Lieferkettengesetz: Faire Wirtschaft in der Defensive

Berlin taz | Es gab schon Reformen, an denen die Leute im Bundesarbeitsministerium lieber arbeiteten als an dieser. Gerade geht es darum, eine Politik zurückzudrehen, die das Haus jahrelang selbst vorantrieb. Was der ehemalige SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil zu Wege brachte, muss seine ebenfalls sozialdemokratische Nachfolgerin Bärbel Bas nun zum Teil wieder abräumen. Sehr bald soll der Entwurf zur Abschwächung des Lieferkettengesetzes vorliegen.

Zwei Punkte spielen vor allem eine Rolle. Deutsche Unternehmen, deren ausländische Zulieferer sich Menschenrechtsverletzungen zuschulden kommen lassen, müssen dann nur noch in schweren Fällen mit Bußgeldern rechnen. Und die Firmen brauchen im Gegensatz zu heute keine Berichte mehr zu erstellen, ob sie das Gesetz auch wirklich anwenden.

Diese Änderungen hat die Union in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Sie will das Lieferkettengesetz verwässern, die SPD möchte es im Wesentlichen erhalten. Die Auseinandersetzung findet in Deutschland statt, parallel aber auch auf europäischer Ebene. Dort sind die EU-Kommission, einige Mitgliedstaaten und Parlamentarier dabei, Kernelemente aus der EU-Lieferketten-Richtlinie herauszuoperieren.

Damit stehen Fortschritte infrage, die noch nicht alt sind. Das deutsche Gesetz beschloss der Bundestag im Sommer 2021, die EU-Richtlinie war 2024 fertig. Beide Regularien dienen demselben Zweck und ergänzen sich: Die Beschäftigten der weltweiten Zulieferer hiesiger Unternehmen sollen beispielsweise vernünftige Löhne erhalten, in sicheren Gebäuden arbeiten, die nicht zusammenbrechen und keinen gesundheitsschädlichen Chemikalien ausgesetzt werden.

Wirtschaftsverbände waren schon immer dagegen

Nun fallen die Gesetze der seit Jahren dauernden Konjunkturkrise zum Opfer. Wegen angeblich zu hoher Kosten zulasten der Firmen waren Wirtschaftsverbände wie die Vereinigung der deutschen Arbeitgeber schon immer dagegen. Der Rechtsdrift im Par­teien­spektrum spielt ebenfalls eine Rolle, in Deutschland wie auf EU-Ebene.

Mit seinem kommenden Gesetzentwurf hält sich das Arbeitsministerium an den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Aber vermutlich handelt es sich nur um einen ersten, kleinen Schritt. Denn auf Wunsch von CDU/CSU heißt es im Vertrag: „Wir schaffen das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ab.“ Stattdessen will die Bundesregierung ein Gesetz einführen, „das die europäische Lieferketten-Richtlinie bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt“.

In dieser Richtung ereignete sich kürzlich ein Dammbruch. Ende Juni verabredete der Rat der Regierungen in Brüssel, die Zahl der europäischen Firmen stark einzuschränken, die die Richtlinie erfüllen müssen. Gilt diese augenblicklich für alle Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten und 450 Mil­lio­nen Euro Jahresumsatz, soll die Untergrenze künftig erst bei 5.000 Leuten und 1,5 Milliarden Euro Umsatz liegen.

Zahl der geschützten Ar­beit­neh­me­r:in­nen sinkt

Die Folge: Nur noch einige hundert Konzerne in Europa plus ihre ausländischen Lieferanten wären erfasst. Und die Zahl der weltweit geschützten Ar­beit­neh­me­r:in­nen würde beträchtlich sinken.

Die deutsche EU-Vertretung in Brüssel erhob keinen Einwand gegen den Beschluss – wohl im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt in Berlin. Damit setzte sich die CDU-Seite über die gegenteilige Position der Sozialdemokraten hinweg, was erheblichen Ärger auslöste. Im SPD-Arbeitsministerium tröstet man sich nun aber, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.

Tatsächlich ist das europäische Gesetzgebungsverfahren jedoch noch nicht zu Ende – der Trilog, die Konsensfindung zwischen Kommission, Rat der Regierungen und EU-Parlament folgt in diesem Herbst. Via EU-Parlament hofft die SPD, noch Boden gutzumachen. Allerdings erscheint fraglich, wie viel Druck die Sozialdemokraten aufbauen können.

Denn die Europäische Volkspartei (EVP), der die Union angehört, hat neuerdings immer zwei Optionen. Einerseits kann sie sich auf die Mitte-links-Mehrheit von EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen stützen. Andererseits kann sie Beschlüsse zusammen mit den erstarkten Rechten und Rechtsextremen herbeiführen – oder zumindest damit drohen. Damit sieht es für die Lieferketten-Richtlinie nicht gut aus.

Menschenrechtsverstöße könnten für hiesige Firmen weniger Konsequenzen haben

Das Lager der Un­ter­stüt­ze­r:in­nen starker Lieferkettengesetze sucht deshalb nach Hebeln und Argumenten. Eines ergibt sich aus einem Gutachten des vom Bundestag finanzierten Instituts für Menschenrechte. Demnach darf Deutschland den einmal erreichten Schutz von Menschenrechten nicht verschlechtern, wenn es nicht gegen den Sozialpakt der Vereinten Nationen verstoßen will. Der Abschwächung des deutschen Lieferkettengesetzes wären auf diese Weise Grenzen gesetzt.

Außerdem haben einige Gewerkschaften und Organisationen einen Brief an die Bundesregierung geschickt, in dem sie vor der Abschwächung der europäischen Richtlinie und des deutschen Gesetzes warnen. Unter anderem kritisieren sie, dass die zivilrechtliche Haftung hiesiger Firmen für Menschenrechtsverstöße in ausländischen Fabriken eingeschränkt werden soll.

Unterzeichnet haben etwa die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die IG Bau, Amnesty Interna­tio­nal und Oxfam. Schließlich plädierten auch hunderte Unternehmen dafür, den Kern der EU-Regulierung zu erhalten, selbst große wie Allianz, Ikea, Nestlé oder Vattenfall. Sie und ihre Lieferanten haben die menschenrechtlichen Regeln längst in ihre Geschäftspolitik eingebaut.

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