Streit zwischen Algerien und Frankreich: Auge um Auge, Diplomat um Diplomat

Paris taz | Eine nur 48-stündige Frist zur Ausreise haben am Sonntag zwölf in Algerien stationierte französische Diplomaten bekommen. Damit reagierten die algerischen Behörden auf die Verhaftung von drei algerischen Staatsangehörigen in Frankreich, darunter ein algerischer Konsulatsangestellter. Wie in solchen Fällen üblich, hat Frankreich eine „angemessene“ Antwort auf diesen „bedauernswerten“ Beschluss angekündigt.

„Wenn Algerien weiterhin darauf beharrt, unsere Beamten ausweisen zu wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als ähnliche Maßnahmen zu ergreifen“, erklärte am Dienstagvormittag der französische Außenminister Jean-Noël Barrot im Fernsehen.

Damit entwickelt sich eine seit Monaten andauernde Verstimmung zwischen den beiden Ländern wieder zu einem Konflikt, obschon wenige Tage zuvor Staatspräsident Emmanuel Macron und Algeriens Staatschef Abdelmadjid Tebboune bei einem Telefongespräch eine Wiederannäherung und eine Einigung in gegenseitigen Streitfragen eingeleitet hatten.

Algerien macht dafür den französischen Innenminister Bruno Retailleau und dessen Migrationspolitik verantwortlich. Der beschwert sich darüber, dass Algerien Staatsbürgern, die Frankreich als illegale Immigranten, gerichtlich verurteilte Straffällige oder Gefahr für die öffentliche Ordnung abschieben will, nicht die erforderlichen Papiere für die zwangsweise Rückführung ausstellt.

Entführung eines algerischen Oppositionellen in Frankreich

Anlass der derzeitigen Eskalation ist der Fall einer Entführung eines algerischen Oppositionellen in Frankreich vor einem Jahr. Amir DZ ist das Pseudonym eines 41-jährigen erklärten Gegners der algerischen Staatsführung, der als politischer Flüchtling in Frankreich lebt und dort als Influencer tätig ist.

Die algerischen Behörden beschuldigen ihn, Kontakte zu einer „terroristischen subversiven Gruppe“ zu unterhalten, er wolle auch (in Algerien) „die Bürger zum bewaffneten Kampf gegen die staatliche Autorität anstiften“. Zwei Auslieferungsanträge wurden von Frankreich 2022 abgelehnt.

Seiner Darstellung im Fernsehsender France-2 zufolge wurde er am 29. April 2024 von vier Männern, von denen zwei eine Armbinde mit Polizeiaufschrift trugen, angehalten und mit Handschellen gefesselt. Als Erklärung der Festnahme habe man ihm gesagt, er werde zu einer Befragung durch einen „Offizier der Kriminalpolizei“ erwartet.

Sehr schnell habe er dann aber bemerkt, dass er nicht auf ein Kommissariat gebracht wurde, sondern in eine Art Container, in dem er eingesperrt blieb. 27 Stunden später sei er dann ohne Erklärung unweit einer Autobahn freigelassen worden.

Einschüchterung oder gar Revanche?

Handelt es sich bei dieser Aktion um einen brutalen Einschüchterungsversuch oder eventuell um eine Revanche für die Festnahme des in seiner Kritik an Frankreich vehementen Influencers Doualem, den das französische Innenministerium im Januar als Sicherheitsproblem erfolglos nach Algerien abschieben wollte?

Die mutmaßliche Entführung von Amir DZ hat Konsequenzen. Denn die französische Justiz ließ aufgrund ihrer Ermittlungen rund ein Jahr nach dem Kidnapping drei mutmaßlich Beteiligte festnehmen. Einer davon war im algerischen Konsulat von Créteil bei Paris beschäftigt. Für Innenminister Retailleau stand damit fest, dass „die Verbindung mit Algerien belegt“ sei. Algerien drohte sofort mit einer diplomatischen Eskalation.

Zu befürchten ist jetzt, dass wegen dieser Eskalation nicht, wie in Paris erhofft, der Schriftsteller Boualem Sansal (80) freigelassen wird. Er war im November bei einem Besuch in Algerien verhaftet und später in einem Scheinprozess zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil seine Kritik am Regime und Äußerungen zu territorialen Streitpunkten bei der Unabhängigkeit Algeriens und Marokkos quasi als Landesverrat Anstoß erregte.

Damit ist er aber nicht der einzige Spielball des Auf und Ab einer Krise zwischen Frankreich und Algerien, deren Ausgangspunkt bis auf den Kolonialismus und den Unabhängigkeitskrieg zurückgeht.

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