Aufnahmeprogramm für Af­gha­n*in­nen: Im Stich gelassen

München taz | Die Stadt wird für Maryam* jeden Tag mehr zum Gefängnis. „Es ist schrecklich und wir können nichts tun. Die Straßen sind voller Polizei“, berichtet sie in einer Sprachnachricht aus Islamabad. Ihre Stimme klingt ängstlich. Wohnviertel, in denen viele Af­gha­n*in­nen leben, werden von der Polizei durchkämmt, Wohnungen durchsucht.

Maryam hat eine Aufnahmezusage des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan (BAP). Wie mehr als 3.000 andere Af­gha­n*in­nen in der pakistanischen Hauptstadt wartet sie auf ein Visum für Deutschland. An das BAP können sich Menschen wenden, die nicht als Ortskräfte für die Bundeswehr oder deutsche Hilfsorganisationen in Afghanistan tätig waren, aber von den Taliban bedroht werden: Es sind Menschenrechtsaktivist*innen, Frauenrechtler*innen, Jour­na­lis­t*in­nen oder Mit­ar­bei­te­r*in­nen der vorhergehenden Regierung.

Ihre Angst vor einer Abschiebung ins Taliban-Regime wächst nun. Seit Anfang dieses Jahres führt die pakistanische Polizei systematisch Razzien durch, verhaftet Af­gha­n*in­nen ohne gültiges Visum und bringt sie an die afghanische Grenze.

Martin Sökefeld

ist Professor für Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hat im Rahmen seiner Forschung zum Bundesaufnahme­programm gerade Pakistan besucht.

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Die Wartenden haben, während sie noch in Afghanistan waren, eine langwierige Überprüfung durch deutsche Behörden durchlaufen. Erst danach wurden sie als besonders gefährdete Personen anerkannt und haben eine Aufnahmezusage für das BAP bekommen.

12.000 US-Dollar für Pässe und Visa in Pakistan

Die Aufnahmezusage war für sie zunächst ein Lichtblick, die Erlösung aus Angst und Ungewissheit. Viele hatten sich monatelang in Afghanistan versteckt, um Verhaftungen zu entgehen. Doch das BAP zwang sie, trotz aller Gefahr, im Land zu bleiben. Denn nur solange sie noch in Afghanistan waren, konnten sie eine Aufnahmezusage bekommen.

Da Deutschland in Afghanistan aber keine funktionierende Botschaft hat, wird das Visum erst nach einer weiteren Überprüfung im Nachbarland Pakistan ausgestellt. „Wir mussten Pässe und Visa für Pakistan besorgen“, erzählt Wali. Beides ist teuer: 12.000 US-Dollar zahlte er, verkaufte seinen gesamten Besitz, um die Dokumente für sich, seine Frau und ihre drei Töchter zu finanzieren. Seit fast zehn Monaten wartet die Familie in einem Gästehaus, das die Bundesregierung über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bezahlt.

Die GIZ übernimmt Unterkunft und Verpflegung, doch alle anderen Kosten tragen die Wartenden selbst – auch die Gebühren für die Visaverlängerung. Denn die Einreisevisa für Pakistan laufen nach spätestens sechs Monaten ab, die Verlängerung kostet umgerechnet bis zu 100 Euro pro Person. „Wie soll ich das bezahlen?“, seufzt Wali. Viele Familien können sich nur noch ein gültiges Visum leisten.

Bis Ende 2024 war das kein großes Problem. Aber seit dem Jahreswechsel, hat Pakistan die Daumenschrauben anzogen. Stadtviertel und Häuser in Islamabad und im benachbarten Rawalpindi werden systematisch durchsucht. Af­gha­n*in­nen ohne gültiges Visum werden festgenommen und abgeschoben. Wer ohne Papiere angetroffen wird, bekommt an der Grenze den pakistanischen Ausreisestempel in die flache Hand gedrückt.

Besonders hart trifft es Geflüchtete ohne Aufnahmezusage für ein westliches Land. Die Polizei durchsucht aber auch Gästehäuser der GIZ und hat in sechs Fällen Af­gha­n*in­nen aus dem BAP verhaftet und abgeschoben (siehe Infokasten). Anderen wurde gesagt, sie müssten innerhalb von 15 Tagen ein gültiges Visum vorlegen. Das ist unmöglich, denn die Bearbeitungszeit für die Verlängerung ist 30 Tage. Zugleich wurde die Gültigkeit der Verlängerung auf 30 Tage verkürzt.

Ein reißerischer Artikel im Cicero verzögerte das Programm

Kein Zweifel: Pakistans Regierung will die Af­gha­n*in­nen loswerden. Bereits im November 2023 gab es eine große Abschiebungskampagne. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge wurden damals 30.000 Menschen deportiert. Damals blieben Af­gha­n*in­nen im BAP verschont. Das ist jetzt anders.

Das lange Warten auf die Ausreise nach Deutschland zermürbt. Es gibt keine Schule für die Kinder, keine Arbeitserlaubnis. Viele Betroffene entwickeln Depressionen. Wali schläft kaum noch. Anfang März 2023 erschien im rechten Magazin Cicero der reißerische Artikel „Bundesregierung holt Scharia-Richter nach Deutschland“. Die darin enthaltenen Vorwürfe wurden später entkräftet. Auch war verschwiegen worden, dass alle Ju­ris­t*in­nen in Afghanistan auch im vorherigen Regime einige Semester Scharia studieren mussten, weil das afghanische Familienrecht in Teilen darauf beruhte.

Dennoch stoppte die Bundesregierung das BAP zunächst für einige Monate und führte zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen in der Botschaft in Islamabad ein. Seitdem müssen sich alle Familienmitglieder ab 16 Jahren einzeln Interviews unterziehen, was das Programm massiv verzögert.

Diese Interviews sind ein zweischneidiges Schwert: Sie werden von den wartenden Af­gha­n*in­nen herbeigesehnt, weil sie die Voraussetzung sind, um irgendwann ein Visum für Deutschland zu bekommen. Doch sie werden auch gefürchtet, denn vielen Af­gha­n*in­nen wurde nach dem Interview die Aufnahmezusage wieder entzogen – ohne konkrete Begründung.

Bundespolizisten stellen dort Fragen, die oft willkürlich wirken und unklar bleibt, wie sie der Sicherheit Deutschlands dienen. Ein afghanischer Jugendlicher berichtet, dass er gefragt wurde, ob er eine israelische Frau heiraten würde. Eine junge Frau musste sagen, wie ihre Eltern reagieren würden, wenn sie lesbisch wäre. Und eine ehemalige Ortskraft des deutschen Camps Marmal in Masar-i-Scharif wurde gefragt, ob er bereit wäre, seine Religion zu wechseln.

Die Panik geht um

Wer die Aufnahmezusage verliert, muss das GIZ-Gästehaus verlassen und ist auf sich allein gestellt. Aus Angst vor den Taliban wagen viele nicht, nach Afghanistan zurückzukehren. Manchen bleibt jedoch keine andere Wahl: Sie dürfen in Pakistan nicht arbeiten und können das Leben dort nicht finanzieren.

Seit Dezember gab es für Af­gha­n*in­nen keine Charterflüge mehr nach Deutschland

Hamid, dem das passiert ist, sagte: „Es wäre besser gewesen, wir hätten nie eine Aufnahmezusage bekommen. Wir haben nichts mehr in Afghanistan. Warum holen uns die Deutschen zuerst hierher und lassen uns dann fallen?“ Jeder dieser Fälle erzeugt Panik in den Gästehäusern der GIZ. Denn alle fragen sich: „Sind wir die nächsten?“

Seit Anfang Dezember wurden keine Af­gha­n*in­nen mehr per Charter nach Deutschland geflogen. Auch vorher hatte es nur selten Flüge gegeben. Zu der Sorge, aus dem Programm geworfen zu werden und der Frage, ob das Programm nach der Bundestagswahl überhaupt weitergeführt wird, kommt seit dem Jahreswechsel die Angst, von der pakistanischen Polizei festgenommen und abgeschoben zu werden.

„Ich bin so nervös, ich habe solche Angst vor der Polizei!“, sagt Aziza. „Tun die deutschen Behörden irgendetwas für uns?“ Aus Angst vor Verhaftungen verlassen die Af­gha­n*in­nen ihre Unterkünfte nicht mehr. Sie erwarten Hilfe von der deutschen Botschaft, aber es gibt keine direkte Kommunikation.

Von der GIZ kommen nur unverbindliche E-Mails. Darin heißt es lapidar, dass sich die Af­gha­n*in­nen selber um die Verlängerung der Visa für Pakistan kümmern müssen. Die GIZ hilft dabei nicht. Die Nachrichten enden stets mit der Floskel: „Wir bitten Sie um Geduld.“

Hilfe vom Auswärtigen Amt

Zurück nach Pakistan Sechs schutzbedürftige Personen aus dem Bundesaufnahmeprogramm (BAP), die in Pakistan auf ihre Weiterreise nach Deutschland gewartet haben, sind nach taz-Informationen zu Jahresbeginn nach Afghanistan abgeschoben worden. Inzwischen soll es ihnen mit deutscher Hilfe gelungen sein, wieder nach Pakistan zurückzukehren.

Unterstützung Das Auswärtige Amt (AA) teilte auf Anfrage der taz mit, es setze sich bei den pakistanischen Behörden für den Abschiebeschutz der Betroffenen ein, die sich im Ausreiseverfahren befinden. Diese erhielten Unterstützungsschreiben der deutschen Botschaft in Islamabad, um den Stand ihres Visumverfahrens gegenüber den pakistanischen Behörden zu belegen. Dennoch seien die Afghanen selbst für ihre pakistanischen Visa verantwortlich.

3.000 Zusagen Laut AA sind nach dem Fall Kabuls im August 2021 im Rahmen verschiedener Aufnahmeverfahren über 35.000 gefährdete Personen nach Deutschland eingereist. Im Rahmen des BAP seien über 3.000 Aufnahmezusagen erteilt worden, tatsächlich eingereist seien bisher rund 1.000 Personen. „Die Dauer eines Ausreise- und Visumverfahrens ist stark einzelfallabhängig. Je nach Komplexität des Falles und etwaig sich ergebender Fragen […] kann sich das Verfahren verlängern“, so das AA.

Sven Hansen

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Inzwischen beruhigt dieser Satz die Af­gha­n*in­nen nicht mehr. Er lässt ihre Angst nur noch größer werden, denn sie lesen ihn so: „Die GIZ tut nicht für uns, Deutschland lässt uns im Stich.“

* Die Namen aller Af­gha­n*in­nen wurden zu ihrem Schutz geändert.

  • informationsspiegel

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