Debatte um Einbürgerungen: Kai und Co. springen übers Stöckchen

Berlin taz | Bild und B.Z. fahren seit Tagen eine Schmutzkampagne gegen das seit eineinhalb Jahren in Berlin praktizierte digitale Einbürgerungsverfahren – und Teile der Union sind aufgesprungen. Die Vorwürfe: Wenn Einbürgerungsanträge nur digital gestellt werden und die Antragsteller erst zur Überreichung der Einbürgerungsurkunde bei der Behörde vorsprechen, könne man ihre Deutschkenntnisse nicht prüfen, zudem sei ihr Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zweifelhaft.

Werden da womöglich Verfassungsfeinde, Islamisten und Menschen, die kein Deutsch sprechen, eingebürgert? Mit den hohen Fallzahlen – die Behörde hat für dieses Jahr ein Ziel von 40.000 Einbürgerungen erklärt – verkomme der deutsche Pass zudem zur „Ramsch-ware“ (Bild).

Doch die Kritiker müssen sich die Frage gefallen lassen, ob es ihnen nicht um etwas anderes geht: Passt es ihnen nicht, dass die Bewerber in der Regel einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben – und sie darum eben nicht zu Kreuze kriechen müssen?

Der Regierende Kai Wegner teilte anfangs die Kritik, sagte dann aber im Abgeordnetenhaus, Innensenatorin Iris Spranger (SPD) habe ihm versichert, „dass Einbürgerungen auch beim digitalen Verfahren rechtssicher erfolgen und Missbrauch ausgeschlossen sei.“

Bis zu 10 Jahre Wartezeit

CDU-Fraktionschef Dirk Stettner fordert hingegen „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Massenhafte Einbürgerungen seien nicht das Ziel der Union. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagt, er könne sich „schlecht vorstellen“, dass der Verfassungstreuecheck ohne persönliche Vorsprache im Amt funktioniere.

Bis Ende 2023 waren in Berlin die Bezirke für Einbürgerungen zuständig. Auf Initiative von Rot-Rot-Grün wurde 2024 eine zentrale Einbürgerungsbehörde im Landesamt für Einwanderung (LEA) geschaffen. Denn es hatte sich ein Stau von 40.000 offenen Einbürgerungsanträgen angesammelt, während die Bezirke nur 9.000 Anträge pro Jahr bearbeiten konnten.

Antragsteller warteten nicht selten fünf oder zehn Jahre, bis sie an der Reihe waren. Wenn während der Wartejahre den Antragstellern ein Kind geboren oder die Miete erhöht wurde, mussten alle Angaben zum Einkommen der Familie erneut eingereicht und geprüft werden. Denn wer den deutschen Pass haben will, muss seinen Lebensunterhalt ohne Sozialleistungen finanzieren.

Hinzu kommt: Wer einen Antrag auf den deutschen Pass stellt, hat einen gesetzlichen Anspruch auf zügige Bearbeitung. Hört man sechs Monate nach Antragstellung nichts aus der Behörde, kann man eine Untätigkeitsklage bei Gericht einreichen. Das geschah 2024 exakt 1.321 Mal, in 2025 bereits fast 2.000 Mal. Das LEA hat fast immer verloren, denn noch immer sind nicht alle 40.000 Altanträge abgearbeitet.

Verfahren wurde beschleunigt

Um die Einbürgerungszahlen zu erhöhen, bekam das LEA mit seiner neuen Staatsangehörigkeitsbehörde eine Personalaufstockung, zudem wurde das Verfahren digitalisiert. Antragsteller müssen alle zur Prüfung benötigten Unterlagen wie Zertifikate über deutsche Sprachkenntnisse, Einkommens- und Steuerbescheide digital hochladen. Nicht jeder kommt damit klar. So gibt es längst migrantische Dienstleister, die das Sammeln und Hochladen der Belege gegen eine Gebühr von 100 Euro übernehmen. Die linke Abgeordnete Elif Eralp fordert darum, auch das Stellen von Papieranträgen wieder möglich zu machen.

Tatsächlich hat sich das Verfahren seither immens beschleunigt: 2024 wurden in Berlin nach Angaben der Innenverwaltung 41.862 Menschen eingebürgert und 738 Anträge auf Einbürgerung abgelehnt. Das heißt aber nicht, dass alle vor 2024 gestellten Altanträge abgearbeitet sind, denn diese werden nicht priorisiert.

Das kritisiert der grüne Abgeordnete Jiam Omar. „Wir fordern, die ältesten Anträge zuerst zu bearbeiten, denn diese Menschen warten seit Jahren.“ Stattdessen bietet das LEA den Altantragstellern an, ihre Anträge erneut digital zu stellen, denn digitale Anträge bearbeiten sich schneller. Die Antragsteller müssen dafür allerdings ein zweites Mal 255 Euro Gebühren pro Person zahlen.

Anders als die Springer-Zeitungen hält das LEA selbst das digitale Verfahren für fälschungssicherer als das Papierverfahren. „Die Beschäftigten in der Verwaltung haben vollständigen Zugriff auf die elektronischen Ausländerakten der Einbürgerungsbewerber“, sagt eine Sprecherin der taz. Man könne beispielsweise aktuelle Angaben mit früher eingereichten Schulzeugnissen und Steuerbescheiden vergleichen.

Bekenntnis zu Israel?

Wie viel sicherer das digitale Verfahren sei, hätten exemplarisch auch die laufenden Ermittlungen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter bewiesen, so die Sprecherin. Der Mann habe versucht, seine Geliebte einzubürgern, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen hätten. Dieses kriminelle Vorgehen, so die LEA-Sprecherin, wäre in einem Verfahren mit Papierakte deutlich leichter zu bewerkstelligen gewesen. Und da im Einbürgerungsverfahren auch Strafverfahren und Hinweise des Verfassungsschutzes herangezogen werden, könnten Islamisten und Straftäter gefunden und ihre Anträge abgelehnt werden.

Was die Behauptung der Springerpresse angeht, in Berlin sei das Bekenntnis von Einzubürgernden zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zweifelhaft, wenn man es zu Hause am Computer ablegen könne, erklärt der Grüne Omar: „Die Einbürgerungskandidaten erhalten die Erklärung zugesandt, die sie vor der Einbürgerung im Beisein von Beamten vorlesen müssen.“

Kai Wegner erwägt, Einbürgerungen in Zukunft davon abhängig zu machen, ob sich Personen zum Existenzrecht des Staates Israel bekennen. Innensenatorin Iris Spranger erklärt allerdings der taz, das sei nicht nötig. Denn Einbürgerungsbewerbende müssten sich bereits jetzt „zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen sowie auch zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens.“

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