Am 8. Dezember 2021 wurde Olaf Scholz zum Kanzler gewählt. Damals hat die taz sie sowie Lars Klingbeil (SPD) und Ria Schröder (FDP) begleitet. 395 Abgeordnete stimmten damals für Scholz. Auch Katharina Beck. Damals sagte sie der taz: „Jetzt beginnt eine neue Ära.“
Es wurde eine kurze Ära. An diesem Montag, fast genau drei Jahre später, geht Beck mit gemischten Gefühlen in die Sitzung, die den letzten Akt der Ex-Ampel-Regierung einläutet. „Ich habe mir viel von dieser Koalition versprochen.“ Doch die fehlende Konstruktivität der FDP und ihre mangelnde Verlässlichkeit seien oft unerträglich gewesen. Scholz hat am 6. November Lindner hart angegriffen. Das, so Beck, „stimmte leider zu 100 Prozent“.
Ihre persönliche Bilanz: ebenfalls gemischt. „Die letzten drei Jahre waren einfach krass.“ Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die nach oben schnellenden Energiepreise, die einsetzende Wirtschaftskrise – die Koalition sei im ersten Jahr nur damit beschäftigt, die Kriegsfolgen abzumildern. „Mit dem, was wir nach vorne gestalten wollten, konnten wir erst ein Jahr später anfangen.“ Und da könne sich einiges sehen lassen. Beck findet, dass die Ampel auf ihrem Gebiet, Steuer- und Finanzpolitik, eine ganze Menge erreicht habe. Etwa beim Thema Mietwohnungsbau, der nun finanziell attraktiv sei für Bauherrinnen, die sich an soziale und ökologische Standards halten. Oder dass private Kinderbetreuungskosten steuerlich besser absetzbar seien. Bei Verteilungsgerechtigkeit wurde zwar nur wenig erreicht. Trotzdem bedauert Beck das Ampel-Ende. „Da steckte viel Potenzial drin.“
Karlsruher Todesstoß
Warum ist die Ampel kaputtgegangen? Ria Schröder, FDP-Bildungspolitikerin, sieht neben der Wirtschaftspolitik zwei Schlüsselmomente. „Habecks Heizungsgesetz hat die Ampel in der Bevölkerung viel Vertrauen gekostet.“ Und: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 zum Klimatransformationsfonds war der Todesstoß.“ Danach fehlten 60 Milliarden Euro. Sie will das Karlsruher Urteil inhaltlich nicht kritisieren. Aber Tatsache war: „Das hat uns den Teppich unter den Füßen weggezogen.“ Damals wäre, so Schröders selbstkritische Anmerkung, „eigentlich ein neuer Koalitionsvertrag nötig gewesen“. Die FDP hätte das „stärker einfordern müssen“. Vielleicht hätte man so ein Jahr Dauerzoff um den Haushalt verhindern können, der allen schadete. Verschüttete Milch.
Was bleibt? Auf der Habenseite sieht Schröder gesellschaftspolitische Fortschritte wie die Abschaffung des 219a und das Selbstbestimmungsgesetz. Stolz ist sie auf das Startchancen-Programm, das jedes Jahr zwei Milliarden Euro von Bund und Ländern für die Schulen bringt. Und sie lobt die Zusammenarbeit mit den BildungspolitikerInnen von Grünen und SPD. Es war nicht alles schlecht.
Die 32-jährige Schröder ist seit drei Jahren im Bundestag. Für die FDP kandidiert sie auf Platz eins der Landesliste in Hamburg. Wenn die FDP fünf Prozent bekommt, wird sie auch im nächsten Bundestag sein.
Scholz sei ein „schwacher Kanzler“ gewesen, sagt sie. Sie wird ihm das Vertrauen verweigern, natürlich. 2025 wünscht sie eine andere Koalition. Aber grundsätzlich „sollte eine Regierung auch mit SPD oder Grünen wieder möglich sein. Demokratinnen und Demokraten sollten in der Lage sein, Kompromisse zu finden.“ Es klingt eher melancholisch als wütend. Dann muss sie zur Fraktionssitzung vor der Vertrauensfrage.
Bei Scholz’ Rede halten die Grünen still
Eine Stunde vor der Abstimmung im Bundestag trifft sich die SPD-Fraktion zur Sitzung. Lars Klingbeil ist etwas früher gekommen. Als die taz ihn vor drei Jahren vor der Wahl Olaf Scholz zum Bundeskanzler traf, sagte er, dass er auf diesen Tag eineinhalb Jahre hingearbeitet hatte. Er sei megastolz. An diesem Montag, an dem Scholz das Vertrauen entzogen wird, klingt er gedämpfter. „Das ist kein Tag, auf den ich mit Stolz gucke. Er beschwert mich eher. Aber die Entscheidung von Olaf Scholz, heute die Vertrauensfrage zu stellen, ist richtig.“
Hätte man das Ende der Ampel verhindern können? Klingbeil hat viel darüber nachgedacht. „Man hätte nach Kriegsausbruch oder nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 noch einmal neu priorisieren müssen. Wir hätten die Kraft haben müssen, uns noch mal drei Tage einzuschließen.“ Er klingt in diesem Punkt ähnlich wie FDP-Frau Schröder. Ein Versäumnis. Auch weil der Koalition, so Klingbeil, ein strategisches Zentrum fehlte.Olaf Scholz kommt vorbei, seine Frau Britta Ernst begleitet ihn. Scholz nickt freundlich und reicht Klingbeil die Hand. Klingbeil begrüßt ihn, eilt mit ihm weiter. Vor der Fraktionssitzung gibt’s noch eine kurze Vorbesprechung im ersten Führungskreis. Klingbeil hat keinen Zweifel, dass alle SPD-Abgeordneten Scholz das Vertrauen aussprechen werden. „Da habe ich keine anderen Signale.“
Um 13 Uhr ist es so weit. Olaf Scholz tritt ans Rednerpult. Es ist eine klare Dramaturgie. Die SPD-Fraktion bejubelt den Kanzler, der endlich wieder klingt wie ein Sozialdemokrat. Die Grünen, die sich bei der Vertrauensfrage enthalten, tun nichts. Kein Applaus, keine Zwischenrufe. Die Union protestiert laut.
Scholz knöpft sich nochmal die FDP vor. Die hätte wochenlang die eigene Regierung sabotiert. Den Liberalen fehle „die nötige sittliche Reife“, um zu regieren. Der Kanzler adressiert seine Rede nicht an das Parlament, sondern eher an die WählerInnen und platziert die SPD als Stimme der sozialen Mitte. Die Union wolle faktisch Renten kürzen, die SPD hingegen den Mindestlohn auf 15 Euro anheben und die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel senken. Nur die SPD sorgt dafür, so Scholz, dass Deutschland sich via Reform der Schuldenbremse beides leisten kann: einerseits Geld für die Ukraine und die Bundeswehr, anderseits Investitionen und soliden Sozialstaat. Es ist der erwartbare Mix – von Attacken auf die sozial kalte Union und die treulose FDP – und von Sicherheitsversprechen an die WählerInnen. Es ist eine Rede, die man so ähnlich im Wahlkampf noch öfter hören wird.
Merz und die Froschschenkel
Nach Scholz reden Friedrich Merz und Robert Habeck. Alle drei Kanzlerkandidaten haben dabei das Wahlvolk im Blick. Merz wirft dem Kanzler Respektlosigkeit vor. Der Vorwurf, der FDP mangele es an sittlicher Reife, sei eine „blanke Unverschämtheit“. Das ist kein Vorglühen auf den Wahlkampf mehr – es ist Wahlkampf. Merz nimmt kein Blatt vor den Mund. Wirtschaftsminister Habeck sei mit seinen „selbst inszenierten Selbstzweifeln“ das Gesicht der Krise. In der EU agiere der Kanzler „zum Fremdschämen“. Und die von ihm vorgeschlagene Mehrwertsteuersenkung, die gelte ja auch für „Froschschenkel, Wachteleier und frische Trüffel.“
Merz redet viel über andere, eher wenig über das eigene Programm. Er fordert Steuersenkungen für Unternehmen, die Milliardäre, denen Habeck an den Kragen wolle, seien allesamt Familienunternehmer, die für Arbeitsplätze sorgten. Kein Wort aber dazu, wie die Union ihre Steuergeschenke an Reiche finanzieren will, keine Silbe, wie die Union die Pariser Klimaziele erreichen will.
Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck kontert, das wolkige Wahlprogramm der Union müsse „zurück in die Werkstatt“. Die Zukunft erreiche man nicht im Rückwärtsgang. Merz müsse „mal checken, dass sie den Wahlkampf nicht für sich machen, sondern für dieses Land“. Da klatscht auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Denn da sprach Habeck der Vizekanzler, nicht der Scholz-Herausforderer. Christian Lindner sagt Lindner-Sätze, FDP pur. SPD und Grüne wollten die Schuldenbremse nur aufheben, „damit sie mehr verteilen können“. Neid auf Milliardäre schaffe keine Arbeitsplätze. Und Aufstieg habe etwas mit Leistung zu tun. Daran kann man leise Zweifel haben, angesichts der Tatsache, dass Lindner erneut als Spitzenkandidat seiner Partei in den Wahlkampf zieht.
Klingbeil will 69 Tage Vollgas geben
Die Sitzung endet um 16 Uhr 30. 207 Abgeordnete sprechen Scholz das Vertrauen aus. 394 stimmen dagegen, 116 enthalten sich. Scholz macht sich auf den Weg zum Bundespräsidenten, er bittet Frank-Walter Steinmeier, den Bundestag aufzulösen. Am 23. Februar wird neu gewählt.
Klingbeil schaut nach vorn. „Ich habe meinen Urlaub abgesagt, ich werde jetzt 69 Tage Vollgas geben und vorne wegrennen.“ Wird Olaf Scholz noch mal Kanzler? „Ja“, sagt Klingbeil ohne Zögern. „Aber es wird harte Arbeit.“
Scholz ist nun Chef einer gescheiterten Regierung. Die Grüne Katharina Beck sagt, er habe in den letzten drei Jahren viel im Hintergrund moderiert. Und: „Es hat eben nicht funktioniert mit dieser FDP.“