Trachten-Performance in Hamburg: Ermattet wirkender Kunststoff raschelt als Rüschenärmel

D er weiß getünchte Raum ist erfüllt von ätherischem Gesang. Frösche quaken über einen flächigen elektronischen Sound, der auch mal zum reinen Feedback wird. In einer Ecke gleich beim Eingang: Neonröhren, da liegend wie früher das Material für ein Lagerfeuer; ein wenig wie die übergroßen angehäuften Streichhölzer der Lichtinstallation „Bonfire“ des Duos „Grau“, zu sehen vor Jahren gleich nebenan, im Hamburger Kunsthaus.

„Festtag!“ hat Véronique Agapi Langlott ihre installative Performance genannt (oder performative Installation?). Das Thema lässt den Titel folgerichtig erscheinen: Um Trachten geht es, diese heute mehr denn je als Unterbrechung – auch des rein Zweckmäßigen – wirkende Bekleidung. Die auf vielfache Weise mit dem besonderen Anlass verbunden ist mit, eben, Fest- und Feiertagen.

Anfangs im Raum verteilt, finden vier junge Frauen allmählich zusammen; neben Langlott tanzen an diesem Abend noch Simone Gisela Weber, Mercedes Ferrari und Irene Martínez Olivares. Sie handarbeiten, sticken vielleicht, bürsten aber auch einander und sich selbst das Haar. Nicht nur das auf dem Kopf. Nein, auch auf die Existenz anderer, so gerne für unvorzeigbar erachtete Haare weisen die Bürstenstriche hin: die unter den Armen etwa. Oder den Bart, der sich doch nicht gehört für eine Dame.

Schließlich ist, anders als eben noch behauptet, Tracht ja viel mehr als bloß Bekleidung: Der Begriff leite sich ab vom althochdeutschen Wort „draht(a)“ – „das, was getragen wird“, das schreibt Véronique Langlott in einer Art Forschungsbericht. Also „die Gesamtheit dessen, was aus modischen oder funktionalen Gründen am Körper getragen wird. Dazu gehören Kleidung, Schmuck, Frisur, Make-up, Accessoires und Insignien.“ Tracht ist also weißgott nicht zuletzt Mittel der Mitteilung: Seht, wovon ich lebe, können sie transportieren. Aber genauso: Seht, zu wem ich gehöre – und ihr nicht.

Das White-Cube-Ambiente stiftet die „Barlach Halle K“, tatsächlich gegründet vom jüngsten Enkel des Bildhauers Ernst Barlach, Hans-Georg Barlach (1955–2015). Ein zu Lebzeiten schon mal etwas irrlichternd wirkender Unternehmertyp war das, dem auch schon mal kurz die Hamburger Morgenpost gehörte, irgendeine TV-Programmzeitschrift auch – aber beinahe auch der Suhrkamp-Verlag.

Wer will, mag einen Zusammenhang sehen zwischen solchen Geschäften und der Kulisse: Das da neben den vier Frauen könnten Müllberge sein. Oder Altkleiderlieferungen aus einer anderen Welt, der sogenannt Ersten? Die Tracht mit all ihrem Aufwand, auch den teils beträchtlichen Anschaffungskosten ist eine, wenn nicht die Antithese zum heute so viel beklagten Problem Fast Fashion. Und in all den prallen Plastiktüten, die da nun herumliegen und mit denen sie Tänzerinnen später auch interagieren werden, könnten ja gut auch olle T-Shirts stecken, mit Bündchen, die nicht mehr so straff sind wie damals beim Kauf.

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wochentaz

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Wie die Frauen miteinander umgehen, das signalisiert Ruhe, auch Zärtlichkeit. Es liegt etwas Friedliches über der Szene, Nähe, Intimität. Nun helfen sie einander schminken und sich anziehen – es will ja ein Festtag begangen werden. Ermattet wirkender Kunststoff dient raschelnd als Rüschenärmel, Arrangements aus gebrauchten PET-Flaschen schmücken hier die Häupter, wie andernorts angedeutete Obst-Arrangements.

Unter einer Glashaube holen sie einen Kuchen hervorgeholt, oder nein: braunen Glibber, in Gugelhupfform gebracht. Sie schmatzen, –schlürfen, füttern sich gegenseitig. Als das Zeug halb aufgegessen ist, nimmt die musikalische Kulisse eine andere Form an, es wird konkreter, auch lauter; die vier geschmückten Performer innen verfallen in wechselnde Posen.

Sneaker anziehen und den bisher bespielten Nicht-Bühnenbereich verlassen: Bestickte Tücher, die sich als Plastikfolie entpuppen, werden um Hälse gelegt, Tüten voller Tüten – doch keine T-Shirts also – an den Körpern angebracht, neue Bewegungen organisiert. Die vier tanzen in Formation, synchron, dann wieder vereinzelt.

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Den Trachten hinterher gereist

Vor der Performance, hat Véronique Langlott Anfang des Jahres eine Ausstellung ausgerichtet, „How to Tracht“, ebenfalls in Hamburg. Dieser wiederum war eine richtige Forschungsreise vorausgegangen, „von der Insel Föhr über das Alte Land, in den Spreewald, die Schwalm bis in den Schwarzwald“: auf der Suche nach Frauen, die noch Trachten machen.

Anhand von acht ausgewählten Trachten tauchte das Projekt ein in die Tiefen regionaler Ausprägungen. Dabei sei es „nicht um Dirndl und Lederhosen gegangen“, so Langlott: „Das Bild von Lederhose und Dirndl ist ein kulturelles Erbe der Nazipropaganda, welche die bayerische Kleiderordnung zur pan-deutschen Identität machte und damit zu dem, was noch heute ein Großteil der Welt mit Deutschland assoziiert.“ Tracht seui aber viel mehr, wenn auch manchmal kaum bekannt.

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Auf der Tonspur – den Sound verantwortet die Komponistin Dong Zhou – schält sich ein Beat heraus, wird schneller, und so beschleunigen sich auch die Bewegungen der Körper. Festtag, das kann ja längst auch ein Rave sein.

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Das Stück

weitere Termine: Fr, 12.12. + Sa, 13.12., jeweils 20 Uhr; So, 14.12., 18 Uhr, Hamburg, Barlach Halle K, Klosterwall 13

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Auf Steigerung in Richtung Ekstase, auch ein Quäntchen Nacktheit folgt das Erschlaffen. Überall liegt nun wieder Müll, aller festlichen Funktionen beraubt. Hier könnte irgendein Umzug begangen worden sein. Oder hat ein Meer den Schmutz zurück gespuckt an Land, wo die sind, die es verschmutzen?

Es gibt allerlei lose Enden an der Produktion, an denen Bilder andocken können, und Assoziationen wuchern. Bei allem Anliegen – vom neuen Modulieren „sperriger Themen“ ist zu lesen, „wie Konservatismus, Heimat und Zugehörigkeit“ – ist „Festtag!“ keine verkappte Vorlesung über Nationalismus oder Nachhaltigkeit. Sondern ein manchmal unnahbar wirkendes, gleich darauf umso mitreißender unmittelbares Erlebnis.

Dass danach, auf dem Heimweg, die Gedanken weitertanzen könnten, ei­ne*n nachdenken lassen über die ganz eigenen Arten und Weisen, Gruppen zu markieren, Zugehörigkeit zu- und abzusprechen: Das ist nicht ausgeschlossen.

  • informationsspiegel

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