Krieg in Nahost: Aus dem Zuhause ist ein Trümmerfeld geworden

Sour taz | Der Schein von Taschenlampen beleuchtet den Staub, der durch die Schaufeln der Freiwilligen Meter hoch aufgewirbelt wird. Jedes Mal, nachdem der schwere Bulldozer ruckartig zurücksetzt, um einen weiteren zerbröselten Betonpfeiler aus den Trümmern zu ziehen, besteigen die Umstehenden stumm den Berg an Trümmern.

Wie im gesamten Libanon gibt es auch im Zentrum von Sour nur selten Strom. Überall in der Stadt wird in der Dämmerung auf Trümmerbergen dennoch weitergearbeitet – in der Hoffnung, noch Überlebende oder Habseligkeiten zu finden. Vorsichtig ziehen die Mitarbeiter des Roten Halbmondes Kleidungsstücke hervor. Bewohner des Gebäudes entdecken zerbrochenes Geschirr und Möbel aus ihrer Wohnung. Wie viele Tote noch unter dem Berg liegen, weiß niemand. „Wir sind nach Beginn der Bombardierungen Hals über Kopf nach Beirut zu Verwandten geflohen“, sagt Mohammed Haidar. Von einigen Nachbarn des ehemals sechsstöckigen Hauses fehle noch immer jede Spur. Die schweren Betondecken der einzelnen Stockwerke liegen wie Papierbögen aufeinander.

Laut dem Bürgermeister von Sour, Hussein Dbouk, wurden während der zwei Monate anhaltenden, intensiven Phase des Krieges zwischen der Hisbollah-Miliz und Israel 55 Mehrfamilienhäuser in der 120.000-Einwohner-Stadt zerstört. Ganze Straßenzüge in der Hafenstadt sind vom Krieg gezeichnet. Trümmer aus Glas und Beton liegen auch noch Hunderte Meter von den Einschlagsorten der Bomben entfernt auf den Straßen.

Viele in Sour sagen: Die Guerillataktik der Hisbollah-Kämpfer habe einen größeren Einmarsch der israelischen Armee verhindert

Sour, eine der ältesten durchgehend bewohnte Städte der Region, ist wegen seiner römischen Ruinen und Sandstrände im Sommer bei Touristen aus dem ganzen Libanon beliebt. Mehrheitlich leben hier Schiiten, die Fahnen der Hisbollah und auch der Amal-Miliz gehörten vor dem Krieg zum Straßenbild. Auf den Trümmern ihrer Häuser schwenken viele Rückkehrer nun wieder die gelbe Flagge der Hisbollah, auch an der Strandpromenade weht sie im kalten Dezemberwind.

Auch unter Schiiten gibt es kritische Stimmen zur Hisbollah. Aber viele in Sour sind auch überzeugt: Die Guerilla­taktik der Hisbollah-Kämpfer, einige davon aus Sour, habe einen größeren Einmarsch der israelischen Armee verhindert. Den Waffenstillstand sehen sie als Sieg. Die Trümmer ihres Hauses seien der Beweis, wie viel schlimmer es noch hätte kommen können, wären die Israelis weiter vorgerückt, sagt einer der Helfer.

Bereits zwei Stunden nachdem der Waffenstillstand ausgerufen worden war, kamen die ersten vor den Bombardierungen geflüchteten Bewohner aus der etwa 80 Kilometer entfernt gelegenen Hauptstadt Beirut zurück. Mohammed Haidar wagt sich vorsichtig über die Trümmer in seinen kleinen Supermarkt, dessen Überreste am Rand des Gebäudes erhalten geblieben sind. Der rechte Teil des kleinen Ladens ist eingestürzt. „In vier Tagen Arbeit könnte ich den Laden wieder eröffnen“, sagt der 44-Jährige. „Damit mehr Menschen zurückkommen. Aber es gibt weder Wasser noch Strom in unserem Viertel.“

Wegen der Trümmer und der nicht explodierten Bomben warnen die libanesischen Behörden vor übereilter Rückkehr. „Uns aus Sour wird vom Rest des Landes eine gewissen Dickköpfigkeit nachgesagt“, lacht Bilel Kashmar, der Leiter des Zivilschutzes. In den nächsten Monaten muss er sich um die Beseitigung Tausender Tonnen von Trümmern kümmern. „Nun scheinen die Menschen aus Sour beweisen zu wollen, dass sie es tatsächlich sind. Es kommen fast alle zurück und starten einen eigentlich unmöglichen Wiederaufbau“, sagt er.

Auch wenn wohl fast alle der über 400.000 aus dem Süden geflüchteten Libanesen in ihre Häuser zurückkehren wollen, glauben an einen dauerhaften Waffenstillstand nur wenige. Das Summen von Drohnen am Himmel über Sour sehen viele als Beweis, dass dieser nur für die Hisbollah, aber nicht für die israelische Armee gilt.

Hoffnung: Armee und Blauhelme sollen Hisbollah ersetzen

Und es gibt viele Hindernisse: Überall in der Stadt mangelt es an Baumaterial, Lebensmitteln und Benzin. Wohnraum ist nach der Zerstörung ganzer Straßenzüge knapp.

Kashmar hofft auf baldige Hilfe der Vereinten Nationen. Denn die finanziell am Boden liegende libanesische Regierung hat schon Probleme, die Verlegung der Armee in die Pufferzone zu bezahlen. Die römischen Ruinen von Tyros – der bis heute oft verwendete altgriechische Name Sours – wurden von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt, erklärt er – und auch diese wurden in Mitleidenschaft gezogen. Damit Sour wieder aufleben könne, benötige man internationale Hilfe.

Erst wenn die libanesische Armee und die 10.000 Blauhelme der Unifil-Truppe die Stellungen der Hisbollah ersetzen, könne sich die Lage entspannen, hört man in den Cafés der Stadt. Bis Ende Januar gilt die 60-tägige Waffenruhe, bis dahin haben Hisbollah und auch die israelische Armee Zeit, ihre Stellungen zu räumen.

„Ich kann es mir nicht leisten über die große Politik nachzudenken“, sagt der Fischer Anis Hussein. Er hat sein acht Meter langes Holzboot seetauglich gemacht und flickt Löcher in den Fangnetzen. „Bei unseren Verwandten im Norden haben wir zu viert in einem Zimmer gehaust.“ Nun könne er sich als Fischer bei der Versorgung der Rückkehrer nützlich machen.

Zusammen mit einem Dutzend anderer Fischer diskutiert der 34-Jährige, ob das Fischen vor der Küste wieder sicher ist. Die fischreichen Monate Oktober und November haben die Männer durch den Krieg bereits versäumt. Und ob für die von der israelischen Armee erlassene Sperrzone für die Fischer von Tyros weiterhin gilt, wissen sie bis jetzt nicht.

  • informationsspiegel

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