F rau G. ist 86 Jahre alt, lebt in Berlin in einer kleinen Wohnung im 2. Stock und hat ihr Leben noch weitgehend im Griff. Sie hat keine Angehörigen, die ab und zu mal nach ihr schauen, für sie einkaufen, Wege erledigen, die sie selbst nicht mehr bewältigt. Aber Frau G. hat Pflegegrad 1, eingestuft nach den Regeln der Pflegeversicherung. Das heißt, sie bekommt Geld aus der Pflegeversicherung, 131 Euro im Monat. Davon leistet sie sich „Hilfen im Haushalt“: Mal kauft jemand für sie ein, mal putzt jemand ihre Fenster, jemand anderes besorgt Medikamente aus der Apotheke.
Frau G. ist eine von knapp 864.000 Menschen in Deutschland, die mit Pflegegrad 1 ein zwar eingeschränktes, aber doch freies Leben in ihren eigenen vier Wänden führen können. Die Hilfe, die sie benötigen, können sie sich „kaufen“ – bei ambulanten Pflege- und anderen Serviceeinrichtungen, Haushaltshilfen. Aber auch bei Freunden und Angehörigen. In den meisten Fällen sind es tatsächlich Angehörige, die für die Mutter, den Großvater, den Ehemann zu Hause da sind. Fast immer sind es Frauen, die die private Pflege „nebenbei“ leisten. Auch für sie sind die 131 Euro gedacht.
Fällt diese kleine Finanzspritze weg, wie die Bundesregierung das plant, wird es sowohl für Frau G. als auch für die Pflegenden schwierig. Bleiben wir bei Frau G. Wer kauft für sie ein? Wer ist da, wenn sie schwächer wird? Mit großer Wahrscheinlichkeit müsste Frau G. in ein Pflegeheim umziehen. Das ist ungünstig für ihren Gemütszustand und am Ende teuer – für Frau G. und den Staat. Ein Heimplatz kostet, gestaffelt nach Pflegegrad der Bewohner:innen, Lage und Ausstattung, ein Vielfaches mehr, als die Ausgaben für Pflegegrad 1 ausmachen – zwischen 800 und 2.100 Euro monatlich, getragen von den Pflegekassen.

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Damit sind die Heimkosten noch nicht gedeckt, in vielen Fällen müssen die Bewohner:innen privat zuzahlen, das können schon mal bis zu 3.000 Euro sein. Wer kein Vermögen und/oder nur eine geringe Rente hat, dem hilft das Sozialamt, also der Staat.
Trotzdem erwägt die Bundesregierung, den Pflegegrad 1 zu streichen. Dadurch ließen sich rund 1,8 Milliarden Euro jedes Jahr sparen. Sparen ist tatsächlich nötig, die Kosten für die Pflegeversicherung betragen derzeit 68,2 Milliarden Euro, in Kürze droht ein Finanzloch von 3,5 Milliarden Euro. Gleichwohl weiß niemand, wie die Pflegekosten explodieren, müssten Betroffene wie Frau G. Hilfe in größerem Umfang in Anspruch nehmen.
Gleichzeitig klagt der Staat über zu wenige Frauen auf dem Arbeitsmarkt
An dieser Stelle sind wir bei den pflegenden Angehörigen. Fällt der Pflegegrad 1 weg, wird die Pflege mit großer Wahrscheinlichkeit von ihnen, konkret von den Frauen übernommen. Auf diese Weise privatisiert der Staat die Pflege und fällt zurück in eine Zeit, in der in erster Linie Frauen für die Familie da waren. Gleichzeitig klagt er über zu wenige Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die zudem zu oft Teilzeitstellen haben. Sollte die Bundesregierung ihren Plan durchziehen, dürfte sich dieses Gefälle verstetigen. Das ist kontraproduktiv – für alle Seiten.







