Experte über Aufrüstung Skandinaviens: „Wir können uns nicht auf der Nase rumtanzen lassen“

taz: Herr Allers, auf der Berliner Sicherheitskonferenz wird diese Woche die Sicherheitslage in Nordeuropa diskutiert. Wie würden Sie die Situation aktuell beschreiben?

Robin Allers: Die Sicherheitslage hat sich sehr grundlegend verändert. Durch die russische Aggression und den Konflikt mit dem Westen allgemein sieht Russland jetzt auch die nordischen Länder als „unfreundliche Staaten“ an. In Nordeuropa gilt jetzt das, was man auch in Deutschland sagt: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“

taz: Welche Rolle spielt der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden 2023 und 2024?

Allers: Dadurch hat sich die ganze Sicherheitsarchitektur im Norden verändert. Die Länder können jetzt auf eine ganz neue Art und Weise zusammenarbeiten, können im Nato-Rahmen gemeinsam planen, nachrichtendienstliche Informationen austauschen und Übungen durchführen. Die neue Lage fordert natürlich auch die nordischen Länder heraus, etablierte Positionen zu überdenken. Norwegen etwa hat immer diese selbst auferlegten Beschränkungen gehabt. Seit 1949, also als es der Allianz beigetreten ist, war ein wichtiges Signal an die Sowjetunion und später an Russland, dass von Norwegen keine Bedrohung ausgeht. Zum Beispiel sollte keine alliierte militärische Aktivität östlich des 24. Längengrads stattfinden, in der Nähe von Russlands strategischen Atomkapazitäten und Nordmeerflotte. Diese Beschränkungen sind aber selbst auferlegt. Norwegen kann sie also auch selbst ändern.



Bild: Foto: IFS

Robin Allers

ist Sicherheits- und Verteidigungsexperte mit Fokus auf Norwegen, Deutschland und die EU. Er forscht und lehrt an der Verteidigungshochschule der norwegischen Streitkräfte in Oslo.

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taz: Tut es das nun?

Allers: Es ist weiterhin Teil der norwegischen Sicherheitspolitik, das Gleichgewicht von Abschreckung und Beruhigung im Prinzip beizubehalten. Aber die neuen Nato-Partner Finnland und Schweden haben diese Restriktion nicht. Norwegen kann also nicht einfach sagen, wir machen keine gemeinsamen Übungen östlich des 24. Längengrads. Es bleibt wichtig für die norwegische Regierung, Russland gegenüber zu zeigen: Wir werden jetzt nicht zum Aufmarschgebiet für die Allianz in Nordeuropa. Gleichzeitig muss Oslo den Abschreckungsbereich hervorheben und sagen: Wir üben hier nach wie vor ganz transparent, aber wir können uns auch nicht auf der Nase rumtanzen lassen.

taz: Eine Frage, die ja ganz Europa beschäftigt, ist, wie sehr man sich eigentlich noch auf die USA verlassen kann in Zeiten von Trump. Hätte man früher drauf kommen können, dass man in zu großer Abhängigkeit von den USA steht?

Allers: Norwegen ist in dem gleichen Dilemma wie die EU-Mitgliedsstaaten. Zu sehen, wie die Trump-Regierung vorgeht, hat auch Norwegen schockiert, vor allem die Aussage, dass die Europäer selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen. Norwegen hat sich wie die meisten anderen Länder in jeder Hinsicht sehr auf die amerikanische Sicherheitsgarantie verlassen. Das Land liegt an einer strategisch sehr wichtigen Stelle – Russland hat nicht so viele Orte, von denen aus es mit seinen U-Booten von seinen Häfen auf der Kola-Halbinsel in den Nordatlantik kommen kann. Deshalb geht man davon aus, dass die Amerikaner grundsätzlich Interesse daran haben, sich weiter in dieser Region zu engagieren. Aber plötzlich stellt man sich auch die Frage: Ist das wirklich so?

taz: Wie kann man sich auf diese neue Art Unwägbarkeit vorbereiten?

Allers: In Norwegen achtet man nun noch mehr darauf, wie man sich bilateral an wichtige europäische Alliierte bindet, also etwa Großbritannien, Deutschland, Niederlande, Polen. Etwa mit langfristigen, sogenannten strategischen Partnerschaftsabkommen, wie bei der Anschaffung neuer U-Boote in Kooperation mit Deutschland und zuletzt dem Fregatten-Auftrag an Großbritannien. Die anderen skandinavischen sowie die baltischen Länder sind gezwungen, sich vor allem auf die Sicherheitslage im Ostseeraum zu fokussieren.

taz: Welche Rolle spielt Norwegen da?

Allers: Norwegen hatte traditionell zwei wichtige Rollen in der Nato. Die nachrichtendienstliche Überwachung zwischen der Barentssee und dem Nordatlantik, und das wird weiterhin wichtig bleiben. Die andere wichtige Rolle ist die des Aufnahmelandes für alliierte Verstärkung, also eine der wichtigsten Rollen bei einer Krise in Europa oder an der Nato-Nordflanke. Verstärkung käme dann in Norwegen an. Wenn man nun davon ausgeht, dass die Ostsee in einer Krisensituation unzugänglich ist, kommt Norwegen eine wichtige Rolle als Transitland zu. Durch den Nato-Beitritt seiner Nachbarn muss Norwegen jetzt also einen neuen Blick auf die ganze skandinavische Halbinsel haben.

taz: Wenn die Ostsee unzugänglich wäre, wie ginge es dann dem Baltikum?

Allers: Man würde dann auch von Schweden und Finnland unterstützen müssen. Die Nato hat neue Pläne aufgestellt, in denen Schweden und Finnland gemeinsam mit den anderen nordischen Staaten im Nordwesten der Allianz integriert sind. Das beunruhigt natürlich die Balten, nach dem Motto: Kümmert ihr euch nicht mehr um uns? Es ist wichtig für die baltischen Länder, dass man den Ostseeraum als Gesamtes denkt.

Welche Rolle nimmt Dänemark ein?

Allers: Dänemark ist auch ein sehr interessanter Fall. Nicht nur, dass die Dänen so viel aufrüsten und sehr aktiv in der Unterstützung der Ukraine sind. Sie haben wieder entdeckt, dass sie auch ein arktisches Land sind. Über die nordische Zusammenarbeit als auch im gesamten europäischen Kontext sind sie auf einmal ein aktiver Partner für die kollektive Sicherheit geworden.

taz: Dänemark ist wohl auch durch Trumps Grönland-Ambitionen aufgewacht?

Allers: Ja. Es gibt dieses berühmte Foto von Mette Frederiksen, mit Finnlands Präsident Alexander Stubb, Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre und Schwedens Ulf Kristersson an ihrem Küchentisch, wo sie sich nach Trumps Grönland-Aussagen getroffen haben. Es gibt ein neues Interesse auch an nordischer Zusammenarbeit. Aber die muss immer zusammen mit den wichtigsten europäischen Prozessen gedacht werden und mit der Frage, wie man gleichzeitig die USA interessiert hält.

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