Neuer Waldzustandsbericht: Vier von fünf Bäumen geht es schlecht

Berlin taz | Wie die Flagge von Mali sieht die Grafik zur Waldzustandserhebung aus: Grün, Gelb, Rot, von links nach rechts. Grün bedeutet: Die erfassten Bäume haben eine dichte, grüne Krone, die keinen Blick in den Himmel durchlassen. Gelb bedeutet: Der Baum zeigt schwache Anzeichen von Kronenverlichtung, man kann also ein wenig hindurchsehen. Und Rot heißt: Die Krone des Baumes ist arg zerfleddert, Äste scheinen durch die Blätter und der Himmel erst recht. Bei einer Kronenverlichtung von 100 Prozent ist der Baum abgestorben. Auf der Mali-Grafik schrumpft der grüne Teil der Bäume zusammen, der gelbe und der rote breiten sich aus: Dem Wald geht es schlecht.

Nur noch 21 Prozent der 9.816 Bäume, die für die Waldzustandserhebung 2024 erfasst worden sind, zeigen eine dichte, gesunde Krone. Bei 43 Prozent steht die Warnstufe auf Gelb, und 36 Prozent sind im roten Bereich, also krank, sehr krank oder tot. „Die Baumkronen sind ein Seismograf für den Zustand der Bäume“, sagt der neue Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, Alois Rainer (CSU). „Unsere Wälder haben Dauerstress.“ Besonders Buchen und Eichen leiden unter den Trocken- und Hitzeperioden der vergangenen Jahre und dem darauffolgenden Befall mit Insekten wie Eichenpracht- oder Borkenkäfer.

Den jährlichen Waldzustandsbericht stellte Rainer im Tegeler Forst im Nordwesten von Berlin vor. Umgeben von Kameras und Mikros schwärmte er vom Vogelgezwitscher im Wald, kletterte auf Baumstümpfe und streichelte den Beagle eines Reviermitarbeiters. „Wir müssen den Wald nach wissenschaftlichen Kriterien mit standortangepassten und klimaresilienten Baumarten aufforsten“, fordert er.

„Wir müssen auch wieder aufforsten“, sagt Henrik Hartmann, der das Quedlinburger Julius-Kühn-Insitut für Waldschutz leitet. „Die Frage ist nur: Mit was?“ Über die potenziell richtigen Baumarten sei noch zu wenig bekannt. Häufig stammten die Prognosemodelle über Wachstum, Photosyntheseleistung oder Absterben aus Studien, in denen die Bäume im Komfortbereich gewachsen seien – also bei idealen Temperaturen oder Niederschlägen. „Wie sie sich unter Stress verhalten, wissen wir nur bedingt“, sagt Hartmann. Zudem sei auch die klimatische Entwicklung unklar: „Werden wir Ende des Jahrhunderts – für einen Baum kein langer Zeitraum – bei 2,3 Grad oder bei 3,4 Grad landen?“ Das ändere alles.

Abwarten reicht nicht

Andererseits könne man nicht einfach abwarten, sagt Hartmann: Rein auf Naturverjüngung setzen, das sei ein guter Weg für einige Flächen, aber nicht für alle. „In der Forst- und Holzwirtschaft arbeiten über eine Million Menschen, mehr als in der Autoindustrie“, sagt Hartmann, „für sie tragen wir Verantwortung.“ Zudem sei nicht sicher, dass auf Flächen, die sich selbst überlassen würden, auf absehbare Zeit wirklich wieder Wald entstehe. „Es könnte auch sein, dass sich dort erst Brombeeren und denn Sträucher ansiedeln und die Entstehung von Wald, wie wir ihn heute kennen, in weite Ferne rückt.“

Forstminister Rainer sieht den Waldumbau gleichwohl auf einem guten Weg: Um ihn zu stemmen, müssten die Waldbesitzer von bürokratischen Auflagen entlastet und finanziell unterstützt werden, sagte er. Dazu stehen rund 900 Millionen Euro aus den Mitteln des Agrar- und Küstenschutzes sowie jährlich 135 Millionen aus dem Haushalt des Ministeriums zur Verfügung.

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