Ungarns Politik gegen queere Menschen: Zwischen Wut und Widerstand

Die Stimme von Luca Dudits klingt ernst. „Viele Menschen sind wütend, andere fühlen sich hoffnungslos und hilflos“, sagt die Aktivistin der ungarischen LGBTIQ+-Organisation Háttér über die Verfassungsänderungen, die am Montag vom Parlament in Budapest beschlossen wurden. In Dudits’ Worten schwingt nicht nur Resignation: „Wir sind entschlossen, weiterhin auf die Straße zu gehen. Auch viele Menschen, die selbst nicht betroffen sind, sagen, dass dies ein Schritt zu weit war.“

Dieser „Schritt zu weit“ ist die inzwischen 15. Verfassungsänderung Viktor Orbáns seit seinem Amtsantritt 2010. Während Ungarn mit wirtschaftlichen Problemen und einem maroden Gesundheits- und Bildungssystem kämpft, kon­zen­triert sich der Premierminister erneut auf eines seiner Lieblingsthemen: die Einschränkung von LGBTIQ+-Rechten.

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Schon seit 2020 können trans Personen in Ungarn ihr Geschlecht rechtlich nicht mehr ändern. Nun erhält dieses Verbot Verfassungsrang. Geschlecht ist demnach als unveränderliche biologische Gegebenheit definiert, die Existenz von trans und intergeschlechtlichen Personen wird ignoriert.

Die zweite, noch weitreichendere Änderung betrifft den sogenannten Kinderschutz. Das Recht des Kindes auf Schutz und Fürsorge hat nun Vorrang vor allen Grundrechten mit Ausnahme des Rechts auf Leben.

Die Agenda von Orbán

Mit dieser Bestimmung kann die Regierung praktisch jede Versammlung der LGBTIQ+-Gemeinschaft untersagen, indem sie behauptet, diese gefährde das Wohlergehen von Kindern. Diese Verfassungsänderung liefert die Grundlage für ein kürzlich beschlossenes Gesetz zum Verbot von Pride-Paraden.

Luca Dudits weist noch auf eine dritte Neuerung hin: Auch das Gleichbehandlungsgesetz wurde geändert. Offiziell ist die Geschlechtsidentität kein geschütztes Merkmal mehr, dessentwegen man nicht diskriminiert werden darf, wenn es um Wohnraum, Dienstleistungen oder Beschäftigung geht.

Die Änderungen passen zu Orbáns Agenda gegen die von ihm so bezeichnete „Woke-Ideologie“. „Wir schützen die Entwicklung von Kindern, bekräftigen, dass ein Mensch entweder als männlich oder weiblich geboren wird, und stehen fest gegen Drogen und ausländische Einmischung“, sagte Orbán nach der parlamentarischen Abstimmung. Auch Polizeibefugnisse wurden ausgeweitet.

Doch es gibt Hoffnung auf rechtliche Gegenwehr. „Gemeinsam mit anderen Organisationen haben wir uns an die EU-Kommission gewandt“, sagt Dudits. Sie fordern einstweilige Maßnahmen, die schnell greifen könnten. Auch eine Delegation von EU-Parlamentariern hat scharfe Kritik geübt und fordert rechtliche Schritte gegen das Pride-Verbot. Die Abgeordneten riefen den Europäischen Gerichtshof dazu auf, das Gesetz vorläufig auszusetzen.

Proteste und Pride Parade

Die Zivilgesellschaft lässt sich nicht einschüchtern. In den vergangenen sechs Wochen gab es zwei bis drei Proteste pro Woche, meist in der Hauptstadt Budapest. Unmittelbar vor der Abstimmung im Parlament versuchten Op­po­si­ti­ons­po­li­ti­ker*in­nen und De­mons­trant*in­nen, die Einfahrt zu einem Parlamentsparkhaus zu blockieren. Die Polizei entfernte sie gewaltsam. Laut der liberalen Oppo­sitionspartei Momentum waren fast 1.000 Polizisten anwesend.

Die aktuelle Verschärfung kommt Luca Dudits zufolge nicht von ungefähr, denn in einem Jahr finden in Ungarn Parlamentswahlen statt. Angesichts des überraschenden Aufstiegs seines Herausforderers Péter Magyar greife Orbán auf bewährte Strategien zurück: Er nehme eine verletzliche Minderheit und stelle sie als Bedrohung für die Nation dar. In der Vergangenheit seien das auch Obdachlose, Migrant*innen, Asylsuchende – und letzthin vor allem die LGBTIQ+-Community gewesen.

Gleichzeitig inszeniere sich Orbán als Einziger, der Ungarn vor dieser Bedrohung schützen könne. „Leider scheint diese Argumentation bei der Kernwählerschaft des Fidesz recht gut zu funktionieren, die gegenüber LGBTIQ+ voreingenommener ist als der Rest der Bevölkerung“, sagt Dudits. Trotz aller Widrigkeiten bleibt der Widerstand ungebrochen. Die Pride-Parade könnte sogar noch größer werden als in den Vorjahren. Sie soll wie geplant am 28. Juni stattfinden. Die Verfassungsänderung könnte sich für Viktor Orbán als politischer Bumerang erweisen.

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