
Doch das täuscht. Montagabend hat das Berliner Verwaltungsgericht die Zurückweisung von drei somalischen Geflüchteten für unrechtmäßig erklärt. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte solche Zurückweisungen von Asylsuchenden direkt an der Grenze erst vor wenigen Wochen angeordnet. Es war eine der Kernforderungen der Union im Wahlkampf gewesen, die Rückweisungen sollten zum Herzstück der von Kanzler Friedrich Merz (CDU) versprochenen „Asylwende“ werden. All das wankt nun.
Rechtsexpert*innen und Politiker*innen hatten schon lange darauf hingewiesen, dass die Praxis Europarecht breche. Immerhin sieht das Dublin-System vor, dass jeder Asylantrag geprüft werden muss, um herauszufinden, welches Land zuständig ist. Einfach zurückweisen ist nicht vorgesehen. Dobrindt ignorierte solche Einwände. Sein Argument: Die Ankunft Geflüchteter bringe die öffentliche Ordnung in Deutschland in Gefahr. Unter Berufung auf die Notlagenklausel des EU-Arbeitsvertrags trete dann wieder nationales Recht in Kraft, welches Zurückweisungen erlaubt.
All das wischte das Verwaltungsgericht Berlin am Montag vom Tisch. Doch statt nachzugeben, dauerte es nur wenige Stunden, bis Dobrindt ankündigte, die Zurückweisungen beibehalten zu wollen. Der Gerichtsbeschluss beziehe sich lediglich auf den einzelnen Fall der drei Somalier*innen und habe deswegen keine allgemeine Gültigkeit.
Am Dienstag stellte dann auch Kanzler Merz klar, dass seine Regierung an der Praxis festhalten wolle. „Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können“, sagte er beim Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sagte: „Was wir brauchen, ist eine grundsätzliche Entscheidung durch ein Obergericht, die uns Rechtssicherheit verschafft.“ Im Klartext heißt das wohl: Über ein Aussetzen der Zurückweisungen denkt die CSU erst nach, wenn Dobrindt mindestens vor einem Oberverwaltungsgericht verloren hat. Bis zu einer solchen Entscheidung können Jahre vergehen.
In der SPD-Fraktion gab es am Dienstag zwar durchaus Kritik an Dobrindt, doch so richtig scharf fiel die nicht aus. Kein Wunder, die SPD hat den Zurückweisungen im Koalitionsvertrag prinzipiell zugestimmt. Der Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch sagt zum Gerichtsbeschluss zwar: „Man muss diese Entscheidung sehr, sehr ernst nehmen.“ Als Konsequenz daraus forderte er aber nur, dass nun geprüft werden müsse, was noch möglich sei, „um Rechtssicherheit zu schaffen“. Und er sagte: „Was wir uns nicht leisten können, ist, dass diese Fragen auf dem Rücken der Polizisten ausgetragen werden.“
Von den SPD-Minister*innen äußerte sich am Dienstag niemand zu dem Thema, echten Koalitionskrach will offensichtlich niemand riskieren. Besonders das Schweigen der sozialdemokratischen Justizministerin Stefanie Hubig ist auffällig, wirft die Angelegenheit doch durchaus Fragen zum Verhältnis von Exekutive und Judikative auf, ihrem ureigensten Themenfeld.
Harte Worte gab es nur von den SPD-Abgeordneten Ralf Stegner und Hakan Demir. Stegner sagte dem Spiegel, die Union lande nun auf dem Boden der Wirklichkeit. „Das wird für Herrn Dobrindt möglicherweise nicht ohne ein paar politische Schrammen abgehen.“ Demir sagte der taz, aus dem Gerichtsbeschluss gehe hervor: „Pauschale Zurückweisungen von Asylsuchenden sind eine Sackgasse.“ Und zu Dobrindts Beharren auf der Praxis: „Ich halte es für fatal, dass nun das größte Land Europas den Eindruck erweckt, dass es Gerichtsbeschlüsse nicht ernst nimmt.“
Linke und Grüne kritisierten Dobrindts Ankündigung am Dienstag scharf. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte: „Dieser Beschluss ist eine schallende Ohrfeige für Friedrich Merz und seinen nationalen Alleingang.“ Dobrindt müsse seine Anordnung sofort zurücknehmen. Und der rechtspolitische Sprecher der Grünenfraktion, Helge Limburg, sagte der taz: „Die Zurückweisungen müssen jetzt eingestellt werden.“
Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion Clara Bünger schließlich betonte: „Wer geltendes Recht so missachtet, gehört schlicht nicht in ein Regierungsamt.“ Die SPD müsse „sich entscheiden, ob sie diese Praxis weiter deckt oder endlich damit aufhört, verfassungswidrige Politik mitzutragen.“
In all dem Streit um die großen Linien ging derweil das Schicksal der drei Somalier*innen etwas unter, um die es in dem Gerichtsentscheid eigentlich ging. Aus dem Gerichtsbeschluss geht hervor, dass die drei Mitte April über Belarus nach Litauen kamen und anschließend nach Polen reisten. Von dort versuchten sie offenbar mehrmals erfolglos, nach Deutschland einzureisen.
Clara Bünger, Linke
Im Beschluss des Verwaltungsgerichts ging es um einen Einreiseversuch am 9. Mai, also nachdem Dobrindt die Zurückweisungen Asylsuchender angeordnet hatte. Tatsächlich wurden die drei Somalier*innen dann nach der Einreise per Zug nach Frankfurt (Oder) noch am Abend desselben Tages über die Brücke in Frankfurt zurück nach Polen geschickt. Und das, obwohl die Frau unter ihnen angab, minderjährig zu sein und eine Beinverletzung hatte.
Die taz ist in Kontakt mit der Anwältin der drei Geflüchteten. Die Juristin möchte vorerst anonym bleiben und sich zunächst nicht öffentlich zum Fall äußern. Eine Aussage gibt sie am Ende aber doch frei. „Dobrindts Festhalten an den Zurückweisungen ist absurd.“







