Friedensverständnis, wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die DKP, die MLPD oder „Die Gerechtigkeitspartei – Team Todenhöfer“.
Gemeinsam unterzeichnet haben sie einen Demonstrationsaufruf mit einer ganzen Reihe an Forderungen an die Bundesregierung. Der Katalog reicht von „Keine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland“ über „Nein zur Wehrpflicht“ bis zu „Asyl für Menschen, die sich dem Krieg verweigern und von Krieg bedroht sind“.
Differenzen übertünchen
Um den letzten Punkt – konkret um die Frage des Asyls für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine – hatte es im Vorfeld der letzten Demonstration vergangenes Jahr noch Ärger gegeben. Diese Forderung fehlte damals in dem Aufruf des BSW-nahen Bündnisses. Deswegen beteiligte sich der Bundesvorstand der DFG-VK nicht an der Demo. Das ist diesmal anders.
Außerdem fordern die Unterzeichner:innen von der Bundesregierung ein „diplomatisches Engagement für ein schnelles Ende der Kriege in Europa und im Nahen und Mittleren Osten“. Sie dürfe sich „nicht weiter mitschuldig machen an einer von immer mehr Staaten und Organisationen als Völkermord klassifizierten Kriegsführung im Gazastreifen“.
Die Beschränkung auf Forderungen an die deutsche Regierung dient auch dem Zweck, Differenzen zu übertünchen. Zwar lehnen die verschiedenen Spektren, die sich zur Friedensbewegung zählen, gemeinsam den Hochrüstungskurs ab. Auch in ihrer Kritik an dem maßlosen militärischen Vorgehen der israelischen Regierung nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 sind sie sich einig. In der Bewertung des Ukrainekriegs sind sie das jedoch nicht. Entsprechend taucht nicht einmal das Wort „Ukraine“ in dem Aufruftext auf.
Das liegt daran, dass ein Teil der Friedensbewegung in dem Krieg in der Ukraine nur einen Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland sehen. Da reicht es dann nur zu der Forderung nach „Verhandlungen, die die Realitäten am Boden anerkennen und die Interessen aller Seiten berücksichtigen“, wie es Joachim Guilliard vom Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg am Montag bei einer Pressekonferenz zu der Demo sagte.
Unabhängig davon, wie ihre jeweilige Realisierungschance eingeschätzt wurde, waren Forderungen wie „Amis raus aus Vietnam“ oder „Amis raus aus Irak“ einst Konsens in der Friedensbewegung. Für die Forderung „Russland raus aus der Ukraine“ gilt das heute nicht. „Ich glaube, das ist ein Teil der Schwäche der Friedensbewegung“, räumt Stegner ein. Er würde sich „wünschen, dass man zu so einer Forderung kommen könnte“. Doppelmoral und Einäugigkeit seien „der falsche Ansatz“.
Wichtig sei ihm jedoch vor allem, „dass hier eine Friedensbewegung da ist, die zeigt, dass sie dem was entgegensetzen will, was an Aufrüstung, Krieg stattfindet“, sagt Stegner. Wie wohl diesmal die Demonstrant:innen auf ihn reagieren werden? Auf der Bühne in Berlin sollen außer ihm noch der DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin, die Linken-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel sowie je ein Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine stehen.
Für Stuttgart geplant sind unter anderem Auftritte der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann, von Rihm Hamdan von der Initiative „Palästina spricht“ sowie der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Lothar Binding (SPD) und Sevim Dağdelen (BSW).







