Linker Protest im Internet: Warum sich Netzaktivismus abgenutzt hat

I ch glaube, ich habe einen Netzaktivismus-Burn-out. Dabei ist es meine Leidenschaft, den Kapitalismus vom Sofa aus zu bekämpfen: Aktivismus im Netz ist niedrigschwellig, man ist flexibel, muss nicht morgens um fünf in den Demobus steigen, das Tool hat man eh in der Hand und die Reichweite des Protests lässt sich direkt ablesen.

Widerstand im Netz ist einfach und schnell – manchmal zu schnell. Ein bisschen wie Fast Food: Man haut sich mit großer Dringlichkeit schnell viel rein. Danach ist einem übel. Aber der Hunger trotzdem nicht ganz gestillt.

Ich will das Internet nicht den Rechten überlassen. Zugleich habe ich immer weniger Lust, meine Zeit damit zu verbringen, Algorithmen zu pushen und mich Milliardärsplattformen zu unterwerfen.

Der flexible, leichte Zugang fühlt sich inzwischen an wie eine ständige Verpflichtung.

Das wiederum erinnert an arbeiten im Homeoffice: Es verspricht Freiheit, aber macht, dass du auch am Wochenende deine E-Mails checkst. Es gibt immer eine Kampagne zu unterstützen. Die Kombination aus Verfügbarkeit und Tempo kreiert eine toxische Dringlichkeit.

Dazu kommt moralischer Druck: Mehrmals las ich Diskussionen darüber, wie feige oder unsolidarisch es wäre, diese oder jene Petition nicht unterzeichnet zu haben, bevor ich überhaupt mitbekommen habe, dass es eine solche Petition gibt. Wahrscheinlich ging sie unter zwischen all den anderen Petitionen, Share-Pics und Mobi-Videos.

Den Tag untereinander vermiesen

Weil diese Formate immer gleich sind, fällt auch mir oft nichts Besseres ein, als die immer gleichen Leute mit großer Reichweite zu bitten, mir schnell ein Video aufzunehmen, um zur anstehenden Demo zu mobilisieren. Ich selbst bekomme etwa einmal im Monat eine solche Anfrage. Ich will mir nicht ausmalen, wie viele Max Czollek bekommt.

So richtig Bock scheint niemand mehr zu haben: Die Stimmung im Netz ist schlecht. Damit meine ich nicht die Präsenz von Rechten, Trollen, Bots oder rechten Troll-Bots. Wir können uns den Tag auch untereinander vermiesen. Statt linker Netiquette gibt’s die Algorithmus-optimierte kalkulierte Provokation, die sich von Wut der Ge­nos­s*in­nen ernährt. Oder Accounts, deren Game daraus besteht, zu erzählen, wie problematisch andere Linke sind.

Viel Zeit auf Social Media zu verbringen, führt nicht mehr dazu, dass wir uns verbunden fühlen. Es lässt uns politisch vereinsamen. Auch wenn man für eine gemeinsame Sache kämpft:

Am Ende sitzen wir alle allein vor unseren Geräten. Zum Glück habe ich dafür einen Ausgleich außerhalb des Internets. Das ist aber nicht für alle möglich. Da sind wir wieder beim großen Vorteil: die Zugänglichkeit.

Mehr ins direkte Gespräch zu kommen, sich bei Veranstaltungen zu treffen und mit Forderungen auf die Straße zu gehen, ist also nur ein Teil einer Lösung, an der nicht alle teilhaben können. Für viele ist das Internet die einzige Möglichkeit, Zugang zu Informationen, politischem Ausdruck und Austausch zu haben und mit Gleichgesinnten in Kontakt zu bleiben.

Gerade für sie sollten wir das Netz zu einem guten Ort machen. Was mache ich nun mit diesem Burn-out? Mal entspannen. Und an kreativeren Onlineprotestformen arbeiten. Doch bis ich da weiter bin, würde ich euch vorerst noch um Mobi-Videos bitten.

  • informationsspiegel

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