Ende des Bürgergelds: Der SPD fehlt eine echte Gerechtigkeitserzählung

N un heißt das Bürgergeld also bald „neue Grundsicherung“, und die SPD gewinnt endlich wieder Wahlen. So schlicht stellt sich manche So­zi­al­de­mo­kra­t*in die Welt vor. Das bei vielen Menschen unbeliebte Bürgergeld halten einige inzwischen für den entscheidenden Faktor, der zum Verlust des Kanzleramts führte. Also opfert man den Namen und einen Gutteil des eigenen, lange erarbeiteten und fachlich begründeten Konzepts dem rechten Zeitgeist und hofft, dass die Wäh­le­r:in­nen das belohnen. Es wird nicht passieren.

Denn den Sozialdemokraten mangelt es nicht nur an Rückgrat. Ihnen fehlt auch eine eigene Fortschritts- und Gerechtigkeitserzählung. Es gibt derzeit kein Projekt, das die Menschen mit der SPD verbinden und für dessen Verwirklichung es unbedingt ei­ne*n sozialdemokratische Kanz­le­r*in bräuchte. Parteichef Lars Klingbeil hatte noch im September von einem „gerechten Gesamtpaket“ gesprochen und erklärt, wenn es zu Veränderungen beim Sozialstaat komme, müssten auch Leute mit sehr hohen Einkommen und Vermögen ihren Beitrag leisten. Pustekuchen!

Die SPD hat keinerlei Gegenleistungen dafür verlangt, dass die Union das Bürgergeld entsorgen darf und der Staat Arbeitslosen mit neuer Härte begegnet: strafferen Sanktionen bis hin zur kompletten Streichung aller Leistungen, selbst der Miete. Fast zwei Millionen Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen sind übrigens Kinder und Jugendliche – ob der kinderliebe Kanzler dann auch weint, wenn einige von ihnen aus dem Kinderzimmer in die Obdachlosenunterkunft umziehen? Oder sagt er sich: Selbst schuld, wenn die Eltern notorische Terminschwänzer sind?

Die SPD hält sich lediglich zugute, noch Schlimmeres verhindert zu haben. Als „Partei des kleineren Übels“ verspottete Kurt Tucholsky die Sozialdemokraten schon 1932 – sehr verändert haben sie sich seitdem nicht. Vieles in der Debatte über das Bürgergeld erinnert an die nuller Jahre: Auch damals steckte Deutschland in einer Rezession, die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen stieg. Die Schuld an den wirtschaftlichen Problemen schob man gestern wie heute den Beschäftigten zu und jenen, die der Arbeitsmarkt ausgespuckt hatte. Was die kosteten! Kurz vor der Jahrtausendwende erschien ein Papier, das sich wie eine Ouvertüre zu den Sozialreformen der Agenda 2010 las: Man müsse das „Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln“.

Immer wieder dieselben Fehler

Klingt nach Christian Lindner, die Autorenschaft beanspruchten aber zwei Sozialdemokraten: Gerhard Schröder und sein Labour-Kumpel Tony Blair. Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit seien besser als keine Arbeit, tönten sie. Als Kanzler senkte Schröder denn auch Steuern für Unternehmen und Reiche, weitete den Niedriglohnsektor aus und führte mit Hartz IV eine Grundsicherung ein, die arbeitslose Menschen zwang, jeden Bullshitjob anzunehmen. In nur einem Jahr konnte man so vom Facharbeiter mit Haus und Garten zum Callcentermitarbeiter in der Platte werden. Viele Menschen kehrten der SPD enttäuscht den Rücken.

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Die Wahl 2005 ging verloren, die Sozialdemokraten brauchten anderthalb Jahrzehnte, um wieder einen Machtanspruch zu stellen. Ein neues Sozialstaatskonzept mit einem deutlich höheren Mindestlohn und die Überwindung von Hartz IV hin zum Bürgergeld mit „mehr Verständnis und Respekt“ halfen dabei. Die SPD erschien im Wahljahr 2021 kurz mal wieder als eine Partei, die jene stärkt, die für Lohn arbeiten gehen und die Schwächsten dabei nicht zurücklässt.

Ja, es gibt Bürgergeldbezieher:innen, die Termine schwänzen. Und auch solche, die nebenbei schwarzarbeiten. Beides wird bereits jetzt geahndet, Letzteres ist illegal. Wer bei Schwarzarbeit erwischt wird, dem drohen hohe Bußgelder bis hin zu Freiheitsstrafen. Aber das Wichtigste: Das ist nicht die Mehrheit. Die allermeisten Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen – und das bestätigen die Jobcenter – bemühen sich und machen mit. Dass die Arbeitssuche schwierig ist, liegt an anderen Faktoren: fehlendem Personal in den Jobcentern, der schwachen Konjunktur und einem Arbeitsmarkt, der nicht gerade auf Menschen wartet, die keinen Berufsabschluss haben, schlecht Deutsch sprechen, älter sind oder gesundheitlich nicht fit. Ein Großteil der knapp zwei Millionen erwerbsfähigen Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen hat mindestens zwei solcher „Vermittlungshemmnisse“.

Aber auch jene, die heute noch gute Jobs haben, könnten, wenn ihre Branchen weiter kriseln, in zwei, drei Jahren auf die neue Grundsicherung angewiesen sein. Dass sie der SPD diese danken, ist nicht zu erwarten. Vielleicht erfindet die SPD ja dann das „Respektgeld“. Aber auch das könnte ihr nichts mehr nützen.

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