Präsidentschaftswahl in Chile: Die Linke und die extreme Rechte in der Stichwahl

Es dröhnt Cumbia-Musik aus großen Lautsprechern im Barrio París-Londres im Zentrum von Santiago, wo das Wahlkampfteam der linken Präsidentschaftskandidatin Jeannette Jara am Wahltag eine Bühne aufgebaut hat. Gegen 20 Uhr ist klar: Sie wird gegen den rechtsextremen Kandidaten José Antonio Kast in der Stichwahl am 14. Dezember antreten.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die ehemalige Arbeitsministerin des amtierenden Präsidenten Gabriel Boric auf 27 Prozent der Stimmen, dicht gefolgt von José Antonio Kast mit 24 Prozent. An dritter Stelle steht die Überraschung des Tages: Der Rechtspopulist Franco Parisi erhielt fast 20 Prozent und überholte damit den Rechtslibertären Johannes Kaiser, der dem argentinischen Präsidenten Javier Milei nahesteht.

Hunderte Menschen, vor allem Frauen und junge Personen, sind zu der Veranstaltung von Jeannette Jara gekommen, um die Präsidentschaftskandidatin, die für die Kommunistische Partei innerhalb eines linken Wahlbündnisses antritt, zu sehen. Aber Anlass für eine ausgelassene Feier gibt es nicht. Zu gering ist der Abstand zwischen ihr und dem Rechtsextremen José Antonio Kast.

Um mit einer guten Basis in die Stichwahl zu ziehen, hätte Jara mehr als 30 Prozent der Stimmen erzielen müssen – was in etwa den Zustimmungswerten von Präsident Gabriel Boric entspricht. Die 23-jährige Studentin Millaray Saez macht sich Sorgen. „Ich habe Angst vor José Antonio Kast. Er ist eine Gefahr für Chile“, sagt sie. Die Studentin befürchtet, dass Kast, falls er die Stichwahl gewinnen sollte, autoritär regieren und Frauenrechte abschaffen wird.

Rechte Kan­di­da­t*in­nen kamen zusammen auf 70 Prozent

Jeannette Jara betont bei ihrer Rede die Bedeutung der Demokratie, spricht von Hoffnung und einer besseren Zukunft. „Wir sind ein großartiges und großzügiges Land, das von Solidarität geprägt ist und eine vielversprechende Zukunft vor sich hat“, sagt sie. Und sie richtet sich an die Wäh­le­r*in­nen der Mitte-Rechts-Kandidatin Evelyn Matthei und die des Rechtspopulisten Franco Parisi. Denn sie sind es, die sie überzeugen muss, um die Stichwahl zu gewinnen. „Wir müssen zuhören und Verständnis zeigen. Was Franco Parisi erreicht hat, verdient unseren Respekt und unseren Applaus“, sagt sie.

Obwohl Jara bei diesem ersten Wahldurchgang die meisten Stimmen erhielt, kamen die rechten Kan­di­da­t*in­nen Kast, Kaiser und Matthei zusammen auf 51 Prozent der Stimmen, was Kast für die Stichwahl starkmacht. Rechnet man die Unterstützung von Franco Parisi dazu, wären es sogar 70 Prozent. Aber es ist unklar, wie sich seine Wählerschaft in der Stichwahl orientieren wird.

Parisi, ein Ökonom, der bereits zum dritten Mal kandidiert, ist der Gründer und Vorsitzende der Partido de la Gente (übersetzt etwa: Partei der einfachen Leute). Er fährt einen populistischen „Anti-Establishment“-Diskurs und richtet sich an die Wähler*innen, die sich weder mit linken noch mit rechten Parteien identifizieren können. „Chile ist weder faschistisch noch kommunistisch“, sagte er immer wieder im Wahlkampf. Nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses sagte er außerdem weder Jara noch Kast seine Unterstützung zu.

Notstandsregierung nach Pinochet-Vorbild

Jara hat keinen einfachen Wahlkampf vor sich. Wenn sie die Stichwahl am 14. Dezember gewinnen will, muss die Wäh­le­r*in­nen überzeugen, die über das Regierungslager hinausgehen. Dafür muss sie sich von Boric abgrenzen, aber gleichzeitig ihre Erfolge als Arbeitsministerin hervorheben.

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Kegenkandidat Kast will eine Notstandsregierung nach Pinochet-Vorbild

Sie muss gegen die Angstkampagnen von José Antonio Kast angehen, der sich als Retter eines Landes vor dem Abgrund inszeniert und einfache Antworten auf komplexe Probleme gibt, indem er die Migration und die Boric-Regierung für alle Probleme des Landes verantwortlich macht.

Jara muss politikverdrossene und frustrierte Menschen erreichen, die sich mit keiner Partei identifizieren und Angst davor haben, auf der Straße ausgeraubt zu werden oder ihre Arbeit zu verlieren. Umfragen zufolge stimmt mehr als die Hälfte der Chi­le­n*in­nen der Aussage zu: „Es ist egal, wer regiert, ich muss trotzdem zur Arbeit gehen“.

Sollte Kast die Stichwahl gewinnen, wird er Chiles hart erkämpfte demokratische Strukturen schwächen und abbauen. Er hat eine Notstandsregierung für Chile versprochen, deren Prioritäten Sicherheit und Wirtschaftswachstum sein sollen – ganz nach dem Vorbild von Diktator Augusto Pinochet. Er will individuelle Freiheiten und Frauenrechte einschränken und nach seinen ultrakonservativen Vorstellungen umgestalten. Kaiser und Matthei haben ihm bereits ihre Unterstützung zugesagt. Klar ist: Die Rechte wird all ihre Kräfte bündeln, um die Wahl von Jeannette Jara zu verhindern.

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