Ein dunkler Raum, irgendwo in Berlin. Ungefähr 40 Menschen sitzen im Keller einer Kneipe auf Bierzeltbänken und warten gespannt. „Welcome to a beginner’s guide to shoplifting!“ – auf Deutsch: Willkommen zu einer Einführung in den Ladendiebstahl! –, ruft ein Mann in die Menge und die Anwesenden klatschen begeistert.
Es ist Adventszeit, und in den Medien hört man wieder viel über das Klauen. Man soll sich auf Weihnachtsmärkten vor Taschendieb:innen in Acht nehmen und der Einzelhandel erhöht die Sicherheitsmaßnahmen – verständlich, schließlich machen viele Geschäfte im Dezember einen beachtlichen Anteil ihres Jahresumsatzes.
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„Ihr seid wie ich wahrscheinlich heute hier, weil das alltägliche Leben immer teurer wird und es nicht möglich ist, von einem normalen Gehalt zu leben“, sagt der Vortragende, der sich „Professor“ nennt und seinen Vortrag als eine Art Univorlesung konzipiert hat. Unterstützung bekommt er von seiner vierbeinigen Gastprofessorin, einem mittelgroßen schwarzen Hund, der zur Erheiterung der „Studierenden“ durch den Raum läuft.
Ein weiterer Grund, der ihn zum Klauen gebracht habe: „Ich sehe es nicht ein, Leute wie Dieter Schwarz weiter zu unterstützen.“ Auch diese Aussage trifft auf große Zustimmung im „Vorlesungssaal“. Denn Dieter Schwarz ist der Unternehmer, dem Lidl und Kaufland gehören. Der Milliardär, von dem es im Internet nur zwei bis drei Bilder in schlechter Qualität gibt, gilt als reichster Deutscher.
Teilnehmende: Das ist ungerecht
Kurz bricht eine Diskussion darüber aus, dass Vater Staat sich lieber schützend vor Schwarz’ Milliarden stellt als vor einfache Menschen. Während die schon für entwendete Kleinstbeträge mit einer Strafe rechnen müssten, würde bei den Vergehen der Reichen, etwa bei Steuerhinterziehung, immer mal wieder ein Auge zugedrückt, so der Tenor unter den Anwesenden.
Aus dieser Perspektive, sei sie nun gerechtfertigt oder nicht, ergibt es durchaus Sinn, dass diese Veranstaltung nicht die Erste ihrer Art ist. Allein in Berlin fanden in den letzten Monaten drei Klauworkshops statt, von denen wir wissen. Was man dort lernt?
Zum Beispiel den Smartphonetrick. Dabei geht man durch das Geschäft und hat sein Handy in der Hand. Immer mal steckt man es in die Tasche und holt es wieder raus. Mit derselben Hand greift man Artikel aus dem Regal und lässt sie dabei unauffällig in der Jackentasche oder unter einem langen Ärmel verschwinden.
Oder die Zweibeutelmethode: Hier wird ein leerer Beutel mit billigen Artikeln gefüllt. Die teuren Waren gehen in den zweiten, in dem man auch noch andere Sachen hat, etwa einen großen Pulli oder eine Wasserflasche. Dabei sei es wichtig, die stibitzten Artikel unter den eigenen Habseligkeiten zu verstecken, sodass nur diese zu sehen sind, falls man an der Kasse aufgefordert wird, die Tasche zu öffnen, führt der „Professor“ weiter aus.
Mehr Aufwand: Der Alidtütentrick
Wer etwas mehr Aufwand betreiben möchte, kann sich auch eine Aluminiumtasche besorgen beziehungsweise eine Tasche mit Alufolie auskleiden – auch bekannt als Alditütentrick – und Gegenstände mit Sicherungen dort hineintun. Das Aluminium verhindert, dass die Sicherheitssensoren ausgelöst werden, weil die elektromagnetische Strahlung so nicht erkannt werden kann.
Schnell wird klar: Die meisten Anwesenden sind keine Neulinge in der Materie, sondern schon geübt im Fünf-Finger-Discount. In der anschließenden Diskussion werden Tipps und Geschichten ausgetauscht. Zum Beispiel berichten viele davon, dass die KI-Überwachung in ihren Herkunftsländern schon fortgeschrittener sei und sie dankbar sind, dass Deutschland so eine Digitalwüste ist.
Doch nicht nur Kund:innen klauen im Einzelhandel, auch Lieferant:innen und Mitarbeiter:innen. Aus einer Filiale der Modekette H & M etwa ist bekannt, dass sich nach Feierabend alle Mitarbeitenden in einer Reihe versammeln müssen. Die Schichtleiterin sucht nach dem Zufallsprinzip eine Person aus und diese muss dann ihre Tasche öffnen.
Am Ende des Vortrags kommt noch ein „rechtlicher Tipp“: Gesetzt den Fall, man wird beim Verlassen des Ladens vom Personal angesprochen, soll man die Tasche mit den geklauten Sachen einfach in den Raum hineinschmeißen und dann abhauen. Das Sicherheitspersonal sei ja bloß dafür da, die Gewinne zu schützen, und werde deshalb nur in seltenen Fällen hinterherlaufen – so zumindest die Behauptung.
„Herzlichen Glückwunsch, ihr erhaltet jetzt alle das Zertifikat für Ladendiebstahl!“, verkündete der „Professor“ am Ende seiner ungewöhnlichen Vorlesung. Ob man die Theorie nun selbst in die Praxis umsetzen will? Kein Kommentar!
Die Autorin möchte anonym bleiben.






