Berichterstattung über Anti-AfD-Proteste: Freiheit verpflichtet

W irft einer der reichweitenstärksten Jour­na­lis­t*in­nen selbstkritische Fragen auf zur Verantwortung der Medien für die aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft, ist das ein gutes Zeichen.

Noch besser, wenn er auch den Vize-Chefredakteur eines der reichweitenstärksten und polarisierendsten Medien des Landes danach befragt, Paul Ronzheimer von der Bild. Bitter jedoch, wenn selbstkritische Antworten darauf ausbleiben oder reichlich dünn ausfallen.

So passiert in der Markus-Lanz-Talkshow am Dienstag. Ein Schwerpunkt: die Proteste gegen die Gründung der AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ am vergangenen Wochenende in Gießen. Genauer, ein Vorfall, der sich dort ereignete: Als Ronzheimer mit einem Kamerateam für die Sat1-Sendung „Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?“ dabei war, während einer der vielen Demonstrationen gegen den Kongress der Rechtsextremisten Interviews zu führen, sei er von einigen Menschen erkannt und bepöbelt worden, erzählt er. Nach einer Durchsage von einem Lautsprecherwagen aus sei die Sache besonders ungemütlich geworden.

Eine Person verkündete, dass es Ronzheimer sei, der vor Ort gerade um Interviews bitte. Und dass die Demonstrierenden es sich überlegen könnten, ob sie mit ihm sprechen wollten. Dann fügte die Person hinzu, die Bild-Zeitung habe bei der Demo nichts zu suchen, weil sie „im Interesse der großen Konzerne den Boden bereitet für eine Koalition von CDU und AfD“.

Worüber man hätte reden können

Immer mehr Leute hätten dann gerufen „Haut ab“, „Nazis raus“, „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“, so Ronzheimer. Ein Reden mit den Menschen sei nicht mehr möglich gewesen. Als das Team die Dreharbeiten habe abbrechen wollen, seien ihnen viele gefolgt. Die Polizei habe das Team schließlich auf das Gelände der Stadtwerke eskortiert und für eine Stunde isoliert.

Bei Lanz werden Videos eingespielt, die Teile des Vorfalls belegen. Nach Minuten im Dialog dazu mit Ronzheimer fragt Lanz die „The Pioneer“-Journalistin Karina Mößbauer, „ob wir [die Medien] in irgendeiner Form möglicherweise Fehler gemacht haben, Dinge falsch gemacht haben, in den letzten zehn Jahren, im Umgang miteinander?“

Davon ausgehend hätte man über vieles reden können. Über toxische Praktiken wie „rage bait“, die nicht wenige Medienhäuser anwenden, um in Zeiten sozialer Medien auf einem immer umkämpfteren Markt zu überleben – also Inhalte publizieren, die gezielt Wut oder Empörung auslösen. Oder über die aktive Rolle gerade auch der Bild-Zeitung darin, die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben und Positionen rechtsextremer Kräfte wie der AfD salonfähig zu machen.

Nach einem Wochenende, an dem die Partei mit der „Generation Deutschland“ ihre Jugendarbeit neu formieren konnte und damit ein handfestes Scharnier zu verfassungsfeindlichen rechtsextremen Vorfeldorganisationen schuf, wäre das durchaus angemessen gewesen.

Guten, aufrichtigen Journalismus braucht es

Eine wirkliche Antwort auf Lanz’ Frage bleibt aber zunächst aus, von Mößbauer wie von Ronzheimer. Als Lanz nachhakt, sich noch einmal kritisch auf die Aktionen gegen Ronzheimer bezieht und fragt, was die Medien dafür tun können, dass man wieder versöhnlicher miteinander ins Gespräch kommen kann, sagt dieser: „Ich glaube, wir müssen vor allem erst mal Journalismus machen. Das, was wir heute machen. Wir sprechen darüber, was auf der linksradikalen Seite passiert ist, so wie wenn es auf der rechtsradikalen Seite passiert.“

Und obwohl die Antwort einen wahren Kern hat – dass es guten, aufrichtigen Journalismus ganz gewiss braucht, um aus der Polarisierung der Gesellschaft wieder hinauszufinden –, bleibt sie dürftig, oberflächlich. Haftet wie ein Stück Stahlblech an einem riesigen Magneten namens Hufeisentheorie, an dem seit Jahren so viele womöglich gut gemeinte Debatten kleben bleiben.

Dabei steckt in dem Vorfall um Ronzheimer eigentlich viel mehr. Die Frage nämlich, was die Pressefreiheit delegitimiert, gerade in Zeiten immer weiter erstarkender antidemokratischer Kräfte. Und auch die um journalistischen Sorgfaltspflichten. Das wird deutlich, spricht man auch mit den „Widersetzen“-Leuten, die im Lanz-Beitrag bemerkenswerterweise nicht zu Wort kommen.

Laura Wolf, eine Sprecherin des Bündnisses, hatte das Vorgehen der De­mons­tran­t*in­nen gegen Ronzheimer verteidigt. „‚Widersetzen‘ steht gegen rechte Hetze“, sagte sie der taz. Deshalb seien Ronzheimer und andere Bild-Leute unerwünscht gewesen. Eine Grundlage für eine journalistische Zusammenarbeit bestehe aus ihrer Sicht nicht, weil das Blatt regelmäßig vom Presserat wegen Verstößen gegen den Pressekodex gerügt werde.

„Fair, nach bestem Wissen und Gewissen“ berichten

Tatsächlich sprach der Presserat allein in diesem Jahr bislang fast 30 Rügen gegen die Bild aus. Mehrere wegen Verstößen gegen die Grundsätze der Wahrhaftigkeit oder der Sorgfalt in der Berichterstattung.

Die Pressefreiheit ist in Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung dürfen die Medien über alles und wie sie wollen, berichten. Mit einer Einschränkung: Sie dürfen keine falschen Tatsachen behaupten.

Der Pressekodex definiert darauf aufbauend eine Berufsethik unter Journalist*innen. Diese müssten sich ihrer „Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst sein“, heißt es in der Präambel. Das bedeute, „fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen“ zu berichten.

Rechtlich bindend ist der Pressekodex nicht, die gesetzlich verbriefte Pressefreiheit hingegen weit gefasst. Hendrik Zörner, ein Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands, bringt es auf den Punkt: „Jeder, der als Presse erkennbar ist, muss frei recherchieren können.“

Und doch ist es wie mit jedem Gesetz: Halten Menschen es für illegitim, kann es sein, dass sie sich dagegen auflehnen. Das kann man skandalisieren – muss man manchmal sogar. Aber man sollte sich auch fragen, was man selbst tun kann, um die Legitimität wieder herzustellen – für sich und alle anderen: Wem die Pressefreiheit am Herzen liegt, der sollte sich an den Pressekodex halten.

  • informationsspiegel

    Related Posts

    Kerzenlicht und Besinnlichkeit: Das Lied von Kerze und Feuer
    • December 7, 2025

    Unser Autor hielt Kerzen nur für überflüssige Dekoration, dann ist ihm ein Licht aufgegangen. Seitdem schaut er „Game of Thrones“ im flackernden Schein. mehr…

    Weiterlesen
    Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht: Abgang auf Raten
    • December 7, 2025

    Das BSW gibt sich einen neuen Namen und eine neue Parteispitze. Ansonsten knirscht es aber. Zusammengehalten wird der Laden vom Kult um Sahra Wagenknecht. mehr…

    Weiterlesen

    Nicht verpassen

    Kerzenlicht und Besinnlichkeit: Das Lied von Kerze und Feuer

    • 1 views
    Kerzenlicht und Besinnlichkeit: Das Lied von Kerze und Feuer

    Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht: Abgang auf Raten

    • 2 views
    Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht: Abgang auf Raten

    Berichterstattung über Anti-AfD-Proteste: Freiheit verpflichtet

    • 2 views
    Berichterstattung über Anti-AfD-Proteste: Freiheit verpflichtet

    Neuer Münster-„Tatort“: Das Krimi-Rad nicht neu erfunden

    • 2 views
    Neuer Münster-„Tatort“: Das Krimi-Rad nicht neu erfunden

    Lübcke-Statue in Berlin-Mitte: Familie war in Aktion nicht eingebunden

    • 1 views
    Lübcke-Statue in Berlin-Mitte: Familie war in Aktion nicht eingebunden

    Queerer Sonntags-Clubs in Berlin: „So etwas gibt es sonst nirgends in Berlin“

    • 2 views
    Queerer Sonntags-Clubs in Berlin: „So etwas gibt es sonst nirgends in Berlin“