Neue Studie über Gamer: Ode an die Schreibtisch-Nerds

J e leidenschaftlicher ein Gamer (wichtig: männlich, strohiges Haar), desto kürzer die Kontaktliste und desto weniger Tageslicht im Zimmer. Routinierte Zocker halten wenig vom Konzept Deo­dorant oder Hygiene im Allgemeinen. Politik? Ein Fremdwort. Das japanische Gesundheitsministerium findet sogar einen etablierten Ausdruck dafür: Hikikomori bezeichnet soziale Aussteiger, die Stunde um Stunde ins Netz flüchten und sich von der Außenwelt abmelden.

Wer den vorigen Zeilen nun nickend zustimmte, irrt gewaltig: Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Gaming-Community politisch und sozial engagierter ist, als es ihr viele unterstellen. Ein Zeichen, sich von den alten Klischees zu lösen und die Gaming-Industrie in Deutschland auszubauen. Denn Zocken ist mittlerweile nicht mehr nur eine Nische für introvertierte Jungs und Männer, sondern fördert die Demokratie.

Laut Bertelsmann Stiftung spielen mehr als zwei Drittel der Menschen ab 16 Jahren Computerspiele, in der Altersgruppe der 16- bis 34-Jährigen ganze 86 Prozent. Beim digitalen „Suchten“ belassen sie es nicht, sie vernetzen sich auf Plattformen wie Discord und regen dabei politische Debatten an.

Entgegen dem Stereotyp des stumpfen Stubenhockers zeigen besonders Viel­zo­cke­r*in­nen eine höhere Bereitschaft zu gesellschaftspolitischen Engagement als der Durchschnitt aller Befragten. Jene mit dem struppigsten Image bringen sich überdurchschnittlich in demokratische Prozesse ein. Während durchschnittlich 14 Prozent der Befragten jungen Erwachsenen auf Demos gehen, ist die Zahl bei den Viel­zo­cke­r*in­nen fast doppelt so hoch.

Hohes Vertrauen in die Demokratie

Neben ihrem vergleichsweise hohen politischen Engagement vertraut die Gruppe der Gaming-Enthusiast*innen mehr in die Demokratie. 65 Prozent der Game­r*in­nen finden, dass die Demokratie funktioniert. Der Durchschnitt aller Befragten kommt auf 55 Prozent.

Es ist gut, dass viele von ihnen die Grundwerte der Demokratie anerkennen, denn sie sind nicht die einzigen, die sich im digitalen Milieu wohlfühlen. Auch Rechtsextreme nutzen das Potenzial der digitalen Gaming-Welt, für die Radikalisierung nach rechts in der analogen Gesellschaft.

Auf der Gaming-Plattform Roblox, auf der Nut­ze­r*in­nen selbst Spiele bauen können, konnte man für eine kurze Zeit etwa das Attentat von Halle nachspielen. Auch wenn das Spiel mittlerweile gelöscht ist, und die Spiele nicht weit verbreitet sind, zeigt es, dass auch Rechtsextreme in Videospielen unterwegs sind.

Jenen Gamer*innen, die ihre Plattform auch für den demokratischen Austausch nutzen, können wir dafür danken, dass sie den digitalen Raum weiter gegen Rechtsextreme verteidigen.

Demokratischer Austausch online

So dürfen Rechte ihre Narrative auf Discord genauso wenig normalisieren wie auf dem Volksfest. Genau deshalb gilt es, die Communitys ernst zu nehmen. Junge Menschen werden auf ihren Servern auch politisiert. Ihr demokratischer Austausch verliert sich nicht nur in einer Datenbank, sie tragen ihre Weltanschauungen nach außen, in die sogenannte „Realität“, wo sie auf Demos für ihre Standpunkte kämpfen.

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Sie debattieren online und campen auch dann noch im Chat, wenn Rechtsextreme ihre Subkultur unterwandern

Digitale Vernetzung gewinnt immer mehr an Bedeutung. Hikikomori oder jene, die wir fälschlicherweise dafür halten, sind längst über ihre Archetypen hinausgewachsen. Sie debattieren online und campen auch dann noch im Chat, wenn Rechtsextreme ihre Subkultur unterwandern. Sie öffnen Räume, in denen sie Anschluss finden und sich soziokulturell weiterbilden.

Nachdem die deutsche Games-Branche finanziell hinkte, erkennen auch staatliche Ak­teu­r*in­nen die innovativen Möglichkeiten in ihr. Bundesforschungsministerin Dorothee Bär rief zuletzt dazu auf, Games made in Germany mehr zu fördern. Das ist erfreulich, doch sind Zo­cke­r*in­nen mehr als eine smarte Geldanlage. Sie sind die unterschätzte Kraft, die Rechten keine Macht über die Server lässt.

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