Kunst über Fotoarchive: „Sich nicht dem Blick verfügbar machen“

taz: Frau Schacht, Sie machen in Archiven historische Fotodokumentationen über die Bedingungen von Textilarbei­terinnen in einst so­zialistischen Ländern aus­findig. In Ihren Ausstellungen zeigen Sie dann Ausschnitte der Archivbilder. Die harte ­Arbeit der Frauen stellen Sie darauf nicht mehr dar. Warum gehen Sie so vor?

Ramona Schacht: Es soll eine Irritation ausgelöst werden. Bei den originalen Fotografien hat mich anfangs verwundert, dass die Frauen so sanft dargestellt wurden und sehr sensibel mit dem Material umgingen. Das steht in einem starken Widerspruch zur Realität in den Fabriken. Dort war es laut, heiß und das Verletzungsrisiko sehr hoch. Die Bilder waren dazu gedacht, die Produktionskraft der sozialistischen Gesellschaft nicht nur zu dokumentieren, sondern zu propagieren.

taz: Sie zeigen mit Ihren Bildausschnitten wiederkehrende Gesten der Frauen in den Fabriken. Welche Bedeutung haben die sich wiederholenden Motive?

Schacht: Als ich angefangen habe, mit den Bildern zu arbeiten, war ich merkwürdig ­vertraut mit den Gesten, der Körperhaltung, wie die Frauen zusammenstanden und agierten. In meinen Bildanalysen geht es um eine Visualisierung eines typischen weiblichen Habitus im Arbeitskontext. Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr sah ich aber auch männliche Blicke auf die abgebildeten Frauenkörper. Die Bilder sind nicht nur Dokumentationen der Arbeit in der Textilindustrie, es sind Inszenierungen. Sie dirigieren und verweisen die Protagonistinnen.

taz: Warum haben Sie sich entschieden, die historischen Fotografien zuzuschneiden und die Arbeiterinnen dadurch zu anonymisieren?

Ramona Schacht

Ramona Schacht, geboren 1989, lebt als Künstlerin in Leipzig. Ihre Serie „Pictures as a promise (p.a.a.p.)“ ist bis zum 30. April 2025 in der Ausstellung „Connecting Threads. Textilproduktion und die Arbeit an ihren Bildern“ im Leipziger Spinnerei Archiv Massiv zu sehen.

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Schacht: Das zielt nicht darauf ab, die Frauen unsichtbar zu machen. Gesichter dominieren oft unsere Wahrnehmung von Bildern. Indem ich den Fokus bewusst auf Körperhaltung, Kleidung und Gestik verschiebe, verlagert sich auch die Wahrnehmung weg von individuellen Biografien und hin zu den strukturellen Bedingungen, unter denen diese Frauen gearbeitet haben. Es geht um ein kollektives Erbe weiblicher Erfahrungen und Erinnerungen, das bis heute unsichtbar geblieben ist. Die Bilder stammen aus institutionellen und patriarchalen Archiven. Sich nicht dem Blick verfügbar zu machen und keine lesbare Identität zu haben, kann auch eine Form der Ermächtigung sein.

taz: Ist auf den Archivfotografien auch sichtbar, dass der Bekleidungssektor einer der wichtigsten Arbeitgeber für Frauen in der DDR war?

Schacht: Schon, aber oft als Randnotiz. Ich würde bei jedem Bild immer fragen, wozu es genutzt wurde. In der Sektion Körper und Produkt sind die Arbeiterinnen nicht nur Trägerinnen von Produkten, sondern auch Trägerinnen einer Ideologie. Letztes Jahr habe ich mich mit der Textilindustrie im Ruhrgebiet auseinandergesetzt. Dort waren fast eine Million Frauen beschäftigt. Aber in den Archiven sind die Hallen nicht zu sehen, in denen sie gearbeitet haben. In den Archiven der ehemaligen sozialistischen Staaten ist die weibliche Sichtbarkeit dagegen gegeben.

taz: Den Fotografien fügen Sie auch einen Holz­kasten mit überdimensio­nierten Dias und Glasvitrinen mit Recherchematerial hinzu. Welche Bedeutung hat das?

Schacht: Während der Archivbesuche, die oft tage- oder wochenlang andauerten, habe ich einen Handlungsakt wahrgenommen. Die Ar­chi­va­r*in­nen stellten mir Boxen auf den Tisch, ich habe die Bilder durchgesehen und die Archivboxen wieder zurückgestellt. Das hat etwas Performatives. Ich habe mich nach einiger Zeit gefragt, wer schaut sich die Geschichten der Frauen nach mir an und wann passiert das? Der überdimensionierte Diakasten verkörpert die Arbeitsweisen im Archiv, das Herausholen und das Neuentdecken. Da entsteht immer ein schöner, spannender Moment.

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