Grünen-Co-Chefin Brantner zu Gaza: „Es braucht ein Machtwort von Merz“

taz: Frau Brantner, Außenminister Johann Wadephul hat auf seiner Israel-Reise klare Worte für die Situation in Gaza und die im Westjordanland gewählt. Richtig so?

Franziska Brantner: Die Bilder aus Gaza sind unerträglich. Die klaren Worte von Herrn Wadephul reichen aber nicht aus, es müssen nun Taten folgen. Leider hat das Sicherheitskabinett in seiner Telefonschalte am Samstag wieder keine Konsequenzen beschlossen. Die SPD wäre offenbar dafür, aber die CSU geht in die komplette Gegenrichtung. Innenminister Dobrindt will sogar die Rüstungskooperation mit Israel vertiefen. Es braucht ein Machtwort von Merz und er muss ins Handeln kommen.

taz: Welche Schritte erwarten Sie konkret von der Bundesregierung?

Brantner: Es braucht endlich ernsthaften Druck für ein Ende des Kriegs und der humanitären Katastrophe, die Freilassung der Geiseln sowie eine politische Perspektive. Konsequentes europäisches Handeln in diesem Sinne darf Deutschland nicht mehr verhindern. Es ist begrüßenswert, dass vor wenigen Tagen eine Reihe arabischer Staaten die Hamas aufgefordert hat, die Macht abzugeben. Für Frieden in der Region muss die Hamas die Geiseln freilassen und die Waffen niederlegen. Auf der anderen Seite muss die israelische Regierung, auch durch Druck, dazu gebracht werden, das Völkerrecht einzuhalten und die Zweistaatenlösung zu ermöglichen.

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Leider hat das Sicherheitskabinett in seiner Telefonschalte am Samstag wieder keine Konsequenzen beschlossen

taz: Soll sich Deutschland dem französischen Präsidenten Macron anschließen, der angekündigt hat, Palästina bei der UN-Generalversammlung im September als Staat anzuerkennen?



Bild: Manfred Behrens/imago


Im Interview: Franziska Brantner

Die Politikwissenschaftlerin sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag. Davor war sie EU-Abgeordnete. Seit 2024 ist sie Bundesvorsitzende der Partei.

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Brantner: Nein, nicht ohne Bedingungen. Die Anerkennung muss Teil eines politischen Prozesses sein. Aber die Bundesregierung muss sich endlich aktiv für diesen politischen Prozess einsetzen. An der nächsten UN-Konferenz zur Zweistaatenlösung muss der Außenminister persönlich teilnehmen. Merz hatte den Anspruch, ein großer europäischer Kanzler zu werden, Außenpolitik zu seinem Herzstück zu machen. Hier fehlt er. Deutschlands Wort hat in Israel ein besonderes Gewicht. Das bringt besondere Verantwortung mit sich, aber auch die Chance, mit Macron und anderen zu sagen: Wir machen jetzt die europäische Friedensinitiative. Die Hamas könnte übrigens durch ihre Kapitulation eine Anerkennung massiv beschleunigen.

taz: Ein mögliches Druckmittel wäre die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel.

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An der nächsten UN-Konferenz zur Zweistaatenlösung muss Wadephul teilnehmen

Brantner: Das Abkommen hat verschiedene Kapitel und es wäre falsch, die Teile auszusetzen, die die Zivilgesellschaft, Wissenschaftler oder Kulturschaffende betreffen. Es gibt aber Vorschläge zum Handelsteil, die der israelischen Regierung die Konsequenzen für den fortwährenden Bruch des Völkerrechts verdeutlichen.

taz: Warum nicht den ganzen Handelsteil aussetzen, wie es Schweden gerade vorgeschlagen hat?

Brantner: Man kann auch stufenweise vorgehen und es regelmäßig überprüfen. Dann hat man weitere Druckmittel in der Hand, wenn die Lage in Gaza sich nicht nachweislich verbessert. Wie die letzte Woche zeigt, wirkt Druck – aktuell gelangen wieder etwas mehr Lebensmittel nach Gaza. Unabdingbar ist, endlich ein gemeinsames europäisches Vorgehen zu ermöglichen.

taz: Es gibt in der EU auch Forderungen nach einem kompletten Waffenembargo gegen Israel. Sie sind weiterhin dagegen?

Brantner: Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Exportstopp für die Waffen gelten muss, die in Gaza völkerrechtswidrig eingesetzt werden. Es gibt aber auch Waffen, die notwendig sind, damit sich Israel verteidigen kann gegen die Huthis, gegen Iran, gegen die Hisbollah. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, diese Differenzierung umzusetzen.

taz: Ein komplettes Embargo wäre das effektivere Druckmittel.

Brantner: Als Deutsche haben wir eine doppelte Aufgabe: sich dafür einzusetzen, dass das unerträgliche Leid in Gaza endet und der offensichtliche Bruch des Völkerrechts aufhört. Andererseits tragen wir Verantwortung für jüdisches Leben bei uns und für die Sicherheit Israels. Dabei ist es wichtig, zwischen Israel und der israelischen Regierung zu differenzieren. Netanjahu ist nicht Israel. Netanjahu war nie für eine friedliche Lösung mit den Palästinensern. Und er hat rechtsex­treme Minister im Kabinett wie Finanzminister Smotrich und Sicherheitsminister Ben-Gvir.

taz: Gegen diese beiden Minister fordern Sie persönliche Sanktionen?

Brantner: Ja. Mehrere europäische Länder haben schon Sanktionen gegen sie verhängt und auf EU-Ebene wäre das auch ein großer Hebel.

taz: CSU-Generalsekretär Martin Huber sagt, solche Maßnahmen würden „das deutsch-israelische Verhältnis schwer beschädigen“.

Brantner: Diese zwei Minister normalisieren willkürliche Gewalt gegen die Palästinenser im Westjordanland und treiben die völkerrechtswidrige Annexion des Gebiets tatkräftig voran. Wenn wir das akzeptieren, können wir solche Verbrechen auch anderswo auf der Welt nicht mehr kritisieren.

taz: Während der ersten anderthalb Jahre des Krieges saßen die Grünen in Deutschland noch in der Regierung. Ist Ihre Partei für die jetzige Lage nicht mitverantwortlich?

Brantner: Erinnern Sie sich daran, wie sehr Frau Baerbock kritisiert wurde, als sie an den UNRWA-Hilfslieferungen festgehalten hat? Oder als wir Waffenlieferungen an die Einhaltung des Völkerrechts gekoppelt haben? Besonders von der Union war die Kritik sehr scharf.

taz: Alles, was Sie jetzt von der Bundesregierung fordern, hätten Sie schon vor einem Jahr umsetzen können.

Brantner: In Gaza materialisiert sich gerade eine Hungersnot. Es ist nicht mehr nur eine Warnung, sondern eine Realitätsbeschreibung – die nun ohne Zweifel die Notwendigkeit des Handelns bedingt.

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