Linken-Bashing in der „Zeit“: Vom bürgerlichen Drang, über Mitte und Norm zu herrschen

O b die Linken „selber schuld“ seien, fragte die Zeit auf ihrem Titel Ende August, und der Haupt-Essay im Blatt antwortete mit Ja. Interessant war aber weniger, dass hier ein früherer Feuilleton-Chef aufschrieb, dass die Linken den Aufstieg der Autoritär-Nationalen und Rechts­radikalen erst verursacht hätten – sondern vor allem, wie er das tat.

Die These, durch ihre Konzentration auf Emanzipation ( „Identitätspolitik“, „Wokismus“) statt Umverteilung hätten die US-amerikanischen Demokraten Donald Trump die WählerInnen in die Arme getrieben, steht seit der 2016er Trump-Wahl im Raum. Die Diskussion hat in bald neun Jahren schon viele Umdrehungen erlebt. Unter anderem ist eine komplette rechtspopulistische bis rechtsextreme Medien- und Politikindustrie daraus entstanden, antilinke und antiökologische Ressentiments zu kapitalisieren. Die Grünen gehen allem, was nach Kulturkampf riecht, geradezu zwanghaft aus dem Weg, nichts Privates ist hier noch politisch. Gegendert wird ganz allgemein nur noch hauchzart und hyperelegant.

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Drüben hat man halt keinen Bock auf Planetenrettung

Darum ist es umso erstaunlicher, dass der Grandseigneur des Zeit-Feuilletons Jens Jessen zur Beschreibung der Lage bloß alle herumliegenden Klischees zusammenfegt und meint, hiermit sei der Sache Genüge getan. Und die Sache lautet: zu definieren, wo Mitte und Norm sind (beim Autor, klar) und wo die Ränder.

Jessen zufolge erklären die Grün-Gesamtlinken im „Bewusstsein ihrer moralischen Überlegenheit“ alle zu Klimasündern, die sich nicht vegan ernähren und kein Lastenfahrrad fahren. Und dann: „Nicht grillen! Nichts aus Leder tragen, keinen ‚überzüchteten‘ Rassehund, sondern einen Mischling halten, muslimischen Familiensitten keine Frauenverachtung vorwerfen, sondern nur dem ‚weißen‘ Mann. Kinder sollten im Wickeltuch am Leib getragen werden, vorzugsweise vom Vater. Ein Waldorfkindergarten wird empfohlen.“

wochentaz

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Bestätigung des eigenen Schablonensystems

Das geht lange so weiter, und ich muss es so ausführlich zitieren, damit deutlich wird, dass hier einer so schreibt, als hätte er noch nie jemand Ökologisch-Linkes getroffen. Oder aber in der Zeit laufen nur sehr spezielle VertreterInnen des gemeinten Spektrums davon herum (es wirkte bislang nicht so, und es hat in der Zeit ja auch schon jemand geantwortet).

Vielleicht sollte man den Text deshalb nicht so ernst nehmen. Auch in der taz haben wir ihn ja schon kommentiert (Tenor: Dieses Bürgertum wird den Kampf gegen die AfD nicht führen). Doch beweist der Essay Wort für borniertes Wort, wie wenig Mühe es auch in den intellektuellen Zentralen der Bourgeoisie kostet, die Versuche eines umweltverträglicheren, solidarischeren, insgesamt nachhaltigeren Lebens zu diskreditieren. „Lastenrad“ steht dann für Umerziehungslager, „vegan“ für Bekehrungswut, und so weiter. Das bloße Aufzählen der Begriffe reicht schon, um weiterzuzüchten, was wir inzwischen „Reaktanz“ zu nennen gelernt haben: die trotzige Abwehr der Idee, dass Klimaschutz, Tierschutz, Menschenschutz möglich seien.

Auf diese Weise dreht sich die Debatte, wie viel Klimaschutz, wie viel Gleichstellung, wie viel Fortschritt also (ich bestehe einfach auf diesem Wort) gewünscht und durchsetzbar sind, lediglich in Abwertungs- und Abgrenzungsspiralen weiter. Die Stellungnahmen bleiben dann rein strategisch, Zugeständnisse werden nicht gemacht. Öffentliche Orte, um sich zwischendurch darüber auszutauschen, was denn vielleicht wirklich einmal ein Exzess des guten Willens auf linker Seite gewesen sein könnte, bleiben rar gesät.

Denn drüben, wo man halt keinen Bock auf Veränderung oder Planetenrettung und dergleichen hat und nur auf Bestätigung des eigenen Schablonensystems wartet, tropft immer schon der Geifer.

  • informationsspiegel

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