
taz | Was in Berlin noch kontrovers diskutiert wird, ist in Brüssel längst Praxis: Die Konservativen im Europaparlament arbeiten immer wieder mehr oder weniger offen mit Rechtskonservativen, Nationalisten und gelegentlich auch mit der AfD zusammen. Sie machen sogar gemeinsam EU-Gesetze – oder drohen damit, um Änderungen zu erzwingen.
Jüngstes Beispiel: Das EU-Lieferkettengesetz, das auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ein Dorn im Auge ist, wurde massiv aufgeweicht. Nach dem Motto „friss oder stirb“ zwang EVP-Chef Manfred Weber (CSU) die Sozialdemokraten, das EU-Gesetz zu ändern – andernfalls würde man es gemeinsam mit den Rechten tun.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte keine Einwände – dabei hat ihre Behörde das Gesetz vorgeschlagen. Das neue europäische Lieferkettengesetz soll künftig nur noch für Unternehmen mit 5.000 oder mehr Beschäftigten und einem Umsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Von der Leyens Vorschlag war wesentlich schärfer.
Kanzler Merz kann sich freuen – schon bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel hatte er die EU-Regeln für nachhaltige und soziale Lieferketten aufs Korn genommen. Für die Sozialdemokraten ist es hingegen eine herbe Niederlage. Sie hatten das Gesetz als „rote Linie“ bezeichnet.
„Erpressungsversuch“
Bei der SPD im Europaparlament ist man immer noch wütend über den erfolgreichen „Erpressungsversuch“, den CSU-Mann Weber ohne Rücksicht auf den „Cordon sanitaire“ (so heißt die Brandmauer im Europaparlament) durchgezogen habe. Lara Wolters, zuständige Parlamentsberichterstatterin, trat aus Protest sogar von ihrem Amt zurück. Die Niederländerin wollte die Änderungen nicht mittragen.
Eigentlich hatten EVP, Sozialdemokraten und Liberale nach der Europawahl 2024 vereinbart, alle wichtigen EU-Gesetze gemeinsam zu beschließen und die erstarkten Rechten auf Distanz zu halten. Dafür haben sie die sogenannte Plattform gebildet – eine große Koalition, die von der Leyen die zweite Amtszeit sichern sollte.
Doch schon bei der Bestätigung der neuen EU-Kommission waren die Parteien der Mitte auf Stimmen der rechtslastigen „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) angewiesen. Später begann Weber, mit neuen Mehrheiten zu liebäugeln. Wenn die Sozialdemokraten nicht mitziehen, könne er auch mit den Parteien rechts der Mitte.
Eine offene Zusammenarbeit mit der AfD, dem rechtsradikalen französischen Rassemblement National oder den Postfaschisten in Italien bedeutet das zwar (noch) nicht. Aber sie ist auch gar nicht nötig, wie das Beispiel Lieferketten zeigt.







