Klage gegen Rundfunkbeitrag: Die Vielfalt, die sie meinen

E in Ende kann ein Anfang sein. Wenn ein Bundesgericht in letzter Instanz entscheidet, ist meist ein langer Rechtsstreit zu Ende.

Nicht so beim Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Rundfunkbeitrag von letzter Woche. Dieses Urteil ist ein Anfang, es wird eine neue Prozesswelle auslösen.

Geklagt hatte ein Frau aus Bayern, die den Rundfunkbeitrag nicht zahlen will, weil ARD und ZDF angeblich unausgewogen berichten. Was in vielen Medienberichten fehlte: Die Frau ist Teil einer Bewegung, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) auf breiter Front kritisiert und angreift. Er berichte einseitig über Impfschäden, Russlands Krieg in der Ukraine und die Gefahren des Islam.

Bisher ließen die Gerichte solche Klagen einfach abblitzen. Einzelne Bür­ge­r:in­nen hätten kein Recht auf inhaltliche Kontrolle des Rundfunks. Anders nun das Bundesverwaltungsgericht: Niemand muss Rundfunkbeitrag bezahlen, wenn der ÖRR über längere Zeit seinen Programmauftrag „gröblich“ verletzt. Letztlich könne aber nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob der Rundfunkbeitrag verfassungswidrig ist oder nicht.

Nicht künstlich verbaut

Es ist gut, dass das Bundesverwaltungsgericht diesen Ausgewogenheitsklagen damit einen Raum eröffnet. Im Rechtsstaat darf der Weg zu Gerichten nicht künstlich verbaut werden.

Aber es kann auch nicht sein, dass Verwaltungsgerichte über die Zukunft von ARD und ZDF entscheiden. Deshalb ist es richtig, dass letztlich das Bundesverfassungsgericht urteilt, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk mangels Geld sterben muss. Schließlich lebt der ÖRR, der im Grundgesetz nicht erwähnt wird, davon, dass ihm Karlsruhe eine zentrale Funktion für die Demokratie zugesprochen und umfassende Regeln gegeben hat.

Es wird also bald neue Klagen bei allen 51 deutschen Verwaltungsgerichten geben, von Greifswald bis Sigmaringen – mit dem Ziel, dass sie den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Ein Selbstläufer wird das allerdings nicht. Schon in der ersten Runde sind die Hürden hoch. Eine Klage muss vor Gericht nur behandelt werden, wenn sie wissenschaftlich darlegt, dass der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk – also alle Fernseh- und Hörfunk-Programme und alle Internet-Angebote zusammen – über mindestens zwei Jahre seine Pflicht zu Ausgewogenheit und Vielfalt massiv verletzt habe.

Ein derartiges Gutachten ist extrem aufwendig und dementsprechend teuer. Aber es wird konservative Kreise geben, die das finanzieren. Ob sie Erfolg haben, ist eine andere Frage. BVerwG-Richter Ingo Kraft sagte bei der Urteilsverkündung, es sei „überaus zweifelhaft“, dass das, was die Kläger bisher vorgebracht haben, für eine Karlsruhe-Vorlage ausreicht.

&#xE80F

Diese Marketing-Bühne sollte sich der ÖRR nicht entgehen lassen.

Werden ARD und ZDF nun in die Defensive gedrängt, weil sie sich landauf, landab gegen den Vorwurf der Unausgewogenheit verteidigen müssen? Nicht unbedingt. Der ÖRR könnte auch die Chance ergreifen, sich selbstbewusst zu präsentieren, als faktenstarke Informationsbasis, die aber zur Orientierung auch linken, liberalen und rechten Haltungsjournalismus anbietet. Diese Marketing-Bühne sollte er sich nicht entgehen lassen.

Zudem können die Gerichte in solchen Prozesse auch klarstellen, dass Ausgewogenheit keine Gleichbehandlung zwischen faktenbasierten Recherchen und esoterischen Verschwörungstheorien verlangt. Über Impfrisiken kann man kontrovers diskutieren, aber wer von Hunderttausenden vertuschten Impftoten raunt, hat keinen Anspruch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ernstzunehmender Teil der Meinungs-Vielfalt dargestellt zu werden.

Ähnliches gilt für verfassungsfeindliche Positionen. Natürlich ist Machtkritik eine wesentliche Aufgabe des Journalismus. Aber wer Deutschland als Diktatur darstellt und die etablierten Politiker alle ins Gefängnis stecken will, muss in ARD und ZDF nicht als legitimer Teil des gesellschaftlichen Diskurses präsentiert werden.

Die Ausgewogenheit von ARD und ZDF ist keine rein quantitative Frage. Auf qualitative Mindeststandards können die Gerichte nicht verzichten.

  • informationsspiegel

    Related Posts

    Politische Repression in Hongkong: Tschüss, Demokratie
    • December 16, 2025

    China zieht die Daumenschrauben in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong weiter an. Europa sollte genau hinsehen. mehr…

    Weiterlesen
    Umgang mit Alttextilien: Die Kosten alter Jeans und Pullis
    • December 16, 2025

    Immer mehr Klamotten auf dem Markt: Künftig müssen sich die Hersteller von Kleidung an den Entsorgungskosten beteiligen. Das weckt Begehrlichkeiten. mehr…

    Weiterlesen

    Nicht verpassen

    Politische Repression in Hongkong: Tschüss, Demokratie

    • 5 views
    Politische Repression in Hongkong: Tschüss, Demokratie

    Umgang mit Alttextilien: Die Kosten alter Jeans und Pullis

    • 5 views
    Umgang mit Alttextilien: Die Kosten alter Jeans und Pullis

    Diskussion über NS-Straßenname: Varel kommt nicht aus der Kriegsverbrecher-Sackgasse

    • 5 views
    Diskussion über NS-Straßenname: Varel kommt nicht aus der Kriegsverbrecher-Sackgasse

    „Projekt Halle“: Eine gesunde Arroganz

    • 4 views
    „Projekt Halle“: Eine gesunde Arroganz

    Ausstellung über Weihnachtsfeierkultur: „Das erste Weihnachten ohne Pappi“

    • 5 views
    Ausstellung über Weihnachtsfeierkultur: „Das erste Weihnachten ohne Pappi“

    „Urchristen“ auf dem Weihnachtsmarkt: Vegetarisch mit antisemitischem Beigeschmack

    • 5 views
    „Urchristen“ auf dem Weihnachtsmarkt: Vegetarisch mit antisemitischem Beigeschmack