Regenwasserdiebstahl: 15 Cent geklaut!

V ielen von uns ist der Karneval als „fünfte Jahreszeit“ bekannt. Doch es gibt sogar noch eine „sechste Jahreszeit“, die stets in die Hauptferienzeit im August fällt: Was die Italiener unter „Ferragosto“, die Astronomen unter „Perseiden“ und die Meteorologen unter „Hundstage“ verbuchen, ist für Jour­na­lis­t:in­nen das „Sommerloch“.

Dort fällt alles hinein, was eigentlich nicht berichtenswert ist. Doch weil alle verreist sind oder im Schatten dösen, rücken nunmehr die Ereignisse von der Ersatzbank in den Vordergrund: unbelegte Krokodilssichtungen in Baggerseen, umgefallene Reissäcke in China, oder welches bedauernswerte Love Interest Bundestagspräsidentin Julia Klöckner über ihren charakterlichen Zustand hinwegzutäuschen vermochte. Kurz: ­Lügen, Klatsch, Lappalien.

Schade um die Druckerschwärze, möchte man jedes Jahr aufs Neue meinen, und Friede den für das Papier gestorbenen Bäumen. Nur zum Glück ist in diesem Jahr alles anders, denn im Landkreis Tuttlingen (Baden-Württemberg) wurde doch tatsächlich eine 51-Jährige erwischt, die sich in dunkler Nacht unbefugt aus dem Regenfass im Garten ihres 38-jährigen Nachbarn bediente. Und zwar in mehreren Raubzügen mit der Gießkanne, insgesamt 40 Liter im Wert von 15 Cent. Der Bestohlene zeigte die Frau an. Die zuständige Polizeidienststelle ermittelt nun, „auch wenn der Schaden gering“ sei.

Wem gehört das Regenwasser?

Wie sich der Wert des Wassers bemisst, weiß uns der zuerst berichtende Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) nicht zu sagen, oder er findet keinen Raum dafür, weil eben gerade in diesem Sommerloch überraschend viel Schwerwiegendes passiert. Denn neben dem aufsehenerregenden Regenwasserdiebstahl hat sich auf der Alb eine Wespe in eine eigentlich noch unreife Birne gebohrt, in Heilbronn hat ein verrückter Punk die Kehrwoche nur oberflächlich eingehalten, und auf dem Bodensee haben zwei homosexuelle Blesshühner unter den Augen tausender Schaulustiger – darunter dem Vernehmen nach auch zahlreiche Kinder! – über mehrere Tage hinweg auffällig miteinander geturtelt.

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Doch im Zentrum des Interesses steht der Regenwasserklau. Mit aller Macht versucht die Pressestelle der Polizei Konstanz der aufwallenden Kommentarflut einer ob des hochkomplexen Geschehens offenkundig stark verunsicherten Bevölkerung Herr zu werden.

Viele wollten wissen, ob Regenwasser überhaupt jemandem gehöre. Schließlich hätte jede Antwort auf die Frage extreme Konsequenzen für unser generelles Zusammenleben. Gehört dann aller Regen dem besagten Nachbarn, und wenn ja, warum? Heißt der Petrus oder Nestlé oder wie? Das ist doch ungerecht. Und darf man dann bei schlechtem Wetter noch nass werden, oder ist das auch schon widerrechtliche Aneignung?

Nein, denn in dem Moment, da das Regenwasser aufgefangen wird, gilt es nicht mehr als Allgemeingut. Dazu genügt ein eigens aufgestelltes Fass, eine Tasse, ja schon ein Fingerhut. Darauf wies die Polizei unter dem entsprechenden Facebook-Post nun ausdrücklich hin.

Ein Lehrstück, kein Sommerlochthema

Die schwäbische Volksseele kocht. Einige solidarisierten sich gar mit der Kriminellen, was kein gutes Licht auf das Rechtsempfinden unserer Bevölkerung hier wie im Allgemeinen wirft. Denn wenn der Regenwasserdiebstahl verharmlost oder gar, analog zu den Narcocorridos, die zu Ehren der mexikanischen Drogenbanden gespielt und gesungen werden, verklärt und romantisiert wird, erodiert die Gesellschaft und wird unser Rechtssystem grundsätzlich infrage gestellt. „Nur zu! Besingt die Wasserdiebin doch gleich als Heldin“, möchte man diesen Tröpfen zurufen. Ein echter Gießkannocorrido. Es wäre fast lustig, wenn es eben nicht so ernste Konsequenzen hätte.

Denn heute ist es womöglich „nur“ (?!?) der Diebstahl von Regenwasser. Doch schon morgen kann jeglicher Besitz betroffen sein, dazu die Unversehrtheit von Leib und Leben. Vollkommene Straflosigkeit bei Raub und Körperverletzung, Mord und Totschlag wäre die logische Folge.

Was also eine unerfahrene Leserin vorschnell als typisches Sommerlochthema abtun mag, ist in Wahrheit doch ein Lehrstück, das so unendlich viel über uns aussagt und dabei sämtliche Wissensgebiete abdeckt, von Philosophie, Jura und Wasserwirtschaft bis hin zu Soziologie, Psychologie und Religion.

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