Bar oder Karte: Die Lüge und das Lesegerät

K lassiker: Ich warte im Restaurant auf die Rechnung. Die Bedienung kommt, ich zücke meine Karte und höre nur: „Wir nehmen nur Bargeld.“ Dann grinse ich schief wie der Mann im „Hide the Pain“-Meme und gestehe, dass ich keins dabeihabe.

Ich suche den nächsten Geldautomaten, an dem das Abheben 5 Euro kostet. Da meine Bank kaum Filialen betreibt, habe ich selten Bares.

Alles nicht schlimm. Es triggert mich aus anderen Gründen. Ich glaube, hinter der Obsession des Barzahlens verbirgt sich eine Ideologie: Bargeld steht für etwas, das angeblich verloren geht: das Echte. Lol. Billige Kupfermünzen. Dreckiges Papier. Das soll echt sein? Der Wert des 50-Euro-Scheins liegt nicht im Papier, sondern im Wert, der ihm zugeschrieben wird.

Geld ist eine Lüge, auf die sich mal geeinigt wurde. Um Menschen dafür zu belohnen, Dinge herzustellen, die niemand braucht, aber alle wollen. Davon kaufen sie Brot, das 20-mal mehr kostet als der Weizen darin. Brot, um am nächsten Tag wieder Dinge zu produzieren, die anderen das Gefühl geben, etwas wert zu sein. Wenn sie zahlen können.

Geld ist eine Illusion, ob in Form von Papier oder Plastik. Aber Geld ist nur der Anfang. Lügen durchziehen das ganze Leben. Willst du wirklich wissen, wo der stinkende Biomüll landet, nachdem du ihn entsorgt hast? Willst du den Kaffee anbauen, pflücken, schälen, rösten und mahlen – bevor du ihn in Cafés trinkst, in denen kenianische Kaffeebauern von den Wänden grinsen, um Echtheit zu simulieren? Soll Sex immer nach Schweiß riechen – oder reicht auch ein Porno? Bist du wirklich so krass lässig wie auf Instagram?

Und, Onkel Jürgen, nicht nur die Auto-Tune-Stimme von Taylor Swift ist Fake – auch die Gitarren der ­Beatles wurden schon durch tausend Effekte geschleift, um „echt“ zu klingen.

Die Sehnsucht nach dem Echten ist auch politisch aufgeladen. Besonders laut fordern es jene, die sich echte Grenzen, echte Männer und echte Nationen zurückwünschen. Manche Lügen sind gefährlich. Andere nötig. Ich kann ohne sie nicht leben.

Die Wirklichkeit prasselt stetig auf mich ein. Sie ist hässlich, ungerecht, brutal, will mich für dumm verkaufen. Lügen sind eine Art Filter. Funktioniert nicht jede Gesellschaft nur, wenn sie ihre Lügen glaubt?

Die Lügen gehören niemandem. Sie denken in mir, bevor ich denke, sind unpersönlich. Sie sind ständig auf der Lauer, creepen durch meine Geräte, warten, bis ich in der Nähe bin, bohren sich in meine Haut und meinen Kopf, bis ich allgemeine Ideen mit den eigenen verwechsle. Und Sachen sage, die alle sagen. Manchmal kommen mir alle Gespräche vor wie Playback, nur die Münder bewegen sich noch.

Manchmal verkleiden sich Lügen als „Großer Anderer“. Ein unsichtbares Wesen, auf das Be­am­t*in­nen verweisen, wenn sie – aus Bosheit oder Angst – einen Antrag nicht bewilligen.

Der Große Andere sitzt in Formularen, FAQs und Floskeln wie „Ist nun mal so“. Niemand hat den Typ je getroffen – aber ohne seine fiktive Anwesenheit würde das Gebäude namens Gesellschaft einstürzen.

Das echte Leben findet nicht da statt, wo wir essen, trinken, lieben, arbeiten, denken, schlafen, tanzen. Das echte Leben ist unsichtbar, es steckt in den Glasfaserkabeln und Bildschirmen. Die Welt funktioniert nicht trotz Lügen, sondern ihretwegen.

Also, her mit dem Kartenlesegerät.

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