Afrika-Cup in Marokko: Ruhe vor den Stadien

Brahims kleines Business steht am Straßenrand. Der 36-Jährige steht mit seinem Auto in einer kleinen Parkbucht zwischen Marokkos Hafenstadt Tanger und der westlich gelegenen Kleinstadt Fnideq und hofft darauf, dass möglichst viele der Vorbeifahrenden Lust auf einen Kaffee haben. Den braut er mit einer in den Kofferraum gebauten Espressomaschine – 10 Dirham kostet ein Becher, umgerechnet etwa ein Euro. „An guten Tagen werde ich etwa 20 Kaffee los“, erklärt er.

Seine vierköpfige Familie kommt über die Runden, weil sie ein paar Hühner hält und etwas Gemüse anbaut. Eng wird’s für Brahim und seine Leute, wenn jemand krank wird oder sich ernstlich verletzt. Wer im Krankenhaus behandelt werden will, muss erst einmal Bares auf den Tisch legen. „Dann schmeißt immer die ganze Verwandtschaft zusammen, anders geht’s nicht“, erklärt er.

Am 21. Dezember startet der Afrika-Cup in Marokko, das größte und wichtigste Sportereignis des Kontinents. Alle freuen sich drauf so wie auf die Fußball-WM 2030, die Marokko mit Spanien und Portugal gemeinsam ausrichten wird. Auch Brahim ist voller Vorfreude. Aber er fragt sich wie so viele andere in Marokko: Sind die Milliarden, die das Land für Stadien und die dazugehörige Infrastruktur ausgibt, wirklich gut angelegt?

Neun Stadien in Städten wie Rabat, Casablanca, Tanger, Fes und Agadir wurden neu gebaut oder aufwändig renoviert. Gutachten und Schätzungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Höhe der Investitionen betrifft. Sie werden irgendwo zwischen 2 und 3 Milliarden Euro liegen.

Derlei Investitionen haben im Herbst zu den „GenZ 212“-Protesten geführt. Vorwiegend junge Leute – organisiert über Plattformen wie Discord, Tiktok und Instagram – gingen vor allem in den Metropolen Rabat und Casablanca auf die Straßen. Mit Slogans wie „Keine Weltmeisterschaft, Gesundheit geht vor“ und „Wir wollen Krankenhäuser, keine Fußballstadien“ protestierten sie gegen den Kurs, Fußballprojekten den Vorzug vor der dringend nötigen Reform des Gesundheits- und Bildungssystems zu geben.

Brahim hat an diesen Protesten nicht teilgenommen, sie haben ihm aber gefallen. „Die jungen Leute haben doch recht“, sagt er. „Unsere Regierung sollte ihnen zuhören. Stattdessen haben sie Demonstranten festgenommen und ins Gefängnis gesteckt.“ Tatsächlich hat die Polizei mit willkürlichen Massenverhaftungen reagiert, an einigen Orten ist es zu Gewalt gekommen, die zum Tod von drei Demonstranten geführt hat.

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Die Verhaftungen haben Wirkung gezeigt

Rechtsanwältin Nadia Bakkali

Seither ist es still geworden um die „GenZ 212“-Bewegung. Man nehme sich eine Pause, um die Strategie zu überdenken, ist aus den Reihen der Widerständler zu hören. Tatsächlich scheinen die Organisatoren auch durch die Verhaftungen eingeschüchtert und geschwächt worden zu sein.

Das glaubt auch Rechtsanwältin Nadia Bakkali aus Rabat. Sie glaubt: „Die Verhaftungen haben Wirkung gezeigt und sicherlich eingeschüchtert.“ Auf der anderen Seite hätten die Demonstrierenden aber auch die Reaktion von König Mohammed VI. wahrgenommen, der ihnen teilweise recht gegeben und Verbesserungen versprochen hat: „Das Wort des Königs hat hier in Marokko enormes Gewicht. Die Leute – auch die jüngeren – verehren ihn. Er ist quasi unantastbar“, erklärt Nadia.

Der marokkanische König hat stets das letzte Wort, wenn es um wichtige Entscheidungen im Land geht. Zwar werden die Alltagsgeschäfte von einer gewählten parlamentarischen Regierung geleitet, doch wenn es um weitreichende Entscheidungen und Beschlüsse geht, zählt allein das Wort von Mohammed VI.

Hinzu komme die Kraft des Fußballs, denkt Nadia. „Ganz kurz nach den Protesten hier in Rabat im Oktober hatte die marokkanische Nationalmannschaft ein WM-Qualifikationsspiel gegen Kongo, das sie mit 1:0 gewonnen hat. Da wurde im Land gefühlt nur noch über Fußball geredet und die Demonstrationen sind thematisch plötzlich ins zweite Glied gerückt.“

War es das also schon mit der GenZ-Revolte in Marokko? Es ging schließlich um gewaltige Forderungen wie hochwertigere Bildung, Gesundheitsversorgung, bezahlbaren Wohnraum, besseren öffentlichen Nahverkehr, Verbesserung von Löhnen und Renten sowie mehr Arbeitsplätze für junge Leute. „Die Bewegung war gewaltig und hat uns hier im Land schon ziemlich durchgeschüttelt. Ich glaube nicht, dass die Bewegung einfach so wieder gestorben ist“, sagt Nadia Bakkali.

Und Brahim? Er hofft auf das Durchhaltevermögen der jungen Leute: „Ich wünschte, es würde sich wirklich etwas verbessern im Land. In den großen Städten wird jede Menge investiert. Aber hier bei uns auf dem Land passiert nichts. Wir fühlen uns irgendwie im Stich gelassen.“

  • informationsspiegel

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