Höcke will nicht für BRD kämpfen: Offene AfD-Feldschlacht um Wehrpflicht

Abseits des obligatorischen Geschichtsrevisionismus und militaristischem Nationalismus war die Rede des AfD-Abgeordneten Rüdiger Lucassen, Bundeswehr-Oberst a. D. mit Nato-Erfahrung, durchaus bemerkenswert – denn sie offenbart einen tiefen Riss in seiner extrem rechten Partei. Denn der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion griff vergangenen Freitag Björn Höcke frontal und kalkuliert im Bundestagsplenum an.

Der 74-jährige Lucassen, Typ kantiger Ex-Hubschrauberpilot, langte kräftig hin: „Der Thüringer Landesvorsitzende meiner eigenen Partei hielt am Mittwoch eine Rede im Erfurter Landtag zur Wehrpflicht. In dieser Rede kommt er zu dem Schluss, dass Deutschland es nicht mehr wert sei, dafür zu kämpfen. Was hätten wohl die Männer und Frauen der Befreiungskriege dazu gesagt? Sie wären diesem Befund niemals gefolgt.“ Demgegenüber heroisierte er Deutschlands Militärgeschichte vom Lützower Freikorps bis zur nationalsozialistischen Wehrmacht – selbstredend unter Auslassung der Schuld an zwei Weltkriegen.

Lucassen gilt als Transatlantiker innerhalb der extrem rechten Partei und damit als einer der Gegenpole zu den russophilen Putin-Apologeten wie Tino Chrupalla, Alexander Gauland oder Björn Höcke. In internen Auseinandersetzungen hatte das innerparteilich zuweilen auch als „Russenstusser“ beschimpfte Lager zuletzt die Nase vorn: Die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht, eigentlich Grundsatzposition der AfD und Herzensprojekt von Lucassen, hat die Bundestagsfraktion nach langen Grabenkämpfen aufgegeben.

Federführend war hierbei auch der lange Arm Björn Höckes, der statt einer Wehrpflicht sich für „Volksmilizen“ und eine Bewaffnung von Bürgern ausspricht. Schließlich sei niemand bereit, „für den Staat“ zu sterben – für „ein Vaterland“ sehr wohl. Am Mittwoch vergangener Woche hielt er im Thüringer Landtag eine entsprechend abstruse Rede, die in der Aussage gipfelte: „Was soll der junge Mann mit einer Bundeswehr verteidigen, die keinen Patriotismus und keine Tradition mehr kennt?“

Rechter Shitstorm gegen Lucassen

Ein vermeintlich „wokes“ Deutschland mit angeblichen „Dragqueen-Auftritten in Kindergärten“, „Massenzuwanderung“ und „Schuldstolz“ sei aus Höckes Sicht nicht schützenswert. „Bevor auch nur ein einziger junger Mensch in diesem Land zwangsweise wieder in Uniform antreten soll, muss dieser Staat endlich wieder ein Staat für die Deutschen werden“, forderte Höcke.

Nach Lucassens Angriff vom Freitag holte Höcke umgehend zum Gegenschlag aus: Er habe sich schon viele Anwürfe gefallen lassen müssen, aber mangelnde Vaterlandsliebe sei nicht darunter gewesen, empörte er sich. Für Deutschlands Existenz würde er kämpfen und sterben, so Höcke. Allerdings sei Deutschland von innen bedroht und nicht von außen, behauptete er. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine äußerst sich Höcke von Thüringen aus immer wieder äußerst russlandfreundlich.

Der Angriff auf Höcke brachte Lucassen einen heftigen Shitstorm ein: Höcke-Fans witterten „Hochverrat“, beschimpften Lucassen wahlweise als „Nato-Knecht“, „Spalter“ oder „VS-Zersetzer“, der „wegmuss“. Das neurechte Vorfeld, wie etwa der extrem rechte Ideologe Benedikt Kaiser – der selbst im Bundestag beim Höcke-Vertrauten Robert Teske arbeitet – griff sogar Mitarbeiter von Lucassen öffentlich an: „Was treibt ihr? Lucassen wird in 2, 3, 4 Jahren in Rente gehen, aber Du willst doch sicher noch irgendwo ansatzweise ernstgenommen werden?“, fragte er einen von ihnen.

Der sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider schimpfte über Lucassens „aus dem Kalten Krieg kommenden, pseudokonservativen Pseudopatriotismus“, der die größte Gefahr für die AfD sei. „Höcke statt Lucassen, sonst war’s das mit einer echten Alternative!“, so Tillschneider.

Keine Antwort auf die Russlandfrage

Allerdings gibt es auch Stimmen, die sich auf Lucassens Seite schlagen oder sich so ähnlich äußern. Etwa der ansonsten eher als Umsturzprediger bekannte Erik Lehnert, der in der neurechten Sezession den Grünen ihren plötzlichen Hang zum Militarismus neidet und schreibt: „Der Pazifismus kann für die Rechte keine Weltanschauung sein, wenn sie rechts bleiben will.“

Lucassen bleibt angesichts der teils heftigen Kritik eher unbeeindruckt. Er legte am Montag sogar gegenüber dem Newsletter The Pioneer nochmal nach. Dort sagte er, es ginge ihm in dem Streit um etwas Grundsätzliches. Lucassen plädiere für einen Realo-Kurs gegenüber Höckes Fundamentalopposition: „Es geht um die Frage, wie die AfD Politik machen will – in oder außerhalb des bestehenden Systems.“ Und dann setzte er noch eine Provokation drauf, indem er Höcke mit Rudi Dutschke verglich – „mit dem Unterschied, dass Dutschke in Klassen dachte und Höcke national argumentiert“, stichelte Lucassen.

Die Fetzen dürften also weiter fliegen: Der thüringische Abgeordnete Stefan Möller, Höckes rechte Hand im Bundestag und Co-Landesvorsitzender in Thüringen, nannte Lucassens Kritik „keinen guten Stil“. Es sei „unprofessionell, Parteifreunde in einer Parlamentsrede anzugreifen.“ Er gehe davon aus, dass diese Verhaltensweise noch in der Fraktion besprochen werde.

Nach taz-Informationen dürfte es zumindest Thema im Fraktionsvorstand werden. Möglich auch, dass es eine Aussprache in der Fraktion geben wird. Dort hatte Lucassen sich schon einmal entschuldigen müssen, nachdem er überaus Kreml-nahe Parteifreunde als „Volksverräter“ bezeichnet hatte. Die Partei- und Fraktionsführung um Alice Weidel und Tino Chrupalla wollte sich bislang nicht zum Streit äußern. Die beiden hatten zuletzt selbst in der Russlandfrage über Kreuz gelegen.

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