Debatte um Arbeitspflicht: Viel Schmutz, wenig Substanz

Berlin taz | „Leistung“ ist das Wort des Wahlkampfes. Die Union postuliert „Leistung muss sich wieder lohnen“. Die SPD definiert Leistungsträger in Abgrenzung als die, „die viel leisten – und nicht nur die, die sich viel leisten können“. Und auch die Grünen wenden sich an die, die „den Laden jeden Tag am Laufen halten“. Alle drei werben um die rackernde Mitte – was aber ist mit Arbeitslosen und Bürgergeldempfänger:innen?

Beide Gruppen sind nicht deckungsgleich, obwohl der rechtslastige Diskurs etwas anderes suggeriert. Doch von den 5,6 Millionen Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen, sind laut Agentur für Arbeit fast 1,5 ­Millionen minderjährige Kinder unter 15 Jahren also nicht erwerbsfähig. Jede fünfte Bürgergeldempfänger:in, mithin über 825.000 Menschen, ist erwerbstätig, darunter die Hälfte in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Eine halbe Million Menschen pflegt Angehörige, kümmert sich um Haushalt oder Erziehung oder gilt als erwerbsunfähig. Am Ende bleiben 1,7 ­Millionen Menschen die arbeitsfähig, aber ohne Arbeit sind.

Wenn es nach der Union geht, soll es für diese ab März deutlich ungemütlicher werden. Im Wahlprogramm heißt es, man werde das sogenannte Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen und durch eine neue Grundsicherung ersetzen. Der Vermittlungsvorrang – also die Pflicht, einen Job anzunehmen, auch wenn das bedeutet, eine Weiterbildung abzubrechen – solle wieder eingeführt werden. Wer nicht bereit sei, Arbeit anzunehmen, dem will die Union das Geld komplett streichen. Spitzenpolitiker, wie der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei, gehen sogar noch weiter und rufen nach einer Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger:innen. So weit, so markig.

Doch was steckt hinter den Sprüchen? Werden Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen bald auf brandenburgischen Baumwollplantagen schuften? Ansonsten – Geld weg? Die Rechtslage gibt das nicht her: Der Staat ist qua Verfassung verpflichtet, ein menschenwürdiges Existenzminimums und ein Mindestmaß an Teilhabe zu gewährleisten. Das Bürgergeld von aktuell 563 Euro für Alleinstehende bewegt sich gerichtlich bestätigt bereits auf diesem Niveau. Und auch bei Sanktionen hat das Bundesverfassungsgericht rote Linien gesetzt: Kürzungen von 30 Prozent sind in Ordnung, 60 oder 100 Prozent gehen zu weit.

Fördern und Fordern

Spricht man mit Fach­po­li­ti­ke­r:in­nen von Union, SPD und Grünen, drängt sich der Eindruck auf, dass hier eine Debatte läuft, die laut ist, viel Schmutz aufwirbelt, aber wenig Sub­stanz hat.

Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe, zuständig für Arbeit und Soziales, sagt im Gespräch mit der taz, es gehe der Union um die Wiederherstellung der Verbindung von Fördern und Fordern. „Bei gleichzeitiger Stärkung der Vermittlungsanstrengungen. Das kann auch die Vermittlung in eine Berufsausbildung sein, die die Chancen am Arbeitsmarkt erhöht.“ Zur Arbeitspflicht wie in Schwerin äußert sich Gröhe nur karg. „Die Rechtslage lässt das zu und Arbeitsmarktpolitiker sollten sich das unvoreingenommen anschauen.“

Während Kanzlerkandidat Friedrich Merz von zweistelligen Milliardenbeiträgen spricht, die man beim Bürgergeld einsparen könne, sieht Gröhe erst mal Investitionsbedarf. „Sicherlich kann man im Bereich des Bürgergeldes auch zu deutlichen Einsparungen kommen. Dazu müssen aber zunächst Vermittlungsanstrengungen verstärkt werden“, meint Gröhe. Er ist sogar sicher, dass die allermeisten Langzeitarbeitslosen arbeiten wollen.

Gröhe hatte das Bürgergeld für die Union im Vermittlungsausschuss mitverhandelt und -beschlossen. Wenn auch, wie er betont, „nicht aus vollem Herzen“. Vielmehr sei der Einigungsdruck groß gewesen, da die Ampel die notwendige Erhöhung der Regelsätze von einer Einigung bei allen übrigen Fragen abhängig gemacht habe.

Man kann jedoch festhalten: Für den Anstieg der Bürgergeldausgaben, den sie heute lautstark beklagt, ist die Union mitverantwortlich. Aus christlicher Nächstenliebe.

Die SPD wiederum, die das Bürgergeld vor vier Jahren noch als zentrales Wahlversprechen im Programm hatte, „das zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen müsse“, klingt nun deutlich kleinlauter. Im Entwurf des Regierungsprogramms, das am Samstag auf dem Parteitag beschlossen werden soll, heißt es defensiv: „Das Bürgergeld ist eine steuerfinanzierte Grundsicherung und kein bedingungsloses Grundeinkommen. Deswegen wird zu Recht Mitwirkung ein­gefordert.“

Im aktuellen Wahlkampf hängt man das Thema tief. „Über das Bürgergeld ist schon sehr viel, leider auch sehr unsachlich gesprochen worden“, sagt SPD-Arbeitsmarktexpertin und Fraktionsvize Dagmar Schmidt der taz. Am liebsten wäre es der Parteilinken, wenn mehr über andere SPD-Forderungen berichtet würde, über den Mindestlohn etwa.

Mit der Einführung des Bürgergelds am 1. Januar 2023 wollte die SPD die neoliberalen Agenda-Zeiten der Ära Schröder endgültig hinter sich lassen und die Versöhnung mit der Basis vollenden – doch ausgerechnet aus ihrer Kernwählerschaft, von den Arbeitnehmer:innen, schlug ihr massiv Kritik entgegen. Das Bürgergeld motiviere Arbeitslose wegen fehlender Sanktionen und zu hoher Regelsätze kaum noch dazu, arbeiten zu gehen.

Die Abschaffung von Sanktionen sei nie das erste Thema gewesen, so Schmidt heute. „Klar ist, wir wollen Verbindlichkeit bei Terminen und Maßnahmen.“ Der Kern der Bürger­geld­reform sei vielmehr der Kooperationsplan gewesen, erläutert sie, bei dem sich Jobcenter und Arbeitslose auf einen individuellen Fahrplan zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt einigen „Wir wollen Arbeitslose so in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt langfristig selbst zu sichern.“ Demselben Ziel diente auch der Wegfall des Vermittlungsvorrangs. „Das sollten wir nicht wieder zurückdrehen.“

Grünen wollten Sanktionen abschaffen

Es waren vor allem die Grünen, die auf die Abschaffung der Sanktionen drängten. „Die Garantie eines sanktionsfreien Existenzminimums ist auch weiterhin Beschlusslage“, sagt die zuständige Berichterstatterin im Bundestag Stephanie ­Aeffner. Die Grünen setzen vor allem auf die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. „Das ist die wichtigste Stellschraube, um langfristig Geld im System einzusparen“, sagt Aeffner.

Zwang zu gemeinnütziger Arbeit ist verboten

Stephanie Aeffner, Grüne

Eine Arbeitspflicht lehnen sowohl Grüne als auch SPD ab. Die Union setze auf „Populismus“. „Menschen zu gemeinnütziger Arbeit zu zwingen, ist Zwangsarbeit und verboten“, betont Aeffner. „Es gibt bereits Mitwirkungspflichten im Bürgergeld, aber eben zahlreiche Gründe, warum Menschen nicht arbeiten können“, sagt die SPD-Politikerin Schmidt. Hemmnisse wie fehlende Kinderbetreuung, fehlende Ausbildung müssten angegangen werden.

Bei näherem Hinsehen stellt man dennoch fest – trotz schriller Töne im Wahlkampf haben Union, SPD und Grüne beim Thema Bürgergeld zahlreiche Schnittmengen. „Im Gespräch mit Fachpolitikern sieht man viele Dinge ähnlich“, meint Schmidt. „Wir haben ja auch das Gesetz im Vermittlungsausschuss gemeinsam beraten und beschlossen.“

Womöglich ändert sich ab März dann auch nur der Name. Statt Bürgergeld heißt es dann eben „neue Grundsicherung“.

  • informationsspiegel

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