
Der Friedensvertrag zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda, den beide Präsidenten am 4. Dezember in Washington unterzeichneten, ist erst wenige Tage alt – nun fällt die strategisch wichtige Großstadt Uvira im Osten des Landes an die von Ruanda unterstützten Rebellen der AFC/M23 (Allianz des Kongoflusses/Bewegung 23. März).
Am Mittwochmorgen bestätigt die M23 gegenüber der taz in einer Textnachricht: Uvira sowie der nahe gelegene Grenzübergang zu Burundi stehen unter ihrer Kontrolle. Anwohner bestätigen, die Regierungsarmee sei geflohen. Videos auf M23-nahen Kanälen zeigen gegen Mittag erste Aufnahmen von M23-Kämpfern, die in geordneten Kolonnen auf ansonsten menschenleeren Straßen in die Stadt einmarschieren. Einige lokale Milizionäre sollen sich noch in Uvira aufhalten, war am Mittwochmorgen berichtet worden.
Die Regierungstruppen in Uvira packten am Dienstagnachmittag ihre Sachen, als die M23-Truppen den kleinen Ort Kiliba 16 Kilometer weiter nördlich erreicht hatten. Viele Soldaten und Milizionäre haben sich per Boot aus Uvira nach Süden abgesetzt, nach Kalemie 280 Kilometer südlich am Tanganjikasee.
Dies könnte ein Wendepunkt werden, der die ganze Region mit in den Kongo-Konflikt hineinzieht. Denn Uvira mit rund 700.000 Einwohnern ist das Eintrittstor aus dem Osten der DR Kongo gen Burundi und das wirtschaftliche Nadelöhr für den Handel mit Tansania und den dortigen Zugang zum Indischen Ozean. Die Stadt war der Sitz der Provinzregierung von Südkivu, seit die eigentliche Provinzhauptstadt Bukavu im Februar kampflos an die M23-Rebellen gefallen war. Von Uvira aus wollte das Regierungslager die verlorenen Gebiete zurückerobern – nun ist das Gegenteil eingetreten.
M23 kappt letzte Nachschubroute der Armee
Uvira liegt an der Nordspitze des gewaltigen Tanganjikasees. Die Stadt ist quasi ein einziger großer, langgestreckter Hafen und hat gerade eine richtige Straßenkreuzung. Die Straße, die von dort abgeht, führt an die Grenze zu Burundi und weiter in die dortige Wirtschaftsmetropole Bujumbura, 20 Kilometer weiter östlich am Seeufer.
Das kleine Nachbarland ist ein enger Partner von Kongos Regierung. Seit drei Jahren hat Burundi mehr als 10.000 Soldaten in der DR Kongo stationiert, um die marode kongolesische Armee im Kampf gegen die von Ruanda gut ausgerüstete M23 zu unterstützen. Über den Flughafen in Bujumbura direkt an der Grenze flog Kongos Armee in den vergangenen Monaten Nachschub und Waffen ein.
„Wir wurden in den vergangenen Tagen mehrfach von burundischem Territorium aus angegriffen“, betonte M23-Präsident Bertrand Bisimwa am Dienstag in einer Pressekonferenz in Goma. „Wir haben allerdings keine Ambitionen, burundisches Territorium zu besetzten“, sagte er ausdrücklich.
Der Grenzübergang zwischen Uvira und Bujumbura ist nun unter Rebellenkontrolle. Damit sind alle Nachschubwege für Kongos Armee und die in der DR Kongo stationierten burundischen Truppen sowie für Kongos Armee abgeriegelt. Und die M23 hat in den vergangenen Tagen verlauten lassen, dass sie mehrere Hundert burundische Soldaten gefangengenommen hat.
Burundi, ein Pulverfass
Dies kann die innenpolitischen Spannungen in Burundi verschärfen. Das Land steckt seit Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise, es gibt kaum mehr Benzin an den Tankstellen. Die Lebensmittelpreise sind deswegen enorm hoch. Rund 160.000 kongolesische Flüchtlinge werden in Burundi in den Lagern an der Grenze nur rudimentär von Hilfsorganisationen versorgt. Allein in den letzten Tagen sind weitere 30.000 gekommen.
Burundis Bevölkerung ist über die Beteiligung am Krieg in der DR Kongo unzufrieden, denn die Soldaten werden kaum bezahlt. Viele desertieren und finden sich in burundischen Gefängnissen wieder. Unter Burundis Tutsi-Minderheit gibt es überdies Solidarität mit der Tutsi-geführten M23 sowie mit Ruanda.
In Burundi regieren die ehemaligen Hutu-Rebellen der CNDD/FDD (Nationalkomitee/Front zur Verteidigung der Demokratie) unter Präsident Évariste Ndayishimiye, die dem Nachbarland Ruanda feindlich gesinnt sind. Seit zehn Jahren kriselt es zwischen den beiden Bruderstaaten, zeitweise waren die Grenzen geschlossen. In den vergangenen Tagen kam es nun erstmals zwischen Burundi und Ruanda zu direkten Auseinandersetzungen, Raketen flogen über die Grenze.
Im Visier Ruandas: FDLR-Warlord „Omega“
Ruandas Armee betrachtet Burundi als Hutu-Hochburg, die die letzten noch aktiven ruandischen Völkermordtäter von 1994 beherbergt. Prominentester Fall ist der Militärchef der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), Pacifique Ntawunguka, bekannt unter seinem Kriegsnamen Omega.
Die FDLR-Miliz ist aus der früheren ruandischen Hutu-Armee hervorgegangen, die 1994 den Völkermord an Ruanda Tutsi verübte, von Tutsi-Rebellen besiegt wurde und sich dann nach Kongo absetzte. 1997/98 hatte Omega – ein katholischer Kreuzritter, der seinen Truppen predigt, Gott habe Ruanda nur den Hutu gegeben – von Kongos aus versucht, Ruanda zurückzuerobern und die damals neue Tutsi-Regierung von Präsident Paul Kagame zu stürzen. Der Einmarsch wurde gestoppt, seitdem gilt Omega aber als Hauptfeind für Ruandas Regierung.
Omegas FDLR-Kämpfer wurden 2022 in die Reihen von Kongos Regierungsarmee integriert. Seitdem werden sie von Kinshasa bezahlt und ausgerüstet. Gegenüber der taz erwähnten hochrangige FDLR-Offiziere, die 2024 desertierten, dass manche FDLR-Truppen in Südkivu burundische Uniformen tragen und ihr Anführer Omega von Burundi aus den Kampf mit der dortigen Armeeführung koordiniert.
In den von den USA vermittelten Friedensverhandlungen zwischen Ruanda und der DR Kongo galt die FDLR für Ruanda als Hauptgrund, warum man den Krieg der von Tutsi-Generälen geführten M23-Rebellen unterstützt. Im Friedensvertrag von Washington ist festgeschrieben, dass Kongos Regierung die FDLR „neutralisiert“. Im Gegenzug soll Ruanda dann seine „Defensivmaßnahmen“ einstellen.
Doch Ruanda traut Kongos Regierung nicht und will offenbar das FDLR-Problem selbst lösen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche FDLR-Offiziere im Kongo gezielt ermordet oder von der M23 gefangengenommen und in ihre Heimat Ruanda überstellt. Darunter auch Omegas Bodyguard, mit dem die taz 2024 sprach und der kurz darauf von Ruandas Geheimdienst angeheuert wurde, um Omega aufzuspüren. Dieser bestätigte: Omega befindet sich in Burundi.
Aufrufe, den Frieden zu wahren
Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya verurteilt den M23-Vorstoß nach Uvira. „Das Friedensabkommen wird nicht eingehalten; dafür trägt der ruandische Präsident die Verantwortung“, so Muyaya am Dienstag: „Ruanda will den Krieg regionalisieren, denn das Ziel ist nicht mehr nur kongolesisches Territorium, sondern eindeutig Burundi.“
Ruandas Regierungssprecherin Yolande Makolo feuerte zurück: „Schluss mit den Lügen. Die Demokratische Republik Kongo kann nicht Garantin des Waffenstillstands sein, wenn sie ihn in Wirklichkeit als Erste gebrochen hat und keinerlei Absicht hat, die gerade erst unterzeichneten Washingtoner Abkommen zu respektieren.“
Die USA gemeinsam mit zahlreichen europäischen Regierungen, darunter Deutschland, riefen am Dienstagabend dazu auf, das Friedensabkommen zu respektieren, und forderte die M23 und Ruanda „dringend“ auf, ihre Offensivoperationen „unverzüglich einzustellen“.






