Regierung bricht Versprechen: Stromsteuer sinkt nur für die Industrie

Berlin/Bonn taz | Ver­brau­cher­schüt­ze­r:in­nen und die Opposition im Bundestag sind empört: Die Bundesregierung will anders als versprochen die Stromsteuer für Privathaushalte, Handwerk und Dienstleister nicht senken. Stattdessen sollen die Abgaben nur für die Industrie und die Landwirtschaft gesenkt werden. Das hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche am Dienstag beim Jahreskongress des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) angekündigt.

Federführend bei der Stromsteuer ist nach Angaben des CDU-Wirtschaftsministeriums allerdings das von Lars Klingbeil (SPD) geführte Finanzministerium. Das Finanzministerium hätte keine weiteren Spielräume für eine Entlastung der Ver­brau­che­r:in­nen gesehen, hieß es aus Regierungskreisen.

Die Strompreise sind im europäischen Vergleich in Deutschland hoch. Das belastet vor allem energieintensive Unternehmen und ist auch ein Grund für die anhaltende Wirtschaftsflaute in Deutschland. Ver­brau­che­r:in­nen leiden ebenfalls unter den hohen Kosten. Nach Angaben des Freiburger Öko-Instituts können 10 Prozent der deutschen Haushalte nicht ausreichend heizen oder werden durch Energiekosten stark belastet. Auch auf die klimagerechte Wärme- und Verkehrswende haben die hohen Kosten Auswirkungen. Den schleppenden Absatz von E-Autos oder Wärmepumpen als Alternative zu fossilen Heizungen führen Bran­chen­ken­ne­r:in­nen unter anderem auf den hohen Strompreis zurück. Denn er hält Ver­brau­che­r:in­nen von einem Umstieg ab.

Union und SPD haben niedrigere Energiekosten für alle versprochen. In ihrem Koalitionsvertrag haben sie dazu unter anderem die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß vereinbart, und zwar sowohl für Unternehmen als auch für Privathaushalte. Jetzt sollen nur noch Industrie und Landwirtschaft entlastet werden – Verbraucher:innen, Handwerk und Dienstleister nicht. Bei der Entlastung für Industrie und Landwirtschaft gehe es um 3 Milliarden Euro, sagte Reiche am Mittwoch bei der Befragung der Bundesregierung im Bundestag. Privathaushalte und andere Verbrauchende würden von der weiterhin geplanten Senkung der Netzentgelte und der Befreiung von der Gasspeicherumlage profitieren, sagte sie. Unabhängig von der Stromsteuer will die Regierung großen Unternehmen auch noch mit einem speziellen subventionierten Industriestrompreis helfen, für den die EU am Mittwoch den Weg frei gemacht hat.

Kritik von Verbraucherschützern

Sollte die Bundesregierung die Stromsteuer für Privathaushalte nicht senken, wäre der Vertrauensverlust immens, sagte Ramona Pop, Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). „Die Entlastung der Menschen bei den Energiepreisen war eines der zentralen Wahlversprechen der Koalitionsparteien“, sagte sie. „Vor diesem Hintergrund ist es inakzeptabel, dass Ver­brau­che­r:in­nen bei der Senkung der Stromsteuer leer ausgehen sollen.“

Auch die Grünen und die Linkspartei kritisieren die ausbleibende Entlastung. „Frau Reiche fällt durch die Absage der Stromsteuersenkung Millionen von Menschen, die auf moderne klimafreundliche Wärmepumpen und Elektroautos setzen, in den Rücken“, sagte die Vizevorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Julia Verlinden. „Um von Reiches Lobbypolitik zu profitieren, muss man anscheinend ein fossiler Konzern sein.“

Die Linksfraktion hält es „für skandalös“, dass die „einzige wirksame Entlastung für Verbraucher“ aus dem Koalitionsvertrag doch nicht komme, sagte deren energiepolitischer Sprecher Jörg Cezanne. „Die noch junge Bundesregierung verspielt damit das Vertrauen der Menschen, die die Union und SPD beim Wort genommen haben und spürbare Erleichterungen bei den Lebenshaltungskosten erwarten.“

Zweifel an deutschem Klimaziel

Bei ihrem Auftritt vor In­dus­trie­ver­tre­te­r:in­nen am Dienstag hatte Reiche auch Zweifel an dem Ziel angemeldet, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Deutschland müsse in Bezug auf seine Klimaziele flexibler werden, forderte sie. Das EU-Ziel für Klimaneutralität sei 2050. „Ich glaube, eine Harmonisierung mit internationalen Zielen täte gut.“ Das im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgehaltene Ziel für 2045 wolle sie aber nicht infrage stellen.

Reiches Aussage ist ein weiterer Vorstoß aus dem konservativen Lager, die deutschen Klimaziele aufzuweichen. Neben dem früheren BDI-Chef Siegfried Russwurm hat sich auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gegen das Klimaziel 2045 ausgesprochen.

„Die Zieldebatte jetzt neu aufzumachen, ist nicht hilfreich“, kritisiert Brigitte Knopf, Direktorin der Denkfabrik Zukunft KlimaSozial und Mitglied des Expert:innenrats, der die Bundesregierung in Klimafragen berät. „Es führt davon weg, was konkret in den nächsten fünf bis zehn Jahren für den Klimaschutz getan werden muss.“

  • informationsspiegel

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