Doku über Männer: Radikale Privilegierte

Alex demonstriert mit Fridays for Future und schließt eine vegane Ernährung für sich nicht aus. Erst mit der Coronapandemie ändert sich das: Er verbringt viel Zeit zu Hause und – wie die meisten in dieser so aufwühlenden wie langweiligen Zeit – online. In den sozialen Medien begegnen dem 20-jährigen Münchner virale Kurzvideos, die ihm zunächst fremd erscheinen.

In seinem Feed tritt er erstmals in Kontakt mit dem mutmaßlichen Vergewaltiger Andrew Tate und dem Rechtsextremisten Maximilian Krah, kurzum: Protagonisten der „Manosphere“. Alex heißt eigentlich anders. Doch in der Dokumentation „Shut Up, Bitch“ von ARD Story tritt er nicht unter seinem Klarnamen auf, aus Angst vor „Gegenwind“, wie er sagt. Denn Alex gibt zu, mit den rechten Vordenkern und deren Inhalten zu sympathisieren. Die Doku sucht nach Gründen, warum junge Männer wie er dem Männlichkeits-Kult verfallen.

Die Zwanziger sind für viele Menschen eine Lebenszeit der großen oder vermeintlich großen Entscheidungen; für einen Lebensentwurf, ein Selbstbild, eine Identität.

So auch für Alex. Man trifft ihn in der 45-minütigen Sendung in einem Münchner Café, im Fitnessstudio und auf der freien Trainingsfläche im Olympiapark. Sequenzen von jungen, meist durchtrainierten Männern folgen. Sie führen ihre Fitnessübungen mit stoischer Konzentration aus. Auch Alex macht Sport und zieht scheinbar eine Verbindung zwischen körperlicher Ermächtigung und den übergeordneten Fragen „wie wird man erwachsen“ und „wie wird man ein richtiger Mann“. Im Subtext deutet sich die neoliberale Ideologie der Selbstoptimierung an.

Shut Up, Bitch! Der Kampf um Männlichkeit

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Geschlossen antifeministisch

Eindrücklich ehrlich präsentiert „Shut Up, Bitch“ die misogynen Tiktoks und Botschaften der „Manosphere“: Männer sind die Verlierer moderner Gesellschaften, Frauen tragen die Schuld. Sie stehen angeblich vor der Wahl: Die „Blue Pill“ sei die Illusion einer Gleichstellung der Geschlechter, die „Red Pill“ der verborgene wahre Zustand, nämlich die männliche Dominanz über Frauen. Wie die Doku einordnet, findet die reaktionäre Position auch außerhalb der sozialen Medien Anklang. Neben persönlichen Geschichten zieht sie dafür die Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 heran. Nach ihr vertritt ein Viertel der Befragten geschlossen antifeministische Haltungen.

Nicht nur Alex schluckt in der Doku die „Red Pill“. Unter dem Pseudonym „Lea“ kommt auch eine 17-jährige Frau zu Wort. Ihr Zimmer ist gemütlich, mit Hängematte und Postern an der Wand. Anonym und mit verfremdeter Stimme erzählt sie von ihrem Freund, ihrer ersten großen Liebe. Allmählich verändert er sich, je öfter Andrew Tates Credo aus seinem Handy ertönt: „Frauen bestimmen nicht, wie du dich als Mann fühlst.“

Was ihr Freund als Spaß abtut, wird für Lea zur Sorge: Er nimmt ihre Ansichten und Erfahrungen als Frau nicht mehr ernst. Und sie hat recht, denn die Influencer der „Manosphere“ radikalisieren ihre Zuschauer von Lifestyle-Themen bis hin zur lupenrein rechtsradikalen Weltanschauung. Bald darauf wartet auch auf Lea ein heftiger Streit um Weltanschauungen mit ihrem Freund. Der Anlass: Sie demonstriert am 8. März für mehr Gleichberechtigung.

Männer, ist die These der Doku, verstünden schlicht nicht, dass der Feminismus sie mitmeine. Die jungen Leute steckten in einer Krise der Männlichkeit, der man progressiven Ideen entgegensetzen müsse. Damit steht „Shut Up, Bitch“ symptomatisch für einen Diskurs, der die entscheidende Erkenntnis versäumt: So etwas wie eine aktuelle Krise der Männlichkeit gibt es nicht.

Um es in den Worten des Sozialpsychologen Rolf Pohl zu sagen: „Ein männlicher Krisendiskurs ist ein entkontextualisiertes, und damit scheinheiliges Gerede.“ Denn der Krisen-Mythos lässt außer Acht, dass Männern immer schon strukturelle Macht ausüben. Selbstverständlich leiden auch sie unter der unentwegten Selbstoptimierung in der „Manosphere“. Trotzdem darf man nicht dem Reiz verfallen, sie in gleicher Weise wie Frauen zu Opfern zu erklären.

  • informationsspiegel

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